4 | Kronleuchter und Frühstück

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Die Klingel ertönte schon zum dritten Mal, als ich mit halb geschlossenen Augen aus dem Bett kroch, meinen Morgenmantel griff und mich gähnend zur Wohnungstür bewegte. Das vereinzelte Klingeln war einem Sturmklingeln gewichen und ich schwor, ich würde dem Störenfried eine gewaschene Abreibung verpassen, wenn er kein wichtiges Anliegen hatte. 

Es war eine Störenfriedin. 

Meine beste Freundin quietschte mir ein „Guten Morgeeeen, ich bins!" durch die Gegensprechanlage. 

Ich drückte den Summer und wartete darauf, den brünetten Lockenkopf von oben durch das Treppenhaus zu sehen. Etwas außer Atem kam Ina im obersten Stock bei mir an und drückte mich fest. 

„So schön, dich zu sehen. Aber, Gott, wann lasst ihr endlich den Aufzug reparieren?" 

Sie wischte sich theatralisch nicht vorhandene Schweißtropfen von der Stirn. 

„Wir warten immer noch auf ein Angebot", seufzte ich, „aber bis dahin stelle ich dir gern ein Sauerstoffzelt auf". Ich grinste breit. 

Ina verzog das Gesicht. „Na na, nicht so frech, es hat eben nicht jeder Lust viermal die Woche ins Fitnessstudio zu rennen wie du. Ich hab übrigens Brötchen mitgebracht, die Plundertasche, die du so gern magst und ein paar Croissants." 

Sie stellte eine Brötchtentüte von meiner Lieblingsbäckerei auf meine Anrichte im Flur und streifte sich die Jacke von den Schultern. Dabei legte sie leicht den Kopf in den Nacken und mein Blick folgte ihrem zur Decke. 

„An diesem Kronleuchter werde ich mich niemals sattsehen, aber ich habe auch jedesmal Angst, dass er mir auf den Kopf fällt. Und wenn es soweit wäre, würde ich immer noch nicht aufhören können, ihn von unten anzustarren, bis es zu spät ist. Aber erschlagen von einem antiken, wunderschönen Kronleuchter ist vermutlich immer noch ein ganz ehrbarer Tod, oder?", sinnierte sie. 

Ich griff die Brötchentüte. „Komm jetzt, damit du wenigstens noch einen Kaffee trinken kannst, bevor du ins Gras äh den Kronleuchter beißt". 

Aber ich wusste, was Ina meinte. Der Kronleuchter entstammte der barocken Zeit und hing lange in einem alten Schloss, bis es immer mehr herunterkam und der Kronleuchter gerettet werden konnte, bevor er mit dem Schloss zusammenstürzte. In meiner Wohnung gab es einige antike Stücke, die ich mühselig durch verschiedene Antiquariate erhalten hatte. Außerdem lagen in den meisten Räumen alte Holzdielen und die hohen Wände im Wohn- und Schlafzimmer waren noch mit Stuck verziert. 

Ich liebte diese Wohnung. Sie war zu groß für eine Person und hatte viel mehr Geld gekostet, als ich eigentlich für eine Wohnung in Berlin ausgeben wollte, aber ich hatte mich bei der ersten Besichtigung sofort in sie verliebt. Es war, als hätten die alten Dielen, die zu dem Zeitpunkt klapprigen Fenster und der Stuck an der Decke mir zugeflüstert: „Willkommen zu Hause". Also war ich geblieben. 

„Die Nutella ist ja steinhart, welcher Mensch stellt Nutella in den Kühlschrank?", jammerte Ina aus der Küche. 

Ich verdrehte schmunzelnd die Augen, wusch mich schnell im Bad und tauschte meinen Morgenmantel gegen eine bequeme Leinenhose und einen weißen Pulli.

Wenig später saßen wir mit dampfenden Tassen, Brötchen und Croissants, Obst und viel Gelächter an meinem Küchentisch. 

„Ich sag dir, eines Tages bringt sie mir einen vergifteten Apfel vorbei wie bei Schneewittchen", jammerte Ina theatralisch. 

Ich lachte. Die Mutter von Inas Mann Stefan war womöglich irgendwo tief drinnen eine herzensgute Frau, aber nahm mit der Rolle als Schwiegermonster Vorzug. Sie nahm bei jedem Besuch Inas und Stefans Wohnung mit Argusaugen in Augenschein, hatte dabei immer ungebetene Verbesserungsvorschläge zur Einrichtung und zur Sauberkeit und Inas Essen stellte sie sowieso nie zufrieden. 

Sonne und Mond (Kontra K)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt