40 | Zwischen eisblauen Augen und Knast-Tattoos

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Ich hoffe, ihr hattet schöne Feiertage und ich wünsche euch einen guten Rutsch ins neue Jahr und ein ganz zauberhaftes 2021 💫

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Für einen Moment sprachlos blieb ich mitten im Raum stehen, meinen Blick auf die tätowierten Haie an Grados Hals geheftet. Diese Haie, die sinnbildlich für Grado und mein verlorenes Kind immer wieder in meinen Träumen aufgetaucht waren. Mir den Frieden im Schlaf geraubt hatten, mich immer wieder an all das erinnert hatten, was ich tagsüber versucht hatte zu verdrängen und mir damit die Chance genommen hatten, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen und Frieden mit mir selbst zu schließen. Seit zwei Jahren ließen sie mich nicht zur Ruhe kommen. 

Ich schluckte schwer, ließ meinen Blick etwas höher wandern und traf auf Grados eisblaue Augen, die mich anstarrten. Es war nicht das Blau von Augen, das einem Ruhe oder Sturm oder Abenteuer versprach oder einen warmen Sommerhimmel spiegelte. Es war ein totes Blau. Ein eisiges Blau, das von Kälte und Schärfe erzählte. Grados Augen waren wie aus purem Eis. 

„Na mein Junge", holte mich eine zärtliche Stimme aus meinen Gedanken, die überraschenderweise Grado gehörte und die ich noch nie von ihm vernommen hatte. 

Ich hatte nicht bemerkt, dass er seinen Blick bereits von mir genommen hatte und Max begrüßte, der mit einem freudigen Lächeln und erhobener Hand auf seinen Onkel zuging. Die beiden zogen sich in die Arme und klopften sich gegenseitig auf die Schultern. Dann schob Grado Max ein Stück von sich, hielt ihn an den Oberarmen fest und betrachtete ihn. 

„Hast du noch mehr Tattoos als beim letzten Mal?" 

Max seufzte. „Das fragst du jedes Mal." 

Sie kicherten beiden. 

„Nein, hab ich nicht", beantwortete Max sodann die Frage. 

„Wenn man uns so ansieht, würde man eher mich für den Besucher und dich für den Gefangenen halten", sagte Grado grinsend, „das sind echt richtige Knast-Tattoos die du hast." 

Er schob einen Ärmel von Max Pullover hoch, der ihn sofort lachend wegdrückte. 

„Lass mich, ich find einige selbst nicht mehr gut". 

Beide lachten. Es war nicht zu übersehen, wie vertraut sie miteinander waren. Grado sah seinen Neffen- ich fand es immer noch komisch, jemanden als Onkel oder Neffen zu bezeichnen, mit dem man tatsächlich gar nicht verwandt war- liebevoll an und ich glaubte, ein wenig Stolz in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Er liebte Max, das war nicht zu leugnen. 

„Reicht jetzt", schnitt die klare Stimme eines der Wärter durch die Neckereien der beiden. 

Die beiden ließen sofort voneinander ab und bewegten sich auf den großen Tisch zu, auf den der Wärter zeigte. Ich machte ein paar Schritte auf die Männer zu. 

„Das ist Maja", sagte Max in dem Moment, drehte sich zu mir und schlang mir seinen Arm um die Hüfte, „ich hab dir von ihr erzählt." 

Jetzt sah Grado mich geradewegs an. Auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln, das freundlich wirkte. Aber es konnte nicht über den skeptischen Blick in seinen Augen hinwegtäuschen. Er zwinkerte nicht, als er mich musterte. 

„Artjom, freut mich", sagte er schließlich und streckte mir seine große Hand hin. 

Winogradow, ergänzte ich innerlich seinen Nachnamen, ergriff seine Hand und räusperte mich. 

„Maja, freut mich auch", erwiderte ich und zwang ein halbherziges Lächeln auf meine Lippen. 

Sein Händedruck war fest. Kurz schien der Druck um meine Hand noch fester und ich sah von unseren Händen hoch in sein Gesicht, das mich weiterhin unverwandt anschaute. Hatte ich mir das bloß eingebildet oder hatte er meine Hand kurz fester gedrückt, um mir ein Zeichen zu senden? Ein Zeichen, dass er mich erkannte? Ein Zeichen, dass er wusste, dass ich mit dafür verantwortlich war, dass er hier saß? Oder spielte mein Gehirn mir einen Streich? 

Sonne und Mond (Kontra K)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt