Ein aufrechter Gang

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Jewa hätte Jubeln können vor Freude, erste weiße Schneeflocken die durch die kalte Luft wirbelten. Der Winter stand vor der Tür, mit dem warmen Pelzmantel mit Filz begleitet lag sie auf dem rotbraunen Ziegeln der Stahlfabrik. Ihr Gesicht genauso bemalt, über der Uniform braunen Stoff der sich optisch nicht von dem Dach unterschied. Es war eine Kunst, die eigenen Umrisse für den Gegner unsichtbar werden zu lassen. Durch den Nebel erkannte man sie nicht, doch auch sie den Feind nicht. Ihre Augen fixierten stumpf den Boden, sie waren drei Scharfschützen, jeder mit anderer Erfahrung, anderer Herkunft und einer anderen Taktik doch was sie verband war ihre Aufgabe.

Die Aufgabe dem aufrecht gehenden Feind in die Knie zu zwingen, vom aufrechten Gang zum Kriechschritt. Ihr Herz war dumpf und leer, natürlich war es eine Ehre zu den Edelschützen zu gehören, doch gleichzeitig hieß es auch das 42 bestätigte Tode an ihr hingen und es waren vermutlich weitaus mehr, hier in der Fabrik konnte ja kein Offizier bestätigen, das ein Deutscher durch die Kugeln gestorben war. Soweit die drei Scharfschützin das beurteilen konnte, waren die Kleidungen ein Witz. Jeder Russe wusste, dass man ohne zwei Paar dicke Socken nicht vor die Tür gehen zu brauchte, ihre Stiefel waren aus dicken Filz, die von der Wehrmacht aus Leder, eng anliegend und perfekt passend.

Auf die Mütze hatte Jewa verzichtet, sie war zu auffällig vom Dach, so dass ihr der kalte Wind um die Ohren pfiff. Die Deutschen lagen in Verteidigungsgräben, auch wenn alles ruhig war wusste sie, das sie dort waren, würde einer von ihnen den Kopf hervorstecken war er unter der Erde. Die Opfer der Scharfschützen, waren unvorsichtige oder neue Soldaten. Während Igor in kaputten Fenstern saß, hatte Daria hinter einem alten Ölfass Platz genommen, eine angespannte Stimmung. Die beiden Frauen wussten, dass eine Gefangennahme durch die Wehrmacht ihren Tod bedeuten würde. Inzwischen war bekannt, dass es für die "Flintenweiber" einen sofortigen Tod gab, keine Gefangenschaft.

Hatten denn die Deutschen keine Frauen in den Reihen? Manchmal war sich die Russin da gar nicht so sicher, denn sie hatte das Gefühl schon hin und wieder einen Deutschen im Rock gesehen zu haben, doch wer wusste schon ob ihr Auge, ihr nicht einen Streich gespielte .Es war Ende Oktober, Anfang November und die Böden fingen an zu frieren, die Deutschen konnten keine Schützengräben mehr graben, was für die Rote Armee, ein erstes Aufatmen war. Langsam bewegte sie sich nach vorne, näher an den Dachgiebel heran, ihr Herz blieb beinahe stehen, als ein Ziegel verrutschte und das Dach herunter rutschte und mit lauten Krach am Boden zerbrach. Scharfschützen zu töten war wichtig für die Wehrmacht, da jene für große Verluste sorgten.

Keine Reaktion oder doch? Die junge Frau hörte das eine Waffe entsichert wurde, ihr Herz raste wie wild, was wenn jemand sie doch gesehen hatte. Jewa wollte nicht sterben, nicht ohne ein letztes Mal Andrej in die Arme genommen zu haben. Ein Schuss, der sie so knapp verfehlte das sie Glück gehabt hatte. Schnell, möglichst lautlos wechselte sie ihre Position. Durch den Nebel viel es schwer etwas zu erkennen, alle Lichter waren gelöscht. Doch da erblickte die Adjutanten Tochter etwas, ein kleines Glühen, was in der drüben Suppe wie ein Wegweiser fungierte, das Glühen einer Zigarette. Waren die da unten ganz dämlich? Fokussiert sah sie auf das Glühen, war es vielleicht eine Falle? So dumm konnte doch keiner sein!

Ein paar Sekunden zögerte sie, griff prüfend zu der Gewehrmündung die mit einem dreckigen Stoff umwickelt war damit es keine Spiegelreflekixon gab. Nach einem Schuss müsste sie schnell ihre Position wechseln, da es meistens zum Dauerfeuer kam, doch zum Glück der drei Scharfschützen war hier keine Artillerietruppe, die ihnen gefährlich werden könnten. Nach einigen Minuten, des Überlegens schoss die junge Frau dann doch, ob sie getroffen hatte oder nicht wusste sie nicht, doch sie erblickte wie das Glühende kleine Licht dem Boden näher kam. Vielleicht, vielleicht war es ja ein Treffer, doch darüber konnte sie sich keine Gedanken mehr machen, so schnell wie es irgendwie möglich war musste sie von dem Dach runter, sonst hätte ihr letztes Stündlein geschlagen.

Kugeln, prasselten wie Regen auf das Dach der Fabrik, war los in der Hoffnung man würde den Feind treffen. Jewa stöhnte schmerzhaft auf, gerade noch so war sie mit Hast von den Ziegeln herunter gekommen, als sie etwas traf. Dumpfer Schmerz breitete sich in der Schulter der jungen Frau aus, hilfesuchend umklammerte sie sich mit der linken Hand an die Regenrinne, die knarzte und drohte nachzugeben, die Waffe Jewas viel zu Boden, bedienen konnte sie sie im Moment eh nicht. Wie kam sie unauffällig zu Boden, ihre Schulter schmerzte, spürte sie doch wie Blut aus der Wunde austrat.

Eine andere Wahl außer loslassen hatte sie nicht, nach ein paar Sekunden des Zögerns ließ sie los, freier Fall nach unten, so gut es irgendwie ging versuchte die Adjutanten Tochter sich zu schützen, ein schmerzhafter Ruck und Jewa brauchte ein paar Sekunden um zu wissen wo oben und unten war, hilflos taumelte die junge Frau auf dem Boden, drohte das Bewusstsein zu verlieren. Ihr Glück war es, das Igor in der Nähe war, der 30 Jährige gab die Stellung auf und eilte zu ihr. Verwundete hier zu behandeln war unmöglich, hastig drückte der Mann Jewas Hände auf die Wunde. "Drück, ich bringe dich hier raus." Seine Stimme war leise und hastig.

Die Tarnung viel nun mehr auf, doch irgendwie mussten die beiden in den rettenden Waldrand zum Zwischenstützpunkt kommen, von dort fuhren Motoräder mit Beiwagen durch die vermatschten Straßen und Wege zu den nächsten Lazaretten. Igor war der Anführer der dreier Gruppe, 60 Tote und ein höher Rang ließen ihn die Befehlsgewalt haben, doch jene gab er gerade auf um die 24 jährige hier weg zu schaffen, seine Füße versanken im Matsch, drohten ihn ausrutschen zu lassen, doch sein Wille trug ihn eisig weiter. Der eher Asiatisch aussehende Mann eilte mit eisernen Willen vorran.

Jewa spürte wie die Ohnmacht drohte, sie in feste Dunkelheit zu reisen, ihre Schulter pulsierte, fühlte sich an als würde sie brennen und Blut weinen. Wie weit war es noch? Ihre braunen Augen drohten sich zu schließen, doch ein Schlag auf die Wange verhinderte es. "Ey wach bleiben! Sonst wachst du vielleicht nicht mehr auf!"

Blut und Tod im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt