Gelbe, rote und grüne Lichter mischten sich, spiegelten sich auf den Windschutzscheiben entgegenkommender Autos und verschwammen zu einem Meer aus Lichtern. Seufzend wickelte ich meine Decke noch etwas fester um meine Beine und lehnte den Kopf an die Fensterscheibe.
Wenn mein Gedankenkarussell sich anfing zu drehen und so schnell wurde, dass mir drohte schwindelig zu werden, setzte ich mich oft auf den breiten Sims meines Wohnzimmerfensters und schaute auf die Straße hinunter. Beobachtete, wie die Ampeln im regelmäßigen Rhythmus ihre Leuchtfarben wechselten, Autos vorbeifuhren und Menschen die Straßenseiten wechselten, manche hastig, manche gemütlich. Von hier oben hörte ich bei geschlossenem Fenster keinen Straßenlärm, aber sah den Verkehr durchtränkt von Lichtern fast schon gemächlich und ruhig vorbei schwimmen. Ihn zu beobachten beruhigte mich. Wie als wenn ich kurz aus der Welt ausgestiegen wäre und für einen Moment der Verschnaufpause auf das Geschehen unten herunterblicken könnte.
Mein Gedankenkarussell um Max, Mark, Grado, mein verlorenes Kind und die momentane Situation drehte sich jetzt immer langsamer und blieb dann bei Max stehen.
Max. Oh Max. Mir steckte unser Streitgespräch von gestern Nachmittag immer noch in den Knochen.
Ich dachte du wärst anders, obwohl du aus dieser Welt kommst. Aber vielleicht, vielleicht hab ich mich geirrt.
Die Worte hatten wehgetan. Ja, ich hatte eine gute Strafverteidigerin sein wollen. Nein, ich wollte nie so abgebrüht sein wie manch anderer, war nie auf Macht oder Geld aus und wäre niemals für einen Verteidigungserfolg über Leichen oder meine moralischen und rechtlichen Grenzen gegangen. Oder hätte Beweismittel unterschlagen wie Mark. Niemals hätte ich so werden wollen wie Wesskamp oder Mark. Anwälte, die in ihrem Job nicht mehr die verfassungsrechtliche Aufgabe der Verteidigung sahen, sondern hauptsächlich sich selbst- denen es im Grunde nur noch um ihren Sieg und nicht den der Rechtsstaatlichkeit ging. Um ihr Ego, ihr Geld, ihre Macht. Und dass Max mir scheinbar genau das unterstellte oder jedenfalls in Erwägung zog, schmerzte. Und es beleidigte mich. Ein klein wenig Wut mischte sich in meine Gefühle. Wie kam Max dazu, mir so etwas an den Kopf zu werfen und dann auch noch auf diese Art und Weise? Ich biss mir auf die Lippe.
Scheinbar hab ich ja wirklich allen Grund dir zu misstrauen.
Der Satz hatte am meisten wehgetan, hatte sich angefühlt, als würde mir jemand langsam Stück für Stück ein großes Pflaster von der Haut ziehen.
Max vertraute mir nicht wirklich. Er dachte, ich würde ihn hintergehen, es nicht ernst mit ihm meinen, würde hinter seinem Rücken noch meinen Ex treffen, mir Blumen von ihm schicken lassen und zweigleisig fahren. So ein Bullshit.
Aber aus Max Sicht wohl nicht so weit hergeholt. Hatte ich ihm nicht den Grund für meine Albträume verheimlicht, obwohl er danach gefragt hatte? Hatte ich mich nicht den ganzen Tag nicht bei ihm gemeldet, nachdem wir die Nacht zusammen verbracht hatten? Hatte ich nicht auf seine Fragen nach der Blumenlieferung auf meinem Schreibtisch herumgestottert? Und hatte ich nicht in einer Umarmung mit meinem Exfreund vor einem Café gestanden?
„Verdammt", stieß ich leise hervor und rieb mir über die Augen. Die Lösung schien zum Greifen nah und war doch so viel komplizierter: Ich könnte ihm alles erzählen. Alles. Mark, das verlorene Kind, Grado, der Stick, mein Verrat. Damit er verstand, dass ich ihn nicht hinterging, kein Spiel spielte und nicht unehrlich war. Aber der Zwist war:
Wie sollte ich ihm meine Ehrlichkeit beweisen, wenn gerade das, was ich zu erzählen hätte, meine Unehrlichkeit preisgab?
Wie sollte er mir glauben, dass ich ihn niemals hintergehen würde, wenn er wüsste, dass ich meinen ehemaligen Partner hintergangen hatte?
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Sonne und Mond (Kontra K)
FanfictionMaja, eine junge, talentierte Anwältin trifft in Berlin auf Max, einen tätowierten Rapper. Ihre Welten und Ansichten sind so verschieden wie Sonne und Mond und doch bringen sie sich zum Strahlen; die Anziehung zwischen den beiden ist greifbar. Doch...