16 Der unfreiwillige Sündenbock

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H A R R Y

Mark klopfte ungeduldig mit den Fingern auf dem Lenkrad herum, doch ich wollte ihr bis zur letzten Sekunde nachsehen. Ich wusste, dass am Flughafen ein Privatjet auf mich wartete, der mich nach Madrid fliegen sollte und wir jetzt schon spät dran waren, doch der gestrige Abend hatte mir deutlich gemacht, dass ich mir viel zu wenig Zeit für Lena nahm. Und das tat mir im Herzen weh.

„Harry, we-"

„One minute, Mark", unterbrach ich ihn harsch, ohne den Blick von meiner Freundin zu nehmen. Ich sah, wie sie auf ein anderes Mädchen zuschritt, das ich von Fotos kannte und auch beim Meet and Greet angetroffen hatte. Clara.

Ich lächelte. Es beruhigte mich auf eine merkwürdige Art und Weise Lenas Umfeld zu sehen. Wie sie lebte, mit wem sie sich umgab, was sie gern tat. Immer wenn ich solche Kleinigkeiten aus ihrem Leben aufschnappen konnte, sog ich sie wie ein Schwamm in mir auf. Sie gaben mir ein Gefühl von Normalität, die in meiner Schnelllebigkeit leider viel zu kurz kam. Lena war mein Anker zu meinem wahren Ich und für kein Geld der Welt würde ich das wieder hergeben.

Genau deswegen tat ich mich mit dem Gedanken so schwer sie mit in das Licht der Öffentlichkeit zu ziehen. Ich konnte sie verstehen und ein Teil von mir wünschte es sich mehr als alles andere, sie ohne das Versteckspiel, rund um die Uhr bei mir haben zu können. Aber sie wusste nicht im Ansatz, was für Folgen das haben würde. Sie sollte froh sein noch dieses normale Mädchen sein zu können.

Kurz bevor Lena im Inneren ihrer Schule verschwand, drehte sie sich noch einmal um. Mit zielsicherem Blick traf sie auf meinen und würde ich nicht wissen, dass die Scheiben von außen uneinsichtig waren, würde ich denken, sie schaute mir direkt in die Augen. Ich wusste nicht, womit ich sie verdient hatte und der gestrige Abend hatte mir schmerzlich bewusst werden lassen, dass ich sie irgendwie als selbstverständlich angenommen hatte. Wie konnte ich nur so dumm sein?

Plötzlich folgte Clara Lenas Blick. Unbewusst sank ich tiefer in meinen Sitz, auch wenn sie mich nicht sehen konnte. Es dauerte nicht lange und meine Freundin verschwand schließlich mit den anderen im Schulgebäude. Der Pausenhof leerte sich.

„Now we can drive to the airport."

Mark gab ein erleichtertes Geräusch von sich und startete den Motor. Der Berliner Verkehr war der reinste Horror und doch kamen wir meiner Meinung nach viel zu schnell am Flughafen an. Meine Laune hielt sich in Grenzen und ich bezweifelte, dass sich das bis zum Auftritt heute Abend großartig ändern würde. Der ganze Bullshit der letzten Tage steckte mir in den Knochen und ich wollte nur abschalten. Am liebsten auf einer Insel, ganz weit weg. Nur Lena und ich.

Die bekannt nervenaufreibende Prozedur mich durch die Gates zum Rollfeld zu schleusen, hatten wir Gott sei Dank schnell hinter uns gebracht und als ich dann knapp dreieinhalb Stunden später aus dem Flugzeug stieg, schrieb ich als erstes Lena, dass ich gut in Madrid gelandet war und mich auf direktem Weg zum Stadion befand, in dem das heutige Konzert stattfinden würde. Ich hätte mir gewünscht, dass sie mir sofort antworten würde, aber ich wusste, dass sie in der Schule keine Zeit dazu hatte.

Seufzend ließ ich mein Handy auf meinen Schoß sinken und starrte aus dem Fenster. Auf meinem Bildschirm wurden mir zwar noch unzählige entgangene Anrufe und tausende ungelesener Nachrichten angezeigt, doch das war mir gerade herzlichst egal.

Die Begrüßung im Stadion fiel nicht freundlicher aus.

Jeder, der meinte seine Meinung äußern zu dürfen, pampte mich an, wo ich denn zum Teufel gesteckt hätte. Mit zusammengebissenen Zähnen und starrem Blick versuchte ich so viel zu ignorieren wie es eben ging, doch es fiel mir schwer die ganzen Vorwürfe unkommentiert zu lassen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 19, 2020 ⏰

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