Hoffnungsschimmer

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„7 Oktober 1941, die Regenzeit hat begonnen. Es ist eine Sintflut die alles zum Erliegen bringt und lähmt. Das Ende des Blitzkrieges, als würde Gott sich von uns abwenden, für all das Grauen, was wir mit uns führen. Oder es ist die letzte Prüfung."

Jewas Schritte versanken in dem matschigen Boden, seit Tagen, Wochen regnete es ununterbrochen. Kleine Flüsse wurden zu reisenden Strömen, die sich einen Weg durch Felder und Wälder bahnten. Die junge Frau rückte ein letztes Mal ihren Mantel zurecht, fünf Monate waren vorbei gezogen. Fast fünf Monate, war sie Mitglied der 41 Infanterie und langsam entwickelte sie sich gut. In ihrem schwarzen Büchlein standen bereits 33 Tote, vermutlich waren es mehr, doch um eingetragen zu werden musste man einen Zeugen haben.

Ihre Gedanken drehten sich immer wieder um das gleiche, von der einst 40 Leute Einheit waren noch genau 26 übrig, ein trauriger Anblick. Immer verbissener und härter wurden die Kämpfe, überall auf beiden Seiten die Schrecken des Krieges. Die Erde war durchnässt mit Blut, Blut der Feinde, Blut der eigenen Leute, ja die junge Frau hatte beinahe das Gefühl die wunderschöne Wolga, würde sich in einen Fluss aus Blut verwandeln, Blut würde das ganze Land speisen, immer mehr waren Exekutionen durchgeführt worden. Abseits, so dass es niemand mitbekam.

Jewas Uniform hatte sich verändert, war dort früher der Rock gewesen, der sie behinderte und störte, so war nun dort eine Hose. An ihrer Brust hing nun die Runde Medaille. „Für Verdienste im Kampf" Jewa wusste nicht ob sie stolz oder traurig darüber sein sollte, es war das erste was neben dem Roten Stern der Uniform, das sonst so einfarbige Uniformskleid schmückte. Knietief stand sie in dem sumpfigen Gebiet. Die Deutschen kämpften sie langsamer vor, es war ein erster Hoffnungsschimmer, dass doch nicht alles verloren war. Das schwere Gewicht ihres Rucksacks versuchte sie wieder in die Tiefe zu ziehen.

Regen überall, es schien als weinte der Himmel. "Wer hat nicht aufgegessen? Das der Himmel so weinen muss. Dem spendiere ich einen Wodka, der soll ja so weiter machen. Dann haben wir vielleicht doch eine Chance." Oberleutnant Popow lief vorne weg, in der Hand das Gewehr, auch wenn sie mittlerweile so wenige waren, war er stolz auf seine Gruppe. Sie waren aus einem harten Holz, fleißig und lernfähig. Am Anfang hatte er gezweifelt, als man ihm verkündet hatte, dass eine Frau in seinen Reihen Kämpfen würde. Der Leutnant war nicht wirklich ein Feminist, in seinen Kopf war es zunächst nicht rein gegangen, dass auch eine Frau gut an der Waffe sein konnte. Zunächst hatte er die Scharffschützin bedeckt gehalten, ihr nichts zu getraut, doch desto mehr Männer der Feinde in dem schwarzen Buch standen, desto mehr wuchs sein Vertrauen.

Gefreiter, Gefreiterin? Lange hatten sie darüber diskutiert, was man denn nun sagte und die Mannschaft war beim Gefreiten geblieben. Die Deutschen Einheiten waren noch ungefähr 100 Kilometer vor Moskau, ständig kamen Meldungen, dass Einheiten der Roten Armee kapitulierten. Immer wieder lauschte die blonde Frau ängstlich ob nicht auch Andrejs Einheit dabei. Schließlich könnten die Bedingungen bei einer Gefangenschaft beim Feind nicht besser sein als der Umgang mit der Zivilbevölkerung. Die Scharfschützin blickte sich angespannt um, wer wusste denn ob der Feind nicht doch näher war als man dachte. Partisanen hatten das Gebiet mit der Hilfe der 38 und der 56 Infanterie vermient. Die Karte in Papows Hand war eine Sicherheit für ihr Leben.

Die Uniform klebte und scheuerte am Körper herum, Stiefel und Socken waren voller Wasser, Jewa war sich sicher, die Wolga in den Stiefeln zu tragen. Ja was freuten die Mitglieder der 41 Infanterie sich auf die Wärme des Quartiers, welches sie barmherzig aufnahm. Auf den Ofen, vor dem sie heute vermutlich alle sitzen würden. Für persönliche Befindlichkeiten war im Krieg kein Platz, man musste lernen sich zu arrangieren und jeder der das nicht konnte, würde sang und klanglos untergehen.

Keiner von ihnen war scharf darauf auf die eigenen Mienen zu treten und einen der schlimmsten Tode zu erleiden. Dagegen war erschossen werden, doch noch recht gnädig. Das würde das Tempo der Deutschen zu dem Regen entschleunigen, da würden sie ohne Aufklärer nicht so schnell durchkommen. Die schwarze Suppe lief ihr in die Stiefel, tauchte das Hosenbein mit Nässe und klebte an der hellen Haut. Ihr Herz blieb beinahe stehen als sie in der Ferne Rufe hörte, die definitiv nicht Russisch waren! Wie nahe waren sie am Feind? Wie nahe war der Feind an den Mienen? Oder spielte das Echo ihnen einen fiesen Streich.

"Rechts Männer, die Rufe kommen aus dem Eingang des Mienenbereiches, da kommen sie so schnell nicht durch aber dennoch ist Vorsicht geboten. Wir müssen möglichst schnell aus dem Sumpf raus." Jewa meinte ihren eigenen Herzschlag laut wie ein Metronomen zu hören, doch er ging schnell. Wollten sie doch heute nicht schon wieder Menschenleben lassen. Man hörte Rufen und dann eine Explosion, vermutlich war einer von ihnen auf die Mienen gedrehten. Hastig schritt die Einheit weiter, Popow auf den Fersen. Immer mehr Explosionen, waren da etwa Aufklärer, die die Mienen beseitigten?!

Schreie, Schreie und wieder Schreie. Auf Russisch und Deutsch. "WER STEHEN BLEIBT WIRD ERSCHOSSEN UND JETZT WEITER!" Nein, das waren keine Aufklärer vermutlich trieben die Deutschen ihre Genossen durch die Wälder. Die Luft roch nach Rauch und Blei als es plötzlich leise Klick machte. Entsetzt blieben sie stehen, da war eine Miene auf der Karte nicht angezeichnet, auf der ein Genosse stand. Jede kleinste Bewegung würde den Fremdkörper zum Auslösen bringen. "Geht...geht....na los geht schon! Sagt meiner Frau ich habe sie geliebt!"

"Ihr habt ihn gehört und jetzt weiter!" Die Russin mit den beiden Zöpfen spürte wie ihr Herz schwer wurde, dieser Tod hatte niemand verdient. Der Genosse stand da, jeder Zeit würde sein Leben ein Ende nehmen. So hart es klang, man gewöhnte sich an Verluste, an sterbende Menschen mit Todesqualen und der ständigen Bedrohung des eigenen Lebens. Ihre Schritte trugen sie hastig weiter, darauf bedacht möglichst keine weiteren Miene auslösen. Als sie in Abstand waren knallte es, Federn und verbrannte Hautteile flogen durch die Luft.

Am liebsten würde sie weinen, doch sie konnte nicht, durfte nicht! Man konnte nicht jedem hinter her trauern! Es war Krieg, Verluste gehörten dazu, egal wie schmerzhaft sie waren. Getrauert wurde nachts vorm Schlafen. Wie weit die Deutschen waren, die Fläche des Sumpfes war riesengroß, umfasste 17 Kilometer. Ihr Ziel war das große Sammellager der 38, 39 und 40 Infanterie. Ihr eigenes wurde samt dem benachbarten Lazarett geräumt, alles sollte nun als großer Treffpunkt an einem Ort fungieren.

Es kam ihr vor wie Stunden als sie endlich die Siedlung erreichten. An den Häusern hing vereinzelt die rote Flagge mit der goldenen Sichel. Es fuhren LKWS mit Menschen umher, andere saßen auf Tischen vor den Häusern und aßen Mittag. Frauen saßen dort und wuschen Wäsche, Kinder spielten auf dem vermatschten Boden. Endlich hatte es zu regnen aufgehört. Bis auf die Offiziere trug keiner groß Uniform. Die Männer trugen die braune Hose und die Leinenhemden. In der Mitte stand ein großes Becken, ein paar Wuschen sich. Andere spielten Karten mit Einsatz. Ihr Blick viel zu den badenden Männern. Sicherlich persönliche Befindlichkeiten hatten hier nichts zu suchen, doch es fühlte sich komisch an vor allen Männeraugen zu Baden, auch wenn sie von Popow den strikten Befehl bekommen hatte immer etwas zutragen, wenigstens Unterwäsche.

Zwischen ihren Lippen steckte eine Zigarette, suchend blickte sie sich um. Vielleicht gab es hier mehr Frauen aus der Armee. Funkerinnen oder andere Scharfschützen? "Zieht euch die Nassen Sachen aus, dann kommt zum Essen."

"Jawohl Herr Oberleutnant!" Jewa war fast erleichtert als sie aus der nassen Uniform schlüpfen konnte. Stumm nahm sie die Teile und rang sie aus, ehe sie sie auf eine Leine vor dem Kamin hing zum Trocknen. Jetzt stand die junge Frau im Leinenhemd und einer langen Unterhose im Raum. Ihr Blick viel zu einer älteren Frau die in dem Raum kam, sie wirkte beinahe erschrocken, als sie die andere Russin unter einem Haufen Männer in solcher Kleidung vorfand. "Du musst dich anziehen Mädchen, so etwas gehört sich nicht!"

Jewa die immer noch eine Zigarette zwischen den Lippen hatte blickte sie nur freundlich an. "Nun meine Kleidung trocknet gerade. Kein Grund sich Sorgen zu machen." Die Adjutanten Tochter schien wie immer nicht in das konservative Land zu passen. Doch dennoch steckte sie der Frau einen Apfel zu, denn sie eben gepflügt hatte. Hastig folgte die Blonde den Kameraden nach draußen zum Tisch, wo gegessen wurde. Ihr gegenüber saß wie sie freudig feststellte eine andere Frau. Wie es aussah eine Funkerin, mit der sie schon bald ins Gespräch kam.

Blut und Tod im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt