Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

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Jewa war noch ein wenig erschöpft und angeschlagen als sie auf den Trümmern des Hauses stand. Ihr Atem war noch ziemlich schnell, die Perle des dritten Reiches war gefallen. Wien lag nun in sowjetischer Hand, bei den harten Kämpfen hatte sie nicht mehr teilnehmen können. Gestern war sie aus dem Lazarett entlassen worden, die Stadt war ziemlich zerstört. Egal wie hart wie die mobilisierten Gruppen der Schutz Staffel und der Hitler Jugend gekämpft hatten, gegen die Überzahl von Russen ,hatten sie keine große Chance.


Von dem "Deutschtum" war kaum noch etwas zu bemerken, nirgendswo hing mehr eine rote Fahne, geschweige denn irgendein Symbol das der Nationalsozialismus hier bis vor wenigen Tagen regiert hatte. Überall in der Stadt waren Feuer, die Menschen verbrannten ihre Parteibücher, der Widerstand der Stadt war eine Hilfe gewesen, dass hatte Nasti ihr berichtet. Trotz ihres noch leicht angeschlagenen Zustandes hatte die 28 jährige eine Zigarette im Mund und blickte sich um. Soldaten der Roten Armee überall, Kinder die mit großen Augen den bewaffneten Männern zusahen. Kinder, Jewas Herz wurde schwer.


Immer wollte sie ein Kind, schon vor dem Krieg wollte das Ehepaar Raschket bereits ein Kind zeugen, doch es war alles anders gekommen. Jetzt war sie 28 Jahre alt, immer noch Kinderlos und bald zu alt um eines zu Zeugen. In der jungen Frau breitete sich wieder Wut aus, die ihr Herz erreichte. Das war alles nur die Schuld von dem wahnsinnigen Schnauzbart und seinen Schergen aus Berlin! Der Trümmer Stein den die junge Frau voller Zorn weggedrehten hatte, landete mit einem lauten Krach gegen einer Hauswand. Die junge Frau konnte es gar nicht mehr erwarten nach Hause zu kommen, doch da war die Angst. Was war aus ihren Schwiegereltern, Andrejs Schwestern geworden? Lebten ihre Freundinnen noch? Was war aus dem kleinen Dorf geworden, wo sie ihre späte Jugend verbracht hatte?


Russland war völlig zerstört, der Krieg hatte schwer gewütet, so viele waren gestorben. Auch wenn die Amerikaner in den Krieg mit eingedrehten waren, der Angriff auf den Marinestützpunkt Pearl Harbour war kein Vergleich zu ihrer geliebten Heimat. Genauso hart vermutete sie, hatte es die Franzosen getroffen, bei den Engländern war sich die Russin da gar nicht so sicher. Jewa seufzte frustriert auf und öffnete die Augen und blickte in Kinderaugen. Die grünen Augen des Kindes blickten sie groß an, das Mädchen war ziemlich jung. Stumm kniete Jewa sich vor das Kind. "Na du kleine Maus, wo ist denn deine Mama?" Ihr Arm schmerzte noch ein wenig, wie sie genau sie vernünftig ihre Waffe bedienen sollte wusste die junge Frau noch nicht.


Die kleine antwortete ihr gar nicht so dass die Russin ihr eine Stück hartes Karamell zu steckte und sich erhob. Ihr Blick ging wieder auf das Feuer, dessen Rauch über die bunten Dächer Österreichs alter Hauptstadt tanzte, wer mit einem dieser Bücher gesehen wurde, hatte nicht mehr lange zu lachen. Sicherlich das war nicht die Endstation, bis Berlin war es noch ein steiniger Weg, doch dennoch wurde die "Entnazifizierung " vielleicht ein wenig radikal durch gezogen. Jewa hatte es nie jemanden gesagt, doch innerlich verstand sie nicht warum ausgerechnet ihre Leute diese Ideologie so verabscheuten. Auch wenn die Deutschen großes Leid über das kalte Land gebracht hatten, ihre eigene Ideologie war auch nicht unschuldig.


Der Genosse Stalin genoss hohes Ansehen, doch dabei wurde gerne vergessen dass auch dieser mit nicht weniger Menschenverachtenden Maßnahmen seine Politik vorantrieb. Verhaftungen waren auch in ihrem geliebten Land keine Seltenheit, auch in ihrem Land gab es Lager, vielleicht nicht so schrecklich wie jenes welches in Polen befreit wurde, doch machte das am Ende einen Unterschied? Verbrechen war Verbrechen, nur das die Regierung und die Propaganda es anders nannten, es verschönigten und verherrlichten.


So völlig in Gedanken hatte sie gar nicht bemerkt das jemand an sie heran gedrehten war, beinahe hysterisch drehte sie sich wild schlagend um als jemand die Hände um ihre Taille legte. "Idioty! Ich bin kein billiges Häschen!"


Eine raue ihr allzu bekannte männliche Stimme erschallte durch Wiens Straßen. "Nein du bist meine Ehefrau, deshalb brauche ich kein billiges Häschen." Andrej hatte sich verändert, hatte der Schneider schon früher eine sehr ernste ruhige Art an sich gehabt, so war er nicht mehr so verbissen alles zu planen, seinen Ordnungstrang abzulegen hatte ihm schwer gefallen, doch im Krieg gab es für langes Denken und planen keine Zeit. Jeder schöne Moment konnte der letzte sein, deshalb war es einfacher einfach mal den Mund zu halten und sich mit einem Wodka ans Feuer zu setzen.


"Andrej! Du Idioty!" Die Frau die auf die dreißig zuging viel ihm um den Hals, er war hier bei ihr. Das ein Teil seines Ohres fehlte erblickte sie zunächst gar nicht. Jewa strahlte wie als habe sie eine ganze zuckrige Torte von Olga verdrückt und war mindestens genauso hyperaktiv. Dass sie ihn eben geschlagen hatte und das ihre Gedanken so trüb wie die einer Regenwolke waren, stand jetzt nicht im Vordergrund. Jetzt lag die volle Aufmerksamkeit auf den Mann in dessen Armen sie lag. In solchen Momenten fühlte es sich an als hätte es die lange Trennung nicht gegeben, als wäre nichts verändert worden. So als würde Andrej morgen wieder in die kleine Schreinerei gehen, wo an der Tür Raschekt und Sohn stand. Jeden Moment würde Katharina die Andrej so verhasste Buchhaltung übernehmen.


Ob es die Schreinerei noch gab? Wie es Andrejs Familie ging, dass sich auch dort einiges verändert hatte war den beiden Soldaten bewusst. Andrej hielt seine Ewa fest im Arm, streichelte zärtlich über ihren Kopf. Wie hatte er sich danach gesehnt, dass ihr zierlicher Körper wieder so sanft den seinen Berühren würde. Krieg hieß warten und Andrej wartete nur auf sein Leben mit Jewa. "Tz..Tz..nur am Rauchen, du weißt es gibt noch ein Leben nach dem Krieg und mein Vater hasst Rauchen." Andrej wollte sie ja nicht tadeln, sondern sie nur ein wenig necken.


Jewa war wie auch schon früher nicht auf den Mund gefallen. "Dann muss er damit leben sonst sieht es mit dem Büro Kram schwierig aus. Er hasst ja auch angeblich den alten George und deshalb sitzt er einmal im Monat mit ihm in der Kneipe und trinkt sich die Welt schön." Andrejs Vater war ein liebenswerter Eigenbrötler, der mit seinen 50 Jahren das Alter für die Wehrpflicht lange überschritten hatte, doch auch er hatte sich mit allen Mitteln gegen die Besatzer gewehrt, schließlich ging um es die geliebte Heimat.

Blut und Tod im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt