Kapitel 16: „Es ist nur eine Woche"

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23. Mai 2020

Christinas Sicht:
Verschlafen reibe ich mir die Augen, als ich von den ersten Sonnenstrahlen geweckt werde. Ich drehe mich noch einmal um und stehe dann leise auf, um Luca nicht zu wecken. Mit Bedacht ziehe ich leicht den Vorhang auf, um etwas Licht in den Raum fluten zu lassen. Das Sonnenlicht trifft Lucas Gesicht, doch er macht keine Anstalten aus dem Land der Träume zu erwachen. Er sieht so süß und friedlich aus, wenn er schläft.
Da fällt es mir wieder ein - gestern war das große Finale von Let's Dance und Luca fliegt heute zurück in die Schweiz. Sofort bekomme ich ein ganz mulmiges Gefühl im Bauch. Ich will nicht, dass er geht. Auch wenn die räumliche Entfernung zwischen uns nur von kurzer Dauer sein wird, bin ich traurig, ihn nicht jeden Abend bei mir haben und in seinen Armen einschlafen zu können.
Nach dem Finale gestern Abend hat Luca mich gefragt, ob ich in seinem neuen Musikvideo mittanzen möchte. Natürlich habe ich sofort zugestimmt, ich meine was gibt es besseres? Der Dreh wird ab dem nächsten Wochenende in Berlin stattfinden und ich freue mich jetzt schon mega darauf.
Dann bewegt sich Luca schließlich doch und sein erster, verschlafener Blick fällt direkt auf mich. „Guten Morgen!" grinst er mich an. Doch er scheint die Leere in meinem Gesicht zu bemerken. „Was ist los?", fragt er besorgt.
Irgendwie bekomme ich gerade keinen Ton heraus. Auch wenn ich weiß, dass es völlig albern ist, werden meine Augen immer glasiger. „Komm mal her!", redet Luca mir zu und schlägt seine Decke etwas zur Seite, so dass ich mich mit einkuscheln kann. Ich lasse mich neben ihn ins Bett fallen und sofort zieht er mich in seine Arme. Bedrückt vergrabe ich mein Gesicht in seiner Brust. Kann dieser Mann bitte für immer bei mir bleiben? Sanft beginnt er, meinen Hinterkopf zu kraulen, was mich etwas zur Ruhe kommen lässt. „Ich werde dich vermissen...", bekommt ich schließlich in einer zerbrechlichen Tonlage heraus. Luca drückt mich noch fester an sich. „Ich werde ich auch sehr vermissen. Aber es ist ja nur für eine Woche. Wir können ja jeden Tag telefonieren und schrieben. Und ausserdem hast du die Profichallenge für mich zu gewinnen!", versucht er meine Laune zu heben, was ihm auch tweilweise gelingt. Wir liegen einfach nur da, eingekuschelt in seiner Decke und genießen den Moment.
„Ich fürchte ich muss mal langsam aufstehen, sonst verpasse ich noch meinen Zug.", beginnt Luca sich zu bewegen. Sofort ist das ungute Gefühl in meinem Bauch zurück. Doch ich weiß, wie sehr Luca sich freut, seine Familie endlich nach so vielen Wochen wiedersehen zu können. Also macht sich Luca auf ins Bad. Derweil mache ich uns schon mal einen Kaffee, ehe ich mir auch die Zähne putze und mir etwas vernünftiges anziehe. Ich habe Luca versprochen, ihn zum Bahnhof zu bringen, was ich auch nur zu gerne tue. Trotzdem wird es hart, da ich ihn ja nach wie vor nicht in der Öffentlichkeit küssen darf.
Mir kommt die Idee, Luca ein paar Brote für den Weg zu schmieren. Also widme ich mich der Arbeitsfläche in meiner Küche und beginne, Butter auf die Brote zu schmieren. Ich mache extra viele, da ich weiß, dass Luca sonst verhungern würde. Ständig ist er am Essen, egal wo, was, wann oder wie. Solange er seinen Sixpack behält, soll es mir recht sein.
Plötzlich spüre ich zwei Hände von hinten um meiner Taille. Ich vernehme den Duft eines frisch geduschten und frisch parfümierten Lucas. „Ich fürchte, ich muss mich hier schon vernünftig von dir verabschieden!", flüstert er mir in einem verführerischen Ton ins Ohr, ehe er meine Haare hinter die eine Seite meines Halses streift und meine Kopf leicht neigt. Dann beugt er sich vor und beginnt, mich von der Seite zu küssen. Sofort macht sich eine innere Wärme in mir breit. Ich lege Messer und Butter zu Seite und gebe mich voll und ganz Luca hin. Dann lehne ich mich weiter nach hinten, so dass ich seinen muskulösen Bauch an meinem Rücken spüre und neige meinen Kopf noch seitlicher, damit Luca mehr Platz hat. Ehe ich mich versehe, hat er auch schon meine Hände gegriffen und mich mit dem Rücken gegen den Kühlschrank gedrückt. Er verschränkt unsere Finger miteinander und drückt meine Hände oberhalb von meinem Kopf gegen den Kühlschrank. Er ist so nah, dass ich seinen warmen Atem auf meinen Lippen spüren kann. Dann kommt er noch näher und beginnt, mich leidenschaftlich zu küssen. Er ist so leidenschaftlich, dass mein Kopf jetzt ebenfalls gegen den Kühlschrank gedrückt wird. Zärtlich fährt er mit seinen Händen an meinen Armen entlang und schließlich an meinen Seiten herunter. Dann sieht er mir ins Gesicht, zieht mich wieder näher zu sich und gibt mir einen sanften Kuss auf die Stirn. „Ich liebe dich, Christina", flüstert er, als er sich löst. Dann nimmt er mich in den Arm und wir stehen bestimmt zehn Minuten so in der Küche, ohne dass jemand Anstalten macht, sich zu lösen.
Wie konnte ich mich in so kurzer Zeit nur so sehr verlieben? Wie kann ein Mensch nur so gut zu mir sein und mir mit einem Blick in die Augen alle Gefühle ablesen? „Du bist das Beste, was mir je passiert ist", flüstere ich in unsere Umarmung, die darauf noch intensiver wird.

Gedankenverloren lausche ich dem Geräusch, welches Lucas silberner Rollkoffer auf dem Untergrund der Kölner Hauptbahnhofs hinterlässt. Zu gerne würde ich jetzt seine Hand nehmen und einfach nah bei ihm sein. Aber das geht jetzt nicht. Wir haben beschlossen, unsere Beziehung erstmal nicht öffentlich zu machen. Zum einen wollen wir jetzt einfach ein bisschen Ruhe nach der stressigen Zeit bei Let's Dance haben und zum anderen müssen wir erstmal gucken wie wir das „Problem" Fernbeziehung lösen. Eine dauerhaft Lösung ist es sicherlich nicht, ständig zwischen Köln und Bern hin- und herzupendeln. Aber für den Anfang müssen wir das jetzt erstmal so machen.
„Gleis 11", lese ich in Großbuchstaben auf der Anzeigetafel. Ich muss schlucken. Dort steht bereits Lucas Zug, der ihn zum Flughafen bringt. Als wir uns der Tür nähern, wird Luca leben mir langsamer. Kurz vor der, für Bahnsteige typischen, weißen Linie bleibt er stehen und dreht sich zu mir. Wir haben vorher besprochen, uns hier so kurz und schmerzlos zu möglich von einander zu verabschieden. Luca sieht mir vorerst ein letztes Mal tief in die Augen. Dann zieht er mich in eine intensive Umarmung. Unauffällig küsst er leicht meine Schulter. „Pass auf dich auf!", flüstert er beschützend. Doch ich bekomme kein Wort heraus. Sofort bemerke ich wieder heißkalte Tränen auf meiner Wange. „Bis Sonntag!", bekomme ich schließlich doch heraus, ehe der Schaffner in seine Pfeife bläst und den Passagieren bedeutet, einzugreifen. Luca löst sich von mir und klettert mit seinem Koffer in den Zug. Ein letztes Mal dreht er sich zu mir um und winkt. An seinem Gesichtsausdruck kann ich erkennen, dass auch er jetzt mit den Tränen kämpfen muss. Atmen Christina. Es ist nur eine Woche. Dann schließt sich die Tür und der Zug verlässt den Bahnhof. Luca ist weg.
Auf dem Rückweg gelingt es mir kaum, mich auf das Autofahren zu konzentrieren. Umso erleichterter bin ich, dass ich es ohne Unfall und Ähnliches nach Hause schaffe. Als ich in meine Wohnung komme, merke ich direkt, dass etwas fehlt. Kein Duft von frischem Essen aus der Küche, keine Unordnung, kein singender Luca. Er ist gerade einmal eine halbe Stunde weg, aber trotzdem zerbricht mein Herz an dem Gedanken, ihn erst in über einer Woche Wiedersehen zu können. Ich schaue in den Spiegel und sehe nur ein Häufchen elend mit roten, verquollenen Augen.
„Aber das Leben geht weiter!", versuche ich mich selbst zu motivieren und etwas abzulenken. Jetzt heißt es erstmal Konzentration auf das Wesentliche - Die Profichallenge am kommenden Freitag. Christian und ich haben uns dazu entschieden, zusammen zu tanzen. Da wir vorher noch nie länger als dreißig Sekunden beim Opening zusammen getanzt haben, wird das eine große Herausforderung. Wir wollen eine heiße Lateinkür rund um das Thema „Spanien" entwickeln und die Tanzfläche zum kochen bringen. Ich freue mich wahnsinnig auf die Woche. Denn wenn diese vorbei ist, dann sehe ich auch noch endlich Luca wieder.

Liebe auf den ersten BlickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt