STUMM

ZWEIUNDZWANZIG

Stille. Alles ist Still. So wie es in mir war, drei Jahre lang.
„W-was?" fragt Nelio.
„Hört auf."
Wer hat das gesagt? Ich kenne diese Stimme nicht. Fremd, rau und kratzig klingt sie. Zitternd. Lange nicht benutzt. Und doch, gerade deswegen gehört sie mir.
„Sie kann sprechen. Also das ist ja jetzt mal eine Überraschung."
Nico fängt sich fast sofort wieder. Aber Nelio liegt noch immer auf dem kalten Steinboden und starrt mich an. Genau wie ich, nur dass ich stehe und mich nicht selbst anstarren kann. Mir ist plötzlich irgendwie schlecht.
„Du- Mia, aber...?"
„Ja, toll, wir haben es gehört. Wundervoll. Und wisst ihr was? Meinetwegen."
Nico steht auf und klopft sich den Staub von der Jeans, dann zerrt er den völlig verdatterten Nelio hoch.
„Ich tu dir nichts. Noch nicht, okay?"
Nelio nickt. Ich nicke. Ich glaube ich muss mich gleich übergeben.
„Lucie, heb die Schachtel mit dem Schlüssel auf, Nelio, beweg dich."
Ich bücke mich nach der kleinen Holzkiste. Mir ist schwindelig. Ich denke... nichts. Gar nichts. Mein Gehirn muss verarbeiten. Wie ein Geist stolpere ich hinter den beiden anderen her. Ich hätte noch irgendetwas aus dem Raum mitnehmen können. Zum Beispiel den anderen Schlüssel in der Hosentasche verschwinden lassen können, ich wüsste es schon jetzt nicht mehr. Alles ist verschwommen, schwarz-weiß irgendwie. Die Leiter klettere ich nur mit höchster Anstrengung als erste nach oben. Ich bekomme nichts mehr von der Außenwelt mit. Jetzt könnten dort Janosch, Kathi, Diana und Maria draußen stehen, mit einem dieser großen Knall-Dinger wo man zieht, dann knallt es und Konfetti fliegt heraus. Ich würde es nicht mitbekommen. Ich hieve mich aus dem dunklen Loch heraus, merke nur, dass noch jemand hinter mir herauskrabbelt, dann sinke ich auf den Boden. Es wird nebelig vor meinen Augen und in meinem Kopf. Irgendwo knallt es und jemand ruft: „Überraschung!". Was ist das? Ein Traum? Eine Erinnerung? Einfach nur ein Gedanke, Vorstellungen? Alles wird dunkel und schwarz.