Sechsundsiebzig

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Chloé

Endlich war ich zuhause angekommen. Nach einem langen Tag und anstrengenden Training konnte ich es kaum erwarten heim zu kommen. Jedoch endete mein Tag hier nicht. Da Sarah mich quasi versetzt hatte, weil sie etwas mit Nate machen wollte stand Lernen auf meinem Plan. Eigentlich hatte ich mich mit ihr auf einen entspannten Abend vor dem Fernseher gefreut, doch sie hatte andere Pläne. Selbstverständlich gönnte ich es ihr und war auch froh, dass ihr Bruder sich um sie kümmerte. Mittlerweile hatte ich das Gefühl, dass es Sarah mittlerweile wieder etwas besser ging. Natürlich bedrückte sie die ganze Sache noch ziemlich, sie war verständlicherweise sauer und traurig zugleich. Doch es war die Sarah die ich kannte, nicht mehr nur eine Hülle ihres Körpers. Langsam aber sicher kam wieder Leben in den Körper, die Persönlichkeit kam zurück. Zwischendurch hatte ich mir wirklich Sorgen gemacht, ich habe meine beste Freundin nicht mehr wiedererkannt. Sie hat kaum noch gegessen, war mit ihren Gedanken ständig woanders, wollte das Haus nicht mehr verlassen und selbst in der Schule war ihr alles egal. Sie war nicht mehr die verantwortungsbewusste, korrekte und liebevolle Person die ich kannte. Immer hatte ich das Gefühl, dass ein Roboter neben mir saß. Zurecht wies sie alle ab, zog sich zurück und brauchte viel Zeit für sich. Offensichtlich ging es ihr ziemlich beschissen und ich machte ihr auch nie einen Vorwurf daraus. Ich wusste wie sich sowas anfühlte, wenn der Schmerz kaum auszuhalten war und man denkt, dass er nie mehr enden würde. Wenn alles um einen herum plötzlich irgendwie unwichtig wirkt, man versucht nur noch zu existieren und alles versucht zu verdrängen. Wenn doch die Dämonen, die man am Tag verdrängt hat in der Nacht zum Vorschein kommen und man kaum in den Schlaf findet. Natürlich war ich für Sarah da, tröstete sie so gut es eben ging und versuchte alles zu tun um sie aus ihrem Schneckenhaus zu locken. Zwischendurch gingen wir sogar einige Male Essen oder setzten uns ins Auto und fuhren ziellos durch New York dabei hörten wir ganz laut Musik, schwiegen. Manchmal schüttete sie mir ihr Herz aus, manchmal blieben wir beide ganz still. Wir machten fast jeden Tag etwas zusammen. Sonst kümmerte sich Nate um seine Schwester. Seit einigen Tagen schien Sarah es wirklich etwas besser zu gehen, vielleicht hatte sie die schmerzhafteste Phase überwunden oder es hatte einen anderen Grund. Vielleicht lag es an der Aussprache zwischen Brad und ihr. Zwar wusste ich, dass die beiden nochmal miteinander sprechen wollte jedoch nicht zu welchem Ergebnis sie gekommen sind. Ob Sarah ihm vergeben kann oder nicht. Weder Brad noch Sarah hat darüber mit mir gesprochen. Und ich wollte sie auch nicht nerven, sie würden es mir schon erzählen wenn es soweit ist. Meinem Bruder ging es nicht viel besser. Zwar lenkte er sich die meiste Zeit ab, tat so als ob nicht gewesen wäre aber ich wusste, dass dem nicht so ist. Wenn ich mal zuhause schlief, hörte ich ihn abends sogar manchmal weinen. Ich sprach ihn nicht darauf an, doch ich wusste wie sehr es ihn mitnahm. Ich erkannte es allein schon an seiner Stimme, der Mimik und wie oft er mit den Jungs um die Häuser zog. Obwohl ich ich auf der Seite meiner besten Freundin stand, wollte ich auch für meinen Bruder da sein. Natürlich hatte Sarah jedes Recht sauer auf ihn zu sein, ich verstand das aber Brad war immer noch mein Bruder. Ich wollte nicht, dass er litt. Dennoch blieb mir heute nichts anderes übrig als vor den schweren Büchern zu sitzen, zu büffeln und wahrscheinlich um zehn Uhr tot müde ins Bett zu fallen. Mason war auch schon mit Travis unterwegs, also blieb mir keine andere Wahl. In letzter Zeit sahen wir uns aufgrund der Umstände nicht wirklich oft außerhalb der Schule. Wenn dann nur am Abend, nachdem wir beide gelernt haben und ich mich nicht um Sarah kümmerte. Ich wusste, dass Mason viel zu kurz kam. Auch wenn er es nie zugeben würde, vermisste er die gemeinsame Zeit mit mir und es störte ihn schon. Denn wir schliefen nur nebeneinander ein und am nächsten Morgen hatte wir auch nicht viel Zeit zusammen.
Doch als ich nach Hause kam, wendete sich das Blatt. Überraschenderweise fand ich Mason bei uns vor, der mit Brad vor dem Fernseher hing. Ich war glücklich meinen Freund zu sehen, gleichzeitig aber auch ziemlich perplex. Zumal ich damit gar nicht gerechnet hatte, anscheinend hat er wirklich etwas geplant. Zwar wollte Mason mir nicht wirklich sagen was er vor hatte, aber alles war besser als an einem Freitagabend zuhause zu sitzen und zu lernen. Und wenn wir beide zusammen waren, war es eh immer perfekt. Mir blieb auch nicht wirklich viel Zeit um die Füße hochzulegen, denn Mason drängte mich dazu mich fertig zu machen. Warum auch immer hatte er es auf einmal ziemlich eilig. Schließlich folgte er mir in mein Ankleidezimmer, wo ich mich zunächst auszog, meinen Morgenmantel überwarf und erstmal an meinen Schminktisch setzte um mein Make- up zu machen. Ich ließ mich nicht von Mason beirren, der mich zunächst anstarrte und dann in meinem Zimmer rumschlich. Erst als er auf mich zukam um mich zu Küssen wurde ich abgelenkt. Doch bevor es zwischen uns eskalierte, konnte ich ihn davon überzeugen auf später zu warten. Für einen kurzen Moment konnte ich mich in Ruhe weiter schminken. Allerdings konnte ich Mason nicht aufhalten, dass er sich in dem Raum umguckte. Eigentlich war es mir egal, schließlich hatte ich keine Geheimnisse vor meinem Freund. Trotzdem hatte ich eine Sache nicht bedacht. Die Zusage für The University of Oxford. Vor wenigen Wochen hatte ich Post aus London bekommen, zwar habe ich mir den Brief durchgelesen und auch wahrgenommen, dass ich angenommen wurde. Jedoch hatte ich dem Ganzen keine weitere Beachtung geschenkt. Ich war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, mein Kopf war zu voll mit Problemen und mit dem Schulstoff, den Abschlussprüfungen. Also habe ich den Brief einfach zur Seite gelegt und nicht mehr angerührt. Zu offensichtlich lag er dort offen. Ehrlich gesagt habe ich Oxford schon ganz vergessen. Bis Mason dieses Schreiben fand und mich drauf ansprach. Natürlich war er sauer und angepisst. Die Reaktion die Mason mir gegenüber zeigte konnte ich nachvollziehen. Letztlich wollte ich es ihm gar nicht erzählen, weil es für mich gar nicht mehr zur Debatte stand. Eigentlich habe ich nicht mehr vorgehabt nach London zu ziehen, ich war happy hier in New York, bei meinen Freunden und Mason. Ich habe mich in einer Zeit dort beworben in der ich nicht mehr wusste, ob ich hier in dieser Stadt glücklich sein werde. In einer Zeit, in der mein Vater tausende Kilometer weit weg wohnte. In der Mason und ich kaum Kontakt hatten, ich mir nicht sicher war was er für mich empfand. In einer Zeit in der ich einfach nicht mehr wusste ob New York das Richtige für mich war, in der mich hier nicht mehr viel hielt. Das Verhältnis zu meiner Mutter war sowieso noch nie beständig gewesen. Außerdem war die Scheiße mit Shawn noch nicht ganz vom Tisch. London wäre ein Zufluchtsort geworden, eine Stadt in der ich durchaus mir vorstellen konnte zu leben. Doch es kam anders, die Wogen hatten sich geglättet und ich war guter Dinge. Mason und ich kamen zusammen, mir ging es einfach besser. Trotzdem hatte diese Entscheidungen Nachwirkungen. Eigentlich hätte ich diesen Brief vernichten sollen. Es war meine eigene Schuld, dass Mason ihn fand. Vielleicht war es auch unbewusst pure Absicht von mir, dass ich hoffte er würde die Zusage finden. Mason sollte es nicht so herausfinden. Zugeben hatte ich nicht vorgehabt es ihm zu sagen weil es mittlerweile unwichtig für mich war. Ich hatte meine Entscheidung getroffen. Dennoch wollte ich alle Möglichkeiten ausschöpfen die ich hatte, falls mein Plan nach hinten losging. Obwohl ich in den Staaten bleiben wollte, habe ich mich immer noch nicht genau entschieden. Während der Diskussion mit Mason kochten meine Emotionen hoch. Natürlich hatte er das Recht sauer zu sein. Aber letztendlich war ich mir nicht mehr so sicher ob es die richtige Entscheidung war nicht zu gehen. Wieder einmal zeigte es mir, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte wer ich überhaupt wirklich war. Natürlich war ich in mir drinnen gefestigt, ich kannte meine Persönlichkeit, meine Stärken und Schwächen und konnte mich auch identifizieren. In beruflicher Hinsicht kannte ich mich noch nicht. Ich wusste nicht was ich machen möchte, wohin ich wollte, welche meine Ziele waren oder gar was mir Spaß machen könnte. Für Mason war es klar- war es immer klar gewesen- auch für meinen Bruder, er wollte schon immer die Kanzlei meines Vaters übernehmen. Doch was war mit mir? Was wollte ich eigentlich? Zwar hatte ich mir immer wieder Gedanken gemacht, doch ich kannte meinen Weg nicht. Ich kam zu keinem Entschluss. Schließlich wollte ich meinen Eltern nicht ewig auf der Tasche liegen, ich wollte auf meinen eigenen Beinen stehen. Dennoch war das gar nicht so einfach. Da halfen Masons Anschuldigungen auch nicht. Selbstverständlich war er abgefuckt, aufgewühlt und überrascht. Aber ich konnte es nicht ändern, ich musste herausfinden was das Beste für mich war. Irgendwann wurde ich ziemlich aufgewühlt, meine Gefühle gingen durch. Natürlich wollte ich ihm nah sein, in der Stadt bleiben aber London war auch eine Chance. Ein Neuanfang. Da wären nicht alle Augen auf mich gerichtet. Ich konnte mich entfalten. Also war ich im Zwiespalt zwischen all den Gedanken. In meinem -sowieso schon vollen Kopf- kreisten so viele Gedanken über meine Perspektiven. Und ich war wirklich froh, dass wir letztendlich zu einer Versöhnung diesbezüglich kamen. Auch wenn es zunächst nicht so aussah, beruhigten wir beide uns ziemlich schnell. Vielleicht weil keiner von uns die Stimmung versauen wollte, weil wir uns eh schon so wenig sahen. Dieses Thema würde nochmal aufkommen da war ich mir sicher, vielleicht auch nochmal zum Streitpunkt werde. Jedoch waren für heute damit durch. Mason würde mich unterstützen, egal welche Entscheidung ich treffen würde. Das wusste ich. Es war nicht die Tatsache, dass ich überlegt habe wegzugehen. Sondern, dass ich es ihm verheimlich habe. Meinen Mund gehalten und es ihm verschwiegen hatte. Aber es war auch nie der richtige Zeitpunkt gewesen. Und ich hätte auch nicht gedacht, dass dieses Thema immer noch so präsent in meinen Gedanken ist. Das ich es immer noch in Erwägung zog. Eigentlich dachte ich, dass diese Sache vom Tisch war. Vielleicht war es doch ganz gut, dass Mason die Zusage gefunden hat.
Kurz nachdem wir uns wieder versöhnt hatten, verließ Mason das Zimmer, sodass ich mich in Ruhe fertig machen konnte. Erstaunlicherweise war ich auch ziemlich schnell für meine Verhältnisse. Insgesamt brauchte ich nur knapp eine halbe Stunde. Und da ich nicht wirklich wusste wohin mich die Reise führte, passte ich meinem Outfit an Masons an. Mit einer schwarzem Lederjacke. Darunter hatte ich einen schwarzen BH mit Spitze an, der dezent rausguckte und ein weißes Shirt. Dazu kombinierte ich eine schwarze Jeans und schwarze Chanel Tasche, damit konnte man nie etwas falsch machen. Auch den richtigen Duft hatte ich schnell gefunden, heute sprühte ich mir Posion Girl von Dior auf.

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