Dumpfe Schläge

86 7 2
                                    

Zigarettenrauch erfüllte die Luft, angeregtes Unterhalten und Kratzen über Metall. Andrej saß auf dem Hocker und nahm stumm sein Essen zu sich, sein Herz war schwer. Dieser verfluchte Krieg, wenn er doch wissen würde das Jewa irgendwo sicher wäre, doch sie war es nicht, sie wäre es nicht daheim und erst Recht nicht an der Front. Die Zeiten hatten sich geändert, während bis vor zwei Jahren Frauen nur an den Herd gehört hatten und die russische Propaganda Wörter schrieb wie, Männer an die Front, Frauen an die Heimatfront waren es jetzt Frauen die wie Soldaten in den Reihen kämpften.



Es war September, immer wieder regnete es, doch nicht lange genug um den Deutschen größere Schäden zuzumuten, doch auch ihr Tempo wurde langsamer. Gestern hatten ihn solch schlechte Nachrichten erreicht, dass er am liebsten verzweifelt den Kopf gegen die Tischplatte hauen würde. Seine kleinen lieben Schwestern, er konnte es sich nicht vorstellen, wollte es auch gar nicht! Der Russe in der braunen Uniform seufzte leise auf, neben ihm lag seine Mütze mit dem roten Stern, ehrfürchtig strich er darüber und blies den Rauch der Zigarette in die trübe Morgenluft. Vor ihm auf dem dreckigen Holztisch lag Brot, daneben die letzten Reste Käse und Wurst. Noch gab es genug essen, aber wer wusste, ob das so bleiben würde.



Aufgrund von solchen Gedanken rationierten sie alles. Andrej bis lieblos in das harte Brot, nachdem Krieg wenn alles vorbei war, würde er wieder Jewas herrliche Pelmeni mit der weißen Schmand-Soße essen. Jewa, ein kleiner Lichtblick in dem dunkeln Zeiten des Krieges. Der braunhaarige Mann blickte auf, in die Gesichter seiner Genossen. Viele von ihnen waren jung, gerade einmal 18. Er selbst gehörte mit seinen 24 Jahren schon zu den älteren.



"Genosse Stalin, schickt Rundschreiben an die Rote Armee und die Zivilbevölkerung. Man soll sich ja nicht von den Deutschen einschüchtern lassen. Alles, was nicht mit Widerstand zu tun hat ist Vaterlandsverrat." Der Mann war gerade einmal 18, sein Blick voller Naivität und seine Worte voller Vertrauen in einen Sieg.



"Wir sind dem Untergang geweiht, dass kannst du daraus schon entnehmen. Wenn wir uns ergeben oder zögern, droht uns ein Standgericht." Andrej blickte zu dem Genossen, noch einer der seinen Gedankengängen folgte. Welche Wahl hatten sie? In beiden Seiten würde sie der Tod erwarten, man hatte nur noch die Wahl ob man durch den Feind oder die eigenen Leute starb. Seine Finger verkrampften sich.



"Ihr könnt lesen?" Seine Worte waren ruhig und kühl, die beiden Männer dort punkteten sonst auch nicht mit Intelligenz. Wer nicht einmal in der Lage war, das Gewehr in die richtige Richtung zu halten, war wohl nicht mit besonders vielen Gehirnzellen gesegnet. Andrej hielt von den meisten Männern hier nichts, nur einige wenige waren ihm ans Herz gewachsen, nur einige wenige für die er sofort sein Leben riskieren würde. Sein Blick ging in die Ferne, warum musste ausgerechnet ihre Einheit heute Abend versuchen den Standpunkt der Deutschen ausfindig zu machen, die Piloten sollten ihren Stützpunkt bombardieren. Konnten sie wenigstens nicht einmal eine andere Einheit in den sicheren Tod schicken, eine kompetentere?!



"Die Deutschen sind Schweine, wenn wir jemals dazukommen sollten, machen wir mit ihrem Land und ihren Frauen und Kindern das gleiche!" Andrej ballte unter dem Tisch die Hand zur Faust, egal wie viel Leid die Feinde über sein geliebtes Land brachen, niemals würde er nur mit den Gedanken daran spielen, es ihnen gleichzutun. Würdigten sie sich damit nicht auch auf dieses nicht vorhandene Niveau runter?



"Kasakow, denk dran doppeltes Unrecht ergibt nicht gleich Recht." Andrejs Stimme war ruhig und kühl, seine braunen Augen blickten den Kameraden an. Dieses unnötige Abschlachten und Vergewaltigen war nichts, was man aus Rache fortsetzten sollte, da gab es humanere Wege. Verurteilungen zum Beispiel. Doch noch waren sie nicht Einsatzweise in der Position darüber nachzudenken, schließlich lag ihr Gesicht im Matsch einer drohenden Niederlage und nicht das der Wehrmacht.



"Was soll das heißen?" Die Stimmung wurde aufgebrachter, wie konnte er es denn wagen das zu sagen. "Nun das heißt, wenn wir genauso wären, dann würden wir uns auf ein nicht vorhandenes Niveau herunterschrauben, nur weil einer dir zwei Zigaretten klaut, bringst du ihn auch nicht direkt ins Gefängnis." Das Beispiel war zwar nicht besonders gut, doch Andrej war nichts Besseres eingefallen. Ihre Lage war misslich.



"Wir verteidigen nur unser Vaterland!" Eindeutige Zustimmung der anderen und der braunhaarige würde sich am liebsten die flache Hand vor den Kopf schlagen. "Glaubt mir, das machen die da drüben auch, hinter diesen ganzen Verbrechen stehen Befehle, Befehle von oben." Den letzten Stummel der Zigarette nahm der 24-jährige und warf sie in das kleine Gefäß mit Wasser, wo sich schon unzählige andere Stummel tummelten. Die Bank knarzte leise, als der junge Mann sich erhob, unachtsam zu dem kleinen Becken lief um die frischen Socken von der Wäsche zunehmen, als er hinter sich Schritte vernahm.



Nichtsahnend drehte er sich um, um zu sehen,, wer da stand noch ehe er reagieren konnte hatte der Mann vor ihm schon zu geschlagen. Andrej stöhnte und hielt sich das Gesicht, doch da schlug ein anderer erneut zu. Jetzt war es mit der Fassung des 24-jährigen vorbei und er schlug zurück, doch gegen vier Männer war er klar unterlegen. Ein Schlag ins Gesicht, seine Nase fing an zu schmerzen und die ersten roten Tropfen flossen über seinen Mund nach unten. "Du dummes Schwein, hältst auch noch zu den Deutschen."



Andrej flog hart zu Boden, wollte sich aufrappeln, wurde aber unbarmherzig nach unten gedrückt. Er spürte Tritte gegen die Seiten, Schläge die wie regen auf ihn einprasselten. Wehrlos lag er unten auf dem Gras und ließ alles über sich ergehen, auf dem Boden waren erste Blutstropfen seiner Nase, langsam hörte es auf, doch der Verlobte Jewas richtete sich langsam auf. "Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du ziemlich dumm bist Genosse Tepan."



Ein paar Sekunden lang passierte nichts, doch der 19-Jährige trat mit voller Wucht gegen Andrejs Gesicht, stürzte sich auf ihn und schlug immer wieder zu. Dem 24-jährigen kam es vor wie Stunden, als plötzliche Rufe zu hören war. Der Leutnant war aus dem kleinen Verschlag gedrehten. "Schluss jetzt! Das reicht!" Der Mann mit dem rabenschwarzen Haar zog den 19-jährigen von dem 24-jährigen.



"Habt ihr alle den Verstand verloren?! Wenn ihr schon das Glück habt nicht vom Feind verunstaltet zu werden, tut es doch nicht selbst! Wegdrehten, alle wegdrehten das wird noch Folgen haben darauf könnt ihr euch gefasst machen und jetzt bringt einer von euch den Genossen ins Lazarett aber sofort!"



Andrej sah schrecklich aus, sein Gesicht war voller Blut, sein Auge angeschwollen und ihm fehlte ein Zahn. Über dem linken Auge eine Platzwunde und kaum mehr Bewusstsein, er spürte schon gar nicht wie zwei ihn hochhoben, um zum Lazarett zu eilen.

Blut und Tod im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt