VIER

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„Lucie? Lucie! Kommst du bitte!"
Ich springe die Treppe herunter. Vorbei an den Bildern, die an der Wand hängen:

Janosch als Baby.
Mama, Papa und Janosch an seinem ersten Schultag.
Landschaftsaufnahme von Italien, Sommerurlaub letztes Jahr.
Janosch und ich, Arm in Arm im Zoo.
Wir alle, auch Oma und Opa an Weihnachten.
Janosch mit Martin. Unserem Hund.
Mama, Papa, Janosch, Martin und ich in Italien am Meer.

Ich springe die beiden letzten Stufen in einem Satz herunter. Rumms.
Man sieht an den Bildern nicht, dass ich nicht hier aufgewachsen bin. Ich glaube, dass es extra so ist.
„Lucie?"
Ich gehe in die Küche. Papa kocht. Es riecht wie Nudeln und als ich einen Blick in den Topf werfe, sieht es auch so aus wie Nudeln. Weil es Nudeln sind.
„Könntest du mir bitte etwas Salz aus der Vorratskammer holen?"
Klar, bin gleich wieder da!
Salz. Ich laufe nach unten in den Keller. Martin läuft hinter mir her. Ich würde gerne mit ihm reden, manchmal. So wie Janosch es oft tut. Dann schiebt er seinen mit hübschen dunkelblonden Haaren bestückten Kopf nah an Martins Ohr und flüstert ihm Geheimnisse zu. Ich sehe den mit dem Schwanz wedelnden Hund an, während ich nach einer der kleinen dunkelblauen Salz-Schachteln greife.
Weißt du wer Nico ist? Warum kann er Gebärdensprache? Maria und ich wollten ihn doch nach der Schule fragen, aber der Bus kam... ich wünschte wir könnten zur Schule laufen oder Fahrrad fahren, dann wären wir nicht zeitlich immer auf den Busfahrplan angewiesen!
Martin versucht, an den eingeschweißten Käse zu kommen.
Eigentlich ist es ja jetzt wirklich keine große Sache, ich meine: Irgendwer aus meiner Schule kann Gebärdensprache. Wow, das ist ja nicht verboten. Nur was mich interessiert ist, woher dieser Nico wusste, dass ich sie auch kann.
Unterhalb von mir scheppert es. Die Käsepackung hätte fast den Dosenmais umgeworfen. Also natürlich hatte der Käse etwas Hilfe, beim fast-Umwerfen von dem Mais. Mögen Hunde Käse? Ich jedenfalls nicht. Schnell lege ich die Packung ein Regal weiter nach oben. Nicht dass Martin es doch noch schafft, daran zu kommen und ihn dann zu essen...

Es gibt - wie ich schon bemerkt hatte - Nudeln. Ich liebe Nudeln, vor allem diese gekringelten, Fussili. Spaghetti mag ich auch, aber nicht so gerne, denn man kann sie nicht so schnell essen - auch wenn ich sie eigentlich ganz gut mit der Gabel aufwickeln kann. Also, mein Lieblingsessen sind Fussili mit Butter. Dann noch Salz dazu und fertig. Gegen eine leckere Soße habe ich aber auch nie was einzuwenden. Aber bloß keine großen Tomatenstücke!

„Na, wie war es heute in der Schule?"
Mama fragt das zwar jeden Tag aber heute klingt es anders, vermutlich weil es ja eine neue Schule ist, auf die ich jetzt gehe.
Ganz okay. Maria und ich sitzen neben zwei Mädchen, die ganz nett sind, wir haben auch in der Pause etwas mit ihnen gemacht.
„Das ist ja schön."
„Und, wie gefällscht dir da scho? Gibsch da einen Fuschballplatsch?
Janosch, mein kleiner Bruder ist sieben und versteht das Konzept: „Ich rede nicht mit vollem Mund" noch nicht so ganz. Oder er will es nicht verstehen. Wohl eher Letzteres, denn egal wie oft man ihn daran erinnert, er macht es trotzdem immer wieder.
Ich weiß nicht ob es einen (Fußballplatsch?) ...Fußballplatz gibt. Aber das Gebäude und die Klassenzimmer sind sehr schön.
„Ah."
Janosch musste nicht die Schule wechseln weil er erst in der dritten Klasse ist. Nur das Gymnasium daneben wurde aufgelöst. Jetzt können wir nicht mehr zusammen zur Schule gehen, aber das haben wir früher auch nicht oft gemacht, er ist eher hinter oder vor Maria und mir getrottet.
„Janosch, man redet nicht mit vollem Mund."
„Jap, weiß ich. Hast du heute Zeit, Lucie? Wollen wir was spielen?"
Ich denke schon. Wir haben noch keine Hausaufgaben aufbekommen.
Wir räumen den Tisch ab, währenddessen erzählt Janosch mir, was er heute mit mir vorhat. Fast alles dreht sich um verkleiden, spionieren, Detektiv-spielen und ähnliches. Der Kleine möchte einmal Polizist beim Geheimdienst werden. Eine Art Spion oder so. Deshalb will er jetzt versuchen, mich auszuspionieren. Das heißt, ich laufe die Straße entlang und darf ihn - während er mich verfolgt - nicht entdecken, wobei er oft auch verkleidet ist. Aber da ich weiß, dass ich verfolgt werde ist es eigentlich nur ihm Spaß. Das werde ich ihm aber nicht sagen. Wenn es mir dann nämlich doch viel zu blöd wird, fällt mir immer ganz schnell ein, dass ich doch noch ein Referat vorbereiten muss oder so. Aber ich will auf keinen Fall von vornherein nein sagen.

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