Deutscher Boden

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Jewa blickte sich stumm um, es war die Karwoche des Jahres 1945. Ende März rollten die ersten Sowjetischen Truppen über niederösterreichischen Boden. Die Russin war guter Hoffnung, die letzten zwei Jahre hatten die Rote Armee zwar harte Verluste gekostet, doch immer näher waren sie dem Ziel des Sieges gekommen. Etappe nach Etappe wurde erobert, das nächste Ziel wäre Wien. In ihrer Hand hatte sie ein Flugblatt, mir roten Schriftzeichen stand dort geschrieben. „Je näher Wien - desto näher Berlin, dem Ende des Krieges und dem Sieg!" Vielleicht würde dieser verfluchte Krieg ja bald ein Ende nehmen.


Neben ihr auf dem Laster saß Anastasia, ihre rotbraunen Haare waren wie auch ihre Haare zu zwei Zöpfen gebunden. Beinahe schon neidisch musste Jewa zugeben, dass die Russin neben ihr wahrhaft attraktiv war. So attraktiv das Jewa sich wie ein hässliches Endlein fühlte. Anastasia oder auch Nasti hatte sehr langes, volles Haar mit natürlichen Locken. Ein markantes Gesicht mit türkisen Augen und Sommersprossen, Jewas Meinung nach hatte die Freundin perfekte weibliche Rundungen, was man bei ihr eher missen konnte. Jewa sah auf die leeren Straßen, die Menschen flohen, wer konnte es ihnen auch verübeln.


Das ein oder andere Mal hatte sie bereits in Ungarn beobachten können wie die Männer in den Reihen, mit den Frauen umgingen. Flüchten würde sie davor auch, doch Jewa war hin und her gerissen. Schließlich verstand sie die Rache Gedanken sehr gut, eine Lüge wäre es gewesen wenn sie behaupten würde, sie hinge dem manchmal nicht nach. Widerstand hatte es keinen großen gegeben, einige SS Verbände und bewaffnete Zivilisten, doch nichts was die Truppen wirklich stoppen konnten. Im Mund der jungen Frau befand sich wie immer eine Zigarette. Deutschland schien so anders in Vergleich zu ihrem Land, so...so ungewöhnlich. Die Russin kannte es nicht das Städte so unterschiedliche Häuser beherbergten, die meisten Häuser in Moskau oder anderen Stätten ihres Landes waren Bauten die alle sehr gleich aussahen.


In Deutschland war es um einiges wärmer und milder, Jewa hatte beinahe so etwas wie Heimweh. Die meisten Menschen waren geflüchtet, die meisten hier waren wohl nicht mehr in der Lage groß zu gehen. Ihr Ziel war die Steiermark, angespannt blickte sie sich um. Hinter jeder Ecke konnte ein Idiot mit einer Waffe sitzen, der meinte dass er die letzte nicht vorhandene Ehre dieses Staates retten musste. Neben Jewa stand ihre Waffe, sie hatte dem jungen Feldwebel bereits gute Dienste geleistet. Ihr Blick ging zu einem Gebäude, stumm griff sie nach der Waffe, es war ihr hier zu ruhig.


Mit einem abrupten Ruck kam der LKW zum Stehen. "Alles absteigen! Reserven auffüllen!" Die gleiche Strategie wie die Wehrmacht in Russland verfolgt hatte benutzten sie auch. Da die Versorgungslinien immer noch konstant waren entwendete man aber nicht all zu viel. Anastasia kletterte vor Jewa nach unten. Ihre schwarzen Stifel kamen hart auf dem Kopfsteinpflaster auf. Jewa folgte ihr nahm aber zu Sicherheit die Waffe zur Hand, Deutsche Kämpfer konnten überall sitzen. In diesem fremden Land hatten sie keinen "Heimvorteil" mehr. Ihre Füße trugen sie über das Kopfsteinpflaster zu einem Haus, ihre Faust knallte ein paar gegen die Haustür. Keine Reaktion, hätte man sich auch denken können.


"Aufmachen! " Ihre Stimme war laut, scharf und sehr unverständlich. Ihr Akzent würde sie jedem sofort als Russin verraten. Auf keine erneute Reaktion trat sie zur Seite und gab den Männern den Weg frei die die Tür auf andere Weiße zum Öffnen bringen würden. Sie traute dem Deutschen Gesindel nicht, auch wenn sicherlich nicht jeder von ihnen ein überzeugter Nazi war, so war diese Ideologie in jeden Winkel des Landes gekrochen, Russen waren Untermenschen. Diese Ansicht hatte die junge Frau in den letzten Jahren genüge mitbekommen. Ihr Brustkorb schnürte sich zu, als sie aus den Ecken der Straße Frau komm hörte.


Jewa dachte an ihr eigenes unfreiwilliges Mal in den Trümmern der Stadt die Stalin Namens trug. Innerlich wünschte sie, auch wenn es der Frau nicht helfen würde, ihr innerliches Beileid. Machen konnte sie dagegen nichts, immerhin war sie nur ein Feldwebel, die Befehlshaber akzeptierten dass stoppten es nicht und so würde das Bild über ihr Land wohl sicherlich nicht besser. Sicherlich die Amis und Tommys waren wohl sicherlich auch nicht unschuldig, doch dieses Rachegefühl war bei ihnen nicht so ausgeprägt, da war sie sich sogar sicher. Wie viele Kinder wohl durch die Gräueltaten des Krieges entstehen würden, viel zu viele. Eine Generation die die eigenen Väter nicht kennen lernen würden, ein bitterer Gedanke.


Das Haus schien verlassen zu sein, die schweren Stiefel der jungen Frau erklommen die knarzenden Dielen und sie blickte sich um. Eine gewöhnliche Stube, ihre Waffe war gezückt, wer wusste denn ob nicht doch ein Deutscher aufmüpfig wurde. Die Küche und Vorratskammer wurde schnell entdeckt, es war nicht allzu viel übrig. Das was die Russin sah war ihr teilweise sehr unbekannt, die deutsche Küche war wohl eine andere. Eingelegte Dinge schienen die Deutschen wohl nicht so zu essen, wie ihre Leute es taten. Mit einigen Dingen beladen trat sie aus dem Haus. Die Truppen hatten sich in dem kleinen Dorf sehr ausgebreitet wie wilde Ameisen. Ihr Blick ging zur anderen Straßenseite wo ein Bursche stand, vielleicht war er 11. Ihr Blick ging auf die rote Armscherpe des Kindes mit dem Zeichen des Feindes.


Kinder waren unschuldig und konnten für die Machenschaften der Erwachsenen nichts, doch sie waren auch naiv. Die Adjutanten Tochter trat auf das Kind zu, welches vor zwei Soldaten der Roten Armee stand. "Heil Hitler!" Am liebsten würde sich die 27 jährige die flache Hand vors Gesicht schlagen, das war wohl das dämlichste was man hätte sagen können! Angespannt blickte sie zu wie die Genossen Mischa und Lew das Kind packten. Am liebsten würde sie gar nicht hinsehen, dass Schicksal des Jungen war besiegelt, da war die Russin sich sicher. Doch es kam anders als erwartet, da die Hose des Burschen herunter gezogen wurde. Mit einer Tracht Prügel hatte wohl keiner gerechnet. "Bursche du tust gut daran, wenn du das Ding an deinem Arm los wirst und den Hitler nicht mehr grüßt."


Nach einer Weile ließen sie das Kind herunter, stumm nahm Mischa aus seiner Jackentasche ein Bonbon und steckte es dem jungen zu der eilig weg hastete. Die Russin trat auf die beiden zu. "Na betreibt ihr schon mal Vater Training?" Ihre Lippen zierte ein Lächeln, irgendwie war sie glücklich darüber dass das Kind davon gekommen war. "Pädagogik meine Liebste Jewa, was hast du denn da?" Interessiert blickte sie der 24 jährige das Pumpernickel in ihrem Arm an.  

Blut und Tod im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt