Loser with a Chance

10

Um 8.40 Uhr waren Ian und ich dann bei Raum 12 angekommen.
Er klopfte an die Tür und öffnete sie, nachdem eine Stimme "herein" sagte.
Die Lehrerin schaute uns streng an.
"40 Minuten zu spät. Wie kommt das?",fragte sie mit zusammengekniffenen Augen.
"Sie ist neu und hat sich verlaufen", antwortete Ian belegt und deutete auf mich.
"Okay, und sie, Mr. Hosterman? Sie sind nicht neu, oder?", fragte die Lehrerin provokant.
"Nein, aber ich bin sowas wie ihr Pate an der Schule und soll ihr deshalb nicht von der Seite weichen", log Ian und grinste.
Die Lehrerin hob eine Augenbraue und musterte jeden von uns genaustens.
"Setzt euch", sagte sie anschließend nur und entließ uns aus dem Verhör.
Es waren nur noch zwei Plätze frei, einer war hinten im Raum und der andere ganz vorne.
Ian setzte sich sofort nach hinten, weshalb ich nach vorn musste.
Na toll.
Ich hatte mich gerade hingesetzt und meine Englisch-Sachen ausgepackt, als die Lehrerin mich aufrief:"Wenn Sie neu sind, Miss Roberts, fände ich es schön, Sie würden sich mal vorstellen."
Oh nein.
Das war so ziemlich das größte Horror-Szenario, was ich mir hätte ausmalen können.
"Kommen Sie doch nach vorn", fügte sie hinzu und machte eine einladende Geste.
Ich schluckte.
"Äh, muss das sein...? ... Ich - ich - uhm...", stammelte ich und machte vermutlich alles nur noch schlimmer.
Ein paar Schüler kicherten.
"Ja, kommen sie", drängte die Lehrerin mich.
Ich mochte solche Lehrer nicht.
Das war wirklich ein Albtraum.
Wiederwillig stand ich auf und ging nach vorn zur Tafel. Ich atmete einmal tief durch, bevor ich anfing zu sprechen.
"Uhm...Mein Name ist Hazel Roberts, ich bin 16 Jahre alt und ich... Ich bin aus New Jersey hergezogen"
"Dann herzlich willkommen in England, Miss Roberts. Sagen Sie, vermissen Sie America?"
Was ging sie das bitte an!?
Ich schaute auf meine Füße, denn in die Gesichter meiner Mitschüler wollte ich nicht sehen.
"Nein", antwortete ich schlicht und ohne Umschweife.
Und es war die Wahrheit.
Hier war mein Leben auch nicht perfekt, aber in New Jersey war es die Hölle.
Dort wurde ich beispielsweise mal von ein paar Schülern schmerzhaft festgehalten, während sie mir gegen meinen Willen die Haare schnitten.
Ich hatte es niemandem erzählt, aus Angst, es könne mir noch mehr Ärger machen.
Meine Mum hatte auch nichts bemerkt.
Ich hab mich so elend gefühlt.
So schwach.
So wertlos.
So allein.
Bei der Erinnerung durchfuhr mich ein Schauer.
Also nein, ich vermisste Amerika nicht.
"Alles gut bei Ihnen?", fragte die Lehrerin plötzlich und fasst mich bei der Schulter.
Ich schüttelte die Erinnerungen ab.
"Ja, tschuldigung", antwortete ich und beeilte mich, mich wieder zu setzten.
Das war gerade alles absolut schrecklich.
Ein paar Minuten später klingelte es zum Glück und die Stunde war vorbei.
Ich stopfte wieder alles in meinen Rucksack und kramte nochmal meinen Stundenplan-Papier-Ball heraus.
Ich strich ihn glatt und wollte lesen, was drauf stand, als er mir aus der Hand gerissen wurde.
"Ah, Literatur in Raum 22. Ich hab jetzt Geschichte in Raum 21. Wir können also zusammen gehen.", sagte Ian neben mir, der meinen Stundenplan musterte.
Seine plötzlich Nähe raubte mir für einen Moment den Atem, dann fing ich mich jedoch wieder einigermaßen.
"Okay", antwortete ich und schulterte meinen Rucksack.
"Okay", bestätigte er.
Er stopfte meinen Stundenplan in das Seitenfach meines Rucksacks und wir gingen los.