SIEBEN

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Hat Nico recht? Bin ich Mia? Ich liege in meinem Bett und starre an die weiß getünchte Decke. Ich erinnere mich nicht. Das ist mein großes Problem. Der Wecker zeigt an, dass es schon fast halb zwölf ist. Ich muss jetzt schlafen. Ich drehe mich auf die Seite und schließe die Augen. Und öffne sie wieder. Es ist nicht zu fassen! Ich bin so was von müde und schaffe es trotzdem nicht, einfach mal einzuschlafen. Ich ziehe mein Kopfkissen zurecht und breite die Decke wieder so über mich, dass nirgendwo kalte Luft eindringen kann.

Alles ist weiß. Das Bett, die Wand, das Kissen, die Decke. Auch mein Schlafanzug. Wo sind meine Sachen? Über dem Stuhl hängen einige Klamotten, nicht in weiß. Ein hellgrünes T-Shirt, eine dunkelblaue Jeans. Das T-Shirt hat einen großen Riss, die Hose ein Loch. Und auf dem Nachtkästchen neben mir liegt eine Kette mit einem seltsamen Anhänger. Sind das meine Sachen? Ich weiß es nicht. Warum weiß ich es nicht? Wo bin ich? Im Krankenhaus vermutlich. Ziemlich sicher sogar. Ein Arzt kommt herein. Ich will ihn fragen, wo ich bin. Und warum. Ich öffne den Mund. Schließe ihn wieder. Ich kann nicht.

Drrrrrring, drrrrrring! Der Wecker! Ich fahre aus dem Schlaf hoch und reiße die Augen auf. Es ist sechs Uhr, Zeit zum aufstehen. Sofort überkommen mich Erinnerungen. An gestern. Nico. Ich stöhne und schlage die Bettdecke hoch. Jetzt brauche ich erst einmal eine warme Dusche.

Butter und Erdbeermarmelade auf mein Vollkornbrötchen. Janosch nimmt Nutella.
„Na Lucie, was habt ihr gestern noch so gemacht?", will meine Mutter wissen.
Wir sind noch zu Maria gegangen.
„Wie schön. Ich finde Kathi und Jana sehr sympathisch. Macht ihr auch in der Schule immer etwas zusammen?"
Diana, nicht Jana. Wir sind in der Pause zusammen.
Mama nickt.
„Mama, gehst du heute mit mir zur Schule, ich will nämlich mit Martin gehen."
„Sicher. Ich kann mit dir und Martin hinlaufen und dann noch weiter mit ihm spazierengehen."
Mama arbeitet von zu Hause aus, weshalb sie morgens mit Martin spazieren geht. Da ich nicht mehr den selben Schulweg wie Janosch habe, scheint der sich allein zu fühlen - auch weil alle seine Freunde überhaupt nicht oder erst kurz vor der Schule den selben Weg haben - und möchte deshalb als Begleiter unseren Hund Martin haben.
Ich muss jetzt los.
„Natürlich mein Schatz. Die Brotzeitbox steht in der Küche."
„Schüss Luschie!"
„Janosch, man redet nicht mit vollem Mund!"
„Ja, schon verschtanden."
Selbst wenn Nico die Wahrheit gesagt hat. Das hier ist meine richtige Familie.

„Guten Morgen!"
Hallo Maria.
Wir sehen uns an.
Ich habe nachgedacht. Ich muss nochmal mit ihm reden.
„Das hätte ich auch vorgeschlagen. Nico hat außerdem nicht bemerkt, dass wir da waren. Also Kathi, Diana und ich."
Der Bus hält, wir steigen ein.
Erzähl mir das besser, wenn wir da sind und nicht im Bus.
„Okay. Dann vor der Schule?"
Ja.
„Hallo Maria und Lucie!"
Erik sitzt wieder in der Reihe vor uns - anscheinend hat hier jeder im Bus seinen „Stammplatz". Jedenfalls sind Maria und Erik sofort in ein Gespräch vertieft und ich habe Zeit aus dem Fenster zu schauen und mir zu überlegen was ich Nico sagen soll.

„Nachdem du weggerannt bist, haben wir darauf gewartet, dass Nico geht. Dann sind wir zu dritt los und haben dich gesucht. Nico weiß also überhaupt nicht, dass wir auch da waren und bestimmt geht er davon aus dass du niemandem etwas erzählst."
„Kathi, willst du mal ein Detektivbüro eröffnen wenn du erwachsen bist?", lacht Diana.
„Was? Nein!"
Ich schaue zu der Gruppe der Zwölftklässler. Nico schaut mich an. Soll ich hingehen? Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass wir noch sieben Minuten bis zum Unterrichtsbeginn haben.
Ich glaube ich gehe nochmal und rede mit Nico.
„Denkst du nicht, dass wir mitkommen sollten?"
Nein. Das würde er merken, außerdem weiß er nicht dass ihr gestern auch dabei wart. Ich bin gleich wieder da!
„Nein Lucie, warte doch noch wenigstens bis zur Pause!"
Dreht euch weg, sodass ich mit ihm „reden" kann, es soll so aussehen als hättet ihr nicht zu mir geschaut.
Nachdem Maria das den anderen gesagt hat, drehen sie sich alle etwas zur Seite und schauen interessiert auf Kathis ausgeschaltetes Handy. Ich blicke zu Nico. Der guckt immer noch zu mir. Zum Glück habe ich meine Hände so gehalten dass er nicht sehen konnte was ich meinen Freundinnen mitgeteilt habe.
Ich muss mit dir reden.
Okay. Jetzt?
Ja.
Hinter der Turnhalle.
Er sagt etwas zu seinen Freunden und setzt sich dann in Bewegung, in Richtung Turnhalle.
Wir reden hinter der Turnhalle.
Maria nickt: „Wir versuchen, hier draußen auf dich zu warten, auch wenn der Unterricht beginnt."

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