Kapitel 19

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Als Destiny die Augen aufschlug, erblickte sie eine graue Betondecke. „Wo zum Geier bin ich?", murmelte sie heiser. Vorsichtig richtete sie sich auf und spürte sofort, das ihr Körper mit Schmerz protestierte. Ihre Augen wanderten langsam durch den Raum. Er war klein und leer. Durch ein vergittertes Fenster drang Licht herein, reichte jedoch nur für eine Dämmeratmosphäre. „Gefängnis, huh", Destiny stand langsam auf und ging mit unsicheren Schritten zum Fenster. Vor ihr erstreckte sich die Plattenoberseite Midgars im Licht der Mittagssonne. Sachte legte sie eine Hand an die Scheibe: „Ich hoffe, ihr seid sicher in den Slums", murmelte sie leise.

Langsam kehrte sie zu der Pritsche zurück, auf der sie aufgewacht war und ließ sich darauf nieder. Jede Bewegung tat weh. Hatte sie wirklich so viele Treffer eingesteckt? Vorsichtig inspizierte sie ihren Körper und fand zahlreiche Verbände an ihren Armen, Schultern und am Oberkörper, auf ihrer Wange klebte ein breites Pflaster. Jemand hatte ihre Haare geschnitten, Genesis musste sie abgefackelt haben, und sie in ein schlichtes T-shirt und eine Jogginghose gesteckt.

Seufzend streckte sie sich auf der Pritsche aus. „Wie geht's jetzt weiter?", fragte sie sich selbst. Ihre Gedanken schweiften dank der Stille zum vorangegangenen Kampf. Sie war dumm gewesen zu glauben Angeal besiegen zu können. Das hatte sie schon beim ersten mal nicht geschafft, zumindest nicht allein. Sie und ihr dämlicher Stolz! Sie hätte ihn nicht herausfordern dürfen. Aber was war die Alternative? Sie wären ihnen gefolgt, hätten sie gejagt. Es war richtig zurückzubleiben, doch welchen Preis würde sie selbst zahlen?

Sie verstrickte sich in ihren Gedanken und bemerkte in den ersten Sekunden nicht, wie jemand den Raum betrat. Erst, als ein Schatten auf sie fiel, wurde sie sich dem Besucher bewusst. Erschrocken zuckte sie zusammen und starrte die Gestalt, die sich an die gegenüberliegende Wand, neben das Fenster gelehnt hatte, mit großen Augen an.

„Du bist aufgewacht", stellte Angeal fest, die Arme vor dem Körper verschränkt. Destiny setzte sich auf und zog die Beine an, den Rücken gegen die Wand hinter ihr gelehnt. „Schon vor ner Weile", murmelte sie leise und blickte zur Seite. Sie spürte, wie sich die dünne Matratze am Fußende senkte. Angeal hatte sich also zu ihr gesetzt. „Warum?", fragte er. „Warum, was?", fragte sie patzig und umfasste ihre Knie fester. Sie wollte dieses Gespräch nicht führen. Entgegen ihrer Erwartungen blieb Angeal jedoch weiterhin ruhig: „Warum hast du dich doch Avalanche angeschlossen? Sie sind es doch, die du in den Slums aufgesucht hast, wenn du sagtest, du besuchst deine Familie, oder nicht?" Destiny schwieg und vermied es ihn anzusehen. Sie wollte nicht in seine Augensehen. „Wie lange geht das schon so?", fragte Angeal interessiert weiter. Destiny drängte sich enger an die Wand und wartete lange mit einer Antwort, doch Angeal ließ nicht locker. „Zehn Jahre, vielleicht mehr", murmelte die Rothaarige tonlos. Sie konnte sich denken, wie Angeal sie jetzt ansah, mit hochgezogener Augenbraue. Die wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. „Wieso hast du dich dann SOLDAT angeschlossen?", fragte er weiter. Destiny gab die kürzeste Antwort, die ihr auf die Schnelle einfiel: „Informationen sammeln." „Du warst zum spionieren hier", stellte Angeal fest. Destiny nickte nur stumm.

Sie hatte keine Lust dieses Thema weiter auszuweiten und wechselte es: „Wie geht's den anderen?", fragte sie also und hob endlich den Blick. Angeal stützte die Arme auf die Knie und seufzte: „Ihr habt ganz schön Probleme gemacht. Das muss man euch lassen. Ihr seid Profis." „Wie meinst du das?", fragte sie neugierig. Er wandte sich ihr zu und lächelte schief: „Du hast Sephiroth die Nase gebrochen und eine Rippe, von seinem Stolz mal abgesehen. Ich wüsste ja wirklich gerne, was du zu ihm gesagt hast. Er hasst dich mehr denn je." Destiny erlaubte sich ein zufriedenes Lächeln. Er hatte bekommen was er verdiente. „Musste das mit seinem Schwert wirklich sein?", wollte Angeal wissen. „War wahrscheinlich das Adrenalin. Wir konnten uns noch nie leiden", antwortete sie schmunzelnd, „Und Genesis?", Destinys Interesse war geweckt, außerdem hatte er ihr ein wenig leid getan. Cloud hatte wenig Gnade walten lassen. „Er hatte viele Wunden und hat einige Tage lang geschlafen, doch es geht ihm langsam besser. Dein Freund muss ein sehr starker Kämpfer sein.", erzählte Angeal. Destiny überhörte seine Bemerkung über Cloud. Da fiel ihr etwas ein: „Wie lange war ich eigentlich weg?" Angeal kratzte sich am Kinn: „Ich glaube eine Woche. Hast ganz schön was abbekommen. Dein Leichtsinn ist bemerkenswert."

Destiny ließ die Worte auf sich wirken. Eine Woche, so lange hatte sie noch nie ohne Bewusstsein verbringen müssen. Ein Gedanke durchzuckte sie plötzlich: „Was willst du wirklich Angeal? Du solltest eigentlich sauer auf mich sein. Ich habe erwartet, das du mich bei unserem nächsten Aufeinandertreffen umbringen wirst." Angeal schwieg daraufhin und rieb sich den Nacken. Die Stille, die zwischen ihnen entstand, war fast greifbar.

Angeal antwortete schließlich doch: „Ja, anfangs war ich tatsächlich sauer. Aber als ich erkannt habe, warum du es getan hast, konnte ich dein Verhalten beinahe verstehen. Du bist sehr loyal gegenüber deiner Freunde und willst ihnen helfen. Aber dieser Weg war der falsche, deswegen mussten wir euch mit allen Mitteln bekämpfen. Außerdem hatte Zack die Beule nicht verdient. Sieh unseren Kampf, als Rache für meinen Schüler", erklärte er. Destiny schnaubte und sah Angeal spöttisch an: „Mit allen Mitteln sah aber nicht besonders eindrucksvoll aus", bemerkte sie. Der Erste sagte dazu nichts, sondern warf ihr etwas Glänzendes zu. Sie fing es und blickte ihn mit einem fragenden Blick an. „Ist doch deiner, oder nicht?", er ließ wieder ein leichtes Lächeln sehen. Destiny nickte schnell. „Danke", sagte sie leise und drehte den Anhänger zwischen ihren Fingern.

Sie setzte sich bequemer hin: „Wie geht's jetzt weiter? Bringt ihr mich gleich um, oder darf ich hier drin mein restliches Leben lang verrotten?" erkundigte sie sich nüchtern. „Wir haben diesbezüglich noch keine Information bekommen. Der Direktor lässt sich damit wohl Zeit", offenbar sollte dieser Satz sie beruhigen, doch Destiny durchschaute die Masche schnell: „Er will Antworten,die ich ihm nicht geben werde. Meine Leute könnt ihr nicht fangen", ihr Blick verfinsterte sich. „Was...?", Angeal schien ihr nicht folgen zu können, verstand ihr plötzliches Misstrauen nicht. Die Rothaarige stand auf und ging zum Fenster: „Ihr wollt wissen wo sie sind, wer sie sind. Deswegen bist du hier, nicht wahr?" Sie ballte die Hände zu Fäusten. Hinter sich hörte sie, wie Angeal aufstand und hinter sie trat. Als er seine Hand auf ihre Schulter legen wollte, drehte sie sich um und hielt diese fest. „Du solltest gehen Angeal. Unsere Zusammenarbeit war beendet, als ich Zack die Beule verpasst habe. Wir können einander nicht mehr vertrauen."

Angeal befreite seinen Arm aus ihrem festen Griff: „Du weißt, dass du mir vertrauen kannst. Wir könnten dir helfen", sagte er eindringlich. Destiny sah mit festem Blick zu ihm auf: „Ihr wisst nicht ob ihr mir trauen könnt. Das wird euer Problem werden, mal abgesehen von dem Verrat den ihr begehen würdet. Du weißt Angeal Hewley, ich verspreche niemals etwas. Wenn ihr mich freilasst, würde ich euch zu meinen Leuten führen. Früher oder später hätte ShinRa die Antworten die er braucht. Ich habe keinen Grund eure Hilfe anzunehmen, nicht wenn sie in Gefahr geraten könnten.", sprachs und wandte sich sich wieder von ihm ab. „Du vertraust uns nicht?", Angeal klang etwas enttäuscht. „Deine Freunde haben keinen Grund mir zu vertrauen und ich habe Soldaten noch nie weiter vertraut, als ich sie werfen kann." erwiderte sie kopfschüttelnd.

Sie wollte zwar aus diesem Gefängnis heraus, doch sie wollte weder Angeal, noch jemanden anderen zum Verräter machen. Schon gar nicht, wenn sie sich nicht sicher sein konnte, dass sie alle wirklich auf der gleichen Seite standen. Sie könnte ShinRa jederzeit zu Avalanche führen und genau das war es, was sie unbedingt verhindern musste. „Du solltest gehen Angeal. Es ist vorbei, wie du gesagt hast", Destiny sprach nur leise, wollte eigentlich nicht wieder allein sein, doch seine Gegenwart gefiel ihr nicht. Angesprochener murmelte eine Verabschiedung, bevor seine Schritte sich entfernten und die Tür ins Schloss fiel.

Schatten über ShinRaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt