Im Rausch

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Der Krieg war vorbei, die Kampfhandlungen offiziell eingestellt. Die Nachricht würde erst in wenigen Stunden die Regierung unter Stalin erreichen. Auf den Trümmerhaufen kurz vor dem alten Adolf Hitler Platz saßen Rotarmisten, die eigentlich einige Männer die man verhaftet hatte bewachen sollen, doch keiner war mehr wirklich nüchtern. Das Kriegsende wurde gefeiert, mit Wodka. Es war ein Rausch, ein Rausch in dem sich im Wechsel Alkohol und Freude mischte. Nach all den langen Kämpfen und Verlusten war alles vorbei, Jewa gehörte nicht zu jenen Russen die noch bangen mussten was ihnen in der Heimat blühte.'


Ihre Stimmung war fröhlich, es war nur noch eine Frage der Zeit bis sie ihrem Andrej in die Arme fallen konnte. Bis sie die Waffe und die verschlissene Uniform an den Nagel hängen konnte. Sie würde Juri besuchen immerhin wollte sie wissen wie es ihm ging, ob er sich erholt hatte. Inbrünstig flammte die Vorfreude in ihr, schrie nach außen, am liebsten würde die Russin schreien. Der Krieg war zu Ende, von der Niederlage den sie knapp entkommen waren zum Sieger über Faschismus und Nationalsozialmus. Kühn und mutig hieß es später hatten die Russen ihr Land vor dem nahenden Feind erlöst, doch nicht jeder in der Armee war ein Held.


Bis in die übernächsten Generationen würde sich dieses Bild tragen, für die Deutschen währen die Männer der Wehrmacht Helden die sich trotz Niederlage furchtlos für das Vaterland und die Familien geopfert hatten, während man in Russland von den Helden in Stalingrad und furchtlosen Kämpfern sprach die keine Schwäche gezeigt hatten. Doch die Realität war eine andere, auf beiden Seiten hatte es Kriegsverbrechen gegeben, Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Krieg schrieb keine Helden sondern Sieger und Verlierer, Krieg war keine epische Sage dessen Reiz man suchen sollte, Krieg war der letzte Funken Menschlichkeit der wie eine Flamme unter zu wenig Sauerstoff vergehen wollte.


Die Frau die stark auf die 30 zu ging schüttete den nächsten Schluck Wodka in sich hinein, genoss das warme Prickeln auf ihrer Kehle, mit lauter Stimme sang sie die Nationalhymne so schief, dass man sich am liebsten die Ohren abschneiden wollte um diese musikalische Folter nicht mehr ertragen zu müssen, doch Jewa einfach nur glücklich. Ihr Gesicht zierte ein Lächeln, welches ziemlich rasch verschwand.


Schüsse, der Krieg war doch zu Ende warum wurde denn noch geschossen?! Ihr Blick viel über den Platz wo ein Soldat mit einer Waffe stand, der auf einen anderen schoss. Der Schütze konnte gar nicht mehr richtig stehen, noch mehr Schüsse. Einige erwiderten das Feuer, hatten diese Idioten doch den Krieg überlebt, so schossen sie sich wie wahnsinnige selber ab. "AUFHÖREN! DAS WAR EIN BEFEHL!" Die junge Frau schrie über den Platz, es waren Rotarmisten ohne nennenswerten Rang, die dem Feldwebel weit unterlegen waren. Doch das Feuer hörte nicht auf, der Russin reichte es vollkommen. "AUFHÖREN IHR VERDAMMTEN INKOMPETENTEN DENKAMBÖBEN!" Die Scharfschützin nahm ihre eigene Waffe und feuerte in die Luft.


Alle Blicke lagen plötzlich auf ihr, doch es war ihr egal. Musste sie den in den letzten Stunden des Krieges ungemütlich werden. Das war doch die Höhe! Für diese Soldaten sollte es eine Strafe geben, doch vermutlich würde das nicht passieren. Das sonst sehr blasse Gesicht der Russin hatte eine ungewohnte aber nicht ungefährliche rote Farbe angenommen. Sie war wütend, sehr so gar. Anastasia trat hinter ihre Freundin, wollte die Rang höhre ein wenig beruhigen, doch jene war nur auf die Schützen zu gedrehten. "Sie gehen jetzt ausnüchtern und die Waffe lassen sie hier, anderenfalls können sie sich auf eine Kürzung ihrer Vorräte insbesondere des Wodkas erfreuen."


Hart aber herzlich war die Devise, immerhin wäre bald alles endlich vorbei. Dann würde sie ihrem Andrej in die Arme fallen, doch es hatte sich alles verändert. Beide waren durch den Krieg andere, beide hatten mit den eigenen Problemen und Traumata zu kämpfen. Jewa würde nie vergessen wie die 41 Infanterie hingerichtet worden war, das Bild hatte sich in ihren Kopf eingefressen, ließ sie bei all den Männern in der schwarzen SS Uniform keine Gnade walten. Krieg machte aus sanften Vätern, harte Männer, aus einst glücklichen Familien Orte der Gewalt und Jewa fragte sich wie sich Andrej verändert hatte.


Der einfahrende Zug ließ die junge Frau aufsehen, es kam ihr vor wie ein schöner Traum. Der Zug würde sie nach Hause bringen, überall Menschen. Soldaten die heimkehren würden, ihre Aufgabe war vollendet, zuhause warten die Frauen, Kinder und Geliebten. Jewa hatte zum ersten Mal seit langer Zeit ihre Haare nicht zu Zöpfen geflochten, das Kriegsende lag nun zwei Monate entfernt. Die erste Haltestelle wäre Moskau, von dort an sollten Züge in alle Richtungen im Land fahren. Bis Moskau hatte sie noch Nasti bei sich, mehr als 30 Stunden wären sie mit dem Zug unterwegs. 30 Stunden um sich ein letztes Mal zu sehen um den Kontakt nicht zu verlieren. Die Russin wurde traurig wenn sie daran dachte.


"Alles einsteigen. Zug nach Moskau!" Das Pfeifen der roten Lock erfüllte die Gleise, die Russin konnte es gar nicht mehr erwarten, hastig trugen sie ihre Schritte über den Bahnhof zu der Lock. Alle wollten Heim, es war ein Gedrängel und Geschubse die Züge massiv überfüllt. Doch für die Heimat lohnte es sich, voller Vorfreude ließ sie sich durch das Rennen ein wenig außer Atem auf dem Sitz nieder, ihr gegenüber Nasti. Die beiden Frauen hatten es geschafft, sie waren welche der wenigen Frauen die den Krieg überlebt hatten.

Blut und Tod im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt