Zweiundachtzig

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Chloé

"Chloé." riss eine Stimme mich aus den Gedanken. Sarah war diejenige die vor mir stand und mich ansprach. Sobald ich meinen Namen hörte, richteten sich meine Augen auf sie. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass die Englisch Stunde schon vorbei war. Das es schon geklingelt hatte. Denn ich hatte in der letzten Stunde alles um mich herum ausgeblendet. Ich wusste noch nicht mal das Thema der heutigen Stunde.  Oder hatte gar mitbekommen, dass unsere Mitschüler den Raum verlassen hatten, das wir alleine waren. "Sorry." entschuldigte ich mich knapp bei meiner besten Freundin. Im selben Moment blickte ich runter auf meinen Block, der vor mir auf den Tisch lag. Er war leer, ich hatte keine einzige Notiz vom Unterricht gemacht. Ich konnte mir ein "Fuck." nicht verkneifen. Anscheinend wusste Sarah was ich meinte. "Keine Sorge, ich schick dir die Notizen." versicherte sie mir während ich anfing meinen Block, die Stifte und die Flasche Wasser in meine Tasche zu packen. Sobald ich fertig war, stand ich auf und trat neben sie. "Danke." meinte ich zu ihr und rang mir ein schmales Lächeln ab. Gemeinsam verließen wir den Klassenraum. Sobald wir den vollen Flur betraten, waren alle Augen auf uns gerichtet. Die anderen Jugendliche drehten ihre Köpfe zu uns um, tuschelten oder starrten mich einfach nur abwertend an. Obwohl heute schon Dienstag war, schien das Interesse von den letzten News nicht abgeklungen zu sein. Eher im Gegenteil. Offenbar mussten einige gestern noch ihren Kater auskurieren und konnten die Neuigkeiten erst heute wahrnehmen. Doch das Verhalten von ihnen war nicht das was mir Kopfschmerzen bereitete. Nein, das war ich mittlerweile gewohnt und ich regte mich darüber nicht mehr auf. Viel mehr war Mason der Grund, warum ich nicht schlafen und ich mich in der Schule nicht konzentrieren konnte. Obwohl es auf unsere Abschlussprüfungen zuging, also quasi in der heißen Phase waren, war das alles hier unwichtig. Kam mir das so unbedeutend vor. Oft saß ich einfach nur da und starrte Löcher in die Luft, gleichzeitig kreisten meine Gedanken um ihn. Für mich zählte nur noch Mason.  Auch wenn wir uns nicht richtig gestritten haben oder es ausdiskutiert, war es schwierig. Trotzdem herrschte diese Stille zwischen uns. Eine unerträgliche Stille. Zwei Tage in denen ich nicht mit ihm gesprochen hatte. In den letzten zwei Tagen hatte ich Mason unzählige Nachrichten und zig unbeantwortete Anrufe auf seinem Handy hinterlassen. Gestern war er noch nicht mal in der Schule gewesen. Auf meine Frage ob er krank sei, antwortete er lediglich, dass es ihm gut ginge. Heute hatte ich ihn auch noch nicht zu Gesicht bekommen, doch laut Cassie aus meinem Mathekurs sei er putzmunter wieder zurück. Immer wieder erwischte ich mich dabei wie ich auf mein Handy starrte, in der Hoffnung er würde mir schreiben oder mich anrufen. Doch sobald eine neue Mitteilung erschien musste ich enttäuscht feststellen, dass es jemand anderes war.  Auch wenn ich diejenige war die einen Fehler gemachte hatte, schmerzte sein Verhalten. Jede Minute fiel es mir schwerer mich aufrecht zu halten und nicht komplett den Verstand zu verlieren. Als Mason meinte er bräuchte Zeit, wusste ich nicht, dass er keinen Kontakt zu mir haben möchte und mich ignorierte. Es machte mich verrückt und paranoid. Zwischendurch hinterfragte ich sogar unsere Beziehung. Oder redete mir ein, dass er sich von Jenna trösten lassen würde. Das die beiden wieder was miteinander anfangen. In jeder freien Minute, stalkte ich ihren Instagram Account, ob sie etwas neues postete. Das war schlimmer als jeder Streit den wir hatten. Als das was ich anfangs gefühlt hatte, als Mason mich im unklaren ließ. Das war fast genauso schmerzhaft, wenn nicht sogar noch schlimmer. Offensichtlich hatte er keine Worte mehr für mich übrig. 
Wie von selbst trugen meine Beine mich neben Sarah her. Dabei achtete ich nicht auf die anderen Leute wie ich durch die Menge kam. Ich wurde angerempelt doch noch nicht mal das störte mich. Stattdessen starrte ich einfach vor mir hin, ohne meinen Blick zu fokussieren. Ich wusste noch nicht mal wer mir entgegen kam, wer mich ständig begrüßte. Auf einmal schien es als würde die Welt stehen bleiben als ich ihn sah. Als Mason in meinem Blickfeld am anderen Ende des Flurs aufkreuzte, fanden meine Augen ihn unverzüglich. Trotz der Menge an Leuten hatte ich nur Augen für Mason. Sofort blendete ich alles um uns herum aus. Der lange Korridor kam mir endlos vor. Wie in Zeitlupe kam er mir entgegen. Ja, ich kam mir vor wie in so einem dämlichen Teeniefilm. Als würden sich alle in slow Motion bewegen und für einen kurzen Moment hörte sich die Erde auf zu drehen. Als wären nur noch wir beide hier. Wir kamen uns immer näher. Mason war von Travis, Jake, Chris und noch ein paar Jungs umgeben. Mason war in der Mitte. Einer von ihnen hatte einen Witz gemacht über den er lachte. Währenddessen strich er sich durch das dunkle Haar. Sie sahen aus wie die coolsten Typen der Schule, die von allen bewundert wurden. Wie gesagt Teeniehölle, fehlt nur noch die Hintergrundmusik. Während Mason lachte, fixierte er mich auf einmal. Ich hielt seinem Blick stand, wir starrten uns in die Augen. Seine braunen Augen waren glasig und etwas rot angelaufen, was wahrscheinlich nicht vom Weinen kommt. Augenscheinlich hatte er mal wieder gekifft. Er hatte genauso wie ich tiefe Ränder unter den Augen, die Mason noch nicht mal versucht hatte abzudecken. Ob die vom durchmachen kamen oder weil er nicht schlafen konnte, konnte ich nicht beurteilen. Die Haut war fahl und wie so oft die Haare unordentlich, weil er sich ständig dadurch strich. Genauso wie die schicke Uniform. Das sonst so ordentlich Jackett war ungebügelt, das Hemd halb aufgeknöpft und die Hose saß tiefer als erlaubt.  Mason sah ebenso fertig wie gut aus. Obwohl es nur ein Bruchteil einer Sekunde war in der wir uns in die Augen blickten, bekam ich Gänsehaut. Die Härchen im Nacken stellten sich auf und mein Herz pochte so laut, dass ich es deutlich in meinen Ohren hörte. Während wir uns ansahen, änderte sich der Gesichtsausdruck. Er wurde ziemlich neutral. Mittlerweile gingen die Jungs an uns vorbei.  Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich stehengeblieben bin. Immer noch durchbohrte er mich mit seinem Blick. "Hey." kam lediglich von ihm, kaum hörbar. Kein Lächeln, keine Umarmung.  "Hi." krächzte ich heraus. Keiner wendete den Blick ab. Am liebsten hätte ich seine Hand genommen, Mason gespürt. So wie wir es häufig machten, wenn wir uns auf dem Flur sahen. Doch es ging alles so schnell, dass ich mich nicht bewegen konnte. Nur mein Kopf drehte sich in seine Richtung. Mittlerweile hatte er mir den Rücken zugedreht und ich konnte Masons Lachen hören. Auch als die Jungs außer Sichtweite waren, war ich wie erstarrt. Was war hier gerade passiert? Wir behandelten uns wie Fremde obwohl wir ein Paar waren. Ziemlich fassungslos starrte ich ihm immer noch hinterher. "Komm, wir gehen und essen was." wieder mal holte Sarahs Stimme mich aus meiner Trance. Und es spielte sich vor meinem Augen wieder in Echtzeit ab. Dabei zog sie mir sanft am Ärmel. Ich nickte und setzte mich in Bewegung. Auch wenn wir noch nicht mal zwei Minuten im Flur standen, fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Wir bahnten uns den Weg nach draußen, zum kleineren Hof. Hier war nicht so viel los was uns nur zu gute kam. Alle sechs Tische waren besetzt- auch unser Stammtisch. Auf den Bänken saßen einige Schüler oder unterhielten sich an der Mauer. Sobald wir uns unserem Platz näherten, huschten diejenigen die dort saßen fort und machten uns somit den Weg frei. Wir hatten definitiv einen Sonderstauts bei den anderen, doch ich legte da keinen Wert drauf.  Sowie wir den Tisch erreichten, ließ ich mich auf die Bank fallen und schmiss meine Tasche neben mich hin. Sarah tat es mir gleich und setzte sich gegenüber von mir. Ich stöhnte frustriert auf, schloss die Augen, stützte meinen Ellbogen auf den Tisch und fuhr mir mit der Hand über die Stirn und Nase. Als ob das irgendwas helfen würde, als ob davon meine Kopfschmerzen weggehen würden oder ich einen Geistesblitz bekomme. Nach einer Weile ließ ich meine Hand wieder fallen und öffnete die Augen, ich schaute meine beste Freundin verzweifelt an. "Ich verstehe es nicht Sarah. Was soll das? Warum zieht Mason so eine Scheiße ab?" ich hörte mich niedergeschlagen an. "Das eben war ja noch nicht mal das Schlimmste, das er so tut als wären wir Fremde. Das bin ich ja schon gewohnt." ich lachte humorlos auf. "Es ist diese Stille, Sarah. Diese Stille killt mich. Würde Mason mich anschreien, mir die Hölle heiß machen oder wenigstens mit mir sprechen. Mit einem wütenden abgefuckten Mason kann ich besser umgehen als einem Stummen, der nicht mit mir spricht." Während ich Sarah anschaute, kniff ich die Augen zusammen da die Sonne mich blendete. Ihr Blick war verständnisvoll und mitfühlend zugleich. "Ich weiß nicht, was in Mason vorgeht Chloé. Warum er nicht mit dir spricht. Aber er braucht Zeit, Zeit um das zu verarbeiten. Du weiß wie schwierig die Zeiten damals waren- für uns alle. Er verarbeitet es eben anders, trotzdem braucht er nicht so ein Arsch zu dir zu sein." erwiderte Sarah vorsichtig. "Ja, ich weiß. Ich war ja auch diejenige die den Fehler gemacht hat. Ich gebe ihm ja Zeit, aber ich muss wissen woran ich bin. Ich halt das nicht mehr aus, ich geh daran kaputt. Natürlich hat er jedes Recht darauf sauer und abgefuckt zu sein, aber das verletzt einfach. Das schmerzt. Ich kann noch nicht mal mehr schlafen, geschweige denn mich konzentrieren. Immer habe ich nur ihn im Kopf. Warum ist alles immer nur so kompliziert?" schüttete ich mein Herz weiter aus. Eigentlich wollte ich Sarah nicht schon wieder mit meinen Problemen belasten, aber ich musste mit ihr darüber reden. Sonst macht es mich wirklich kaputt. "Weil ihr beide das Drama liebt. Ihr zieht es magisch an. Kein Wunder, als Hollywoodstar." lockerte Sarah leicht lachend die Stimmung. Und auch mir entlockte sie ein Lachen. Sie hatte gar nicht so Unrecht. "Auch wenn du ihm den Freiraum geben möchtest. Sprich mit ihm, am besten persönlich. Sag ihm wie du dich fühlst. Auch wenn du gelogen hast, kannst du trotzdem verletzt sein. Er weiß es wahrscheinlich noch nicht mal. Sprich einfach mit ihm, dann wird es vielleicht einfacher. Mach du den ersten Schritt auf ihn zu, kämpf um Mason." riet Sarah mir. "Hm." machte ich und dachte über ihren Rat nach. Wahrscheinlich hatte sie Recht und es wäre das beste wenn ich ihn mir gleich schnappe. Das konnte so nicht mehr weiter gehen. Und wenn es scheiße ausgehen würde, wusste ich wenigstens woran ich war. "Vielleicht ist es wirklich das beste. Danke Sarah." sagte ich zu ihr und musste unwillkürlich lächeln. Sarah hatte wie sooft Recht. Ich war froh, dass sie mich - uns- so gut kannte und manchmal besser wusste was wir brauchten wenn wir nicht mehr weiter kamen. 

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