Achtundsiebzig

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Chloé

Wenig später hatten wir die kurze Entfernung quer durch den überfüllten Raum überwunden. Wir schlängelten uns an verschiedenen Tischen und fremden Leuten vorbei. Obwohl die Entfernung wirklich überschaubar war, ich das Ziel immer im Auge hatte kam es selbst mir endlos vor. Wie musste sich dann Sarah wohl fühlen? Die ganze Zeit ließ ich ihre Hand nicht los, vielleicht war es auch umgekehrt. Zumindest wollte ich ihr ein Gefühl von Sicherheit geben. Sobald wir an dem Tisch meines Bruders und seiner Freunde angekommen waren, stand dieser auf. Brad zog mich überschwänglich in eine Umarmung, küsste mich auf meine Wange als hätten wir uns Wochen nicht gesehen, dabei waren erst wenige Stunden vergangen. Der Whiskey in seinem Atmen war nicht zu über riechen. Anscheinend saßen die Jungs schon länger hier und tranken. Für einen kurzen Augenblick ließ ich Sarah los. "Chloé." murmelte er an meinem Haar, hielt mich dabei fest. Mir schien es fast so als müsse Brad sich bei mir festhalten, als bräuchte er meinen Halt. Halt um den nächsten Schritt zu wagen. "Heeey." erwiderte ich nur und lachte halbherzig, dabei klopfte ich ihm etwas unbeholfen auf die Schulter. Denn auch für mich war die Situation neu und es war genau das eingetroffen was ich verhindern wollte. Natürlich hatte ich meinen Bruder schon angetrunken erlebt aber noch nie so unglücklich, fast schon verzweifelt. Sonst war er immer derjenige gewesen, der mich pushte und aufbaute diesmal schien es andersrum zu sein. Diesmal war er der meine Nähe brauchte. Nach einer Weile räusperte ich mich, weil wir schon etwas länger in dieser Umarmung hingen und löste mich schließlich von Brad. Dann trat ich einen Schritt zur Seite und beobachtete Sarah und Brad. Ich wollte nicht starren, doch ich konnte meine Augen nicht von ihnen nehmen. Wie die beiden sich ziemlich steif und ungeschickt begrüßten. Es war eine Mischung aus Umarmung, Hände schütteln und Küsschen geben. Beide sendeten unklare Signale. Beide waren sich mehr als unsicher wie sie damit umgehen sollten. Brad war sonst immer ziemlich selbstbewusst, aber auch er schien in diesem Moment nicht wirklich zu wissen wie er sich verhalten sollte. Denn ein falsches Wort, ein Wort zu viel konnte alles noch mehr ins Wanken bringen. Mir war klar, dass zwischen den beiden Ex- Partnern noch nichts geklärt war. Das sah man selbst als Außenstehender. Schließlich nahm ich den Blick von den beiden und schaute in die Runde. Es waren drei weitere Typen. Zwei kannte ich. Alex Moore, dem mittlerweile das Golden Hour gehörte. Ihn hatte ich erst vor ein paar Monaten wiedergesehen, als wir Shawn die Falle gestellt hatten. Auch heute war er ziemlich schick gekleidet. Ein schlichtes helllaues Hemd, wahrscheinlich trug er eine enge Anzugshose. Seine blonden Haare waren ebenso zurecht gemacht und ordentlich gestylt, kein blondes Haar stand irgendwie ab oder wirkte fehl am Platz. Chris Johnson saß neben Alex. Er war auch einer der besten Freunde von Brad. Chris war auch stilvoll gekleidet, aber definitiv sportlicher als die anderen Jungs. Mit seiner beigen Velours Bomberjacke und dem schwarzen Shirt. Dazu kombiniert eine schwarze enge Jeans. Chris kam wie wir alle aus gutem Hause, doch seine Leidenschaft lag schon immer beim Sport. Er war ein erfolgreicher Baseballspieler und hatte einen Vertrag bei den Yankees unterschrieben. Die drei kannten sich seit der Highschool und waren ziemlich dicke. Früher hingen sie oft bei uns ab, weil unsere Eltern fast immer arbeiten waren. Ab und zu sah ich sie auch auf Parties, wenn es mir den erlaubt wurde dort hin zu gehen. Mein Blick fiel auf den letzten Kerl in der Runde. Ich kannte ihn nur von Instagram, mehrmals wurde er auf den Bildern der Jungs verlinkt. Gabriel war sein Name. Ich wusste nicht wirklich viel über ihn, nur seinen Namen und das auch er wie mein Bruder in Harvard Jura studierte. Sein Outfit war ähnlich wie der anderen beiden, elegant. Ein weißes Hemd und eine enge Hose.
Auch die drei schienen die unangenehme Situation zu beobachten. "Hey." begrüßte ich sie und lenkte so die ganze Aufmerksamkeit auf mich. Sechs Augenpaare schauten mich freundlich an, sie lächelten mir sogar zu. "Hi Chloé, lange nicht gesehen. Alles gut?" erwiderte Chris grinsend, dabei wirkte er wirklich so als ob er sich freuen würde. Ich wollte ihm antworten, doch mehr als Nicken konnte ich nicht. Denn Alex ist aufgestanden um mich zu begrüßen. "Chloé." schmunzelte er, gab mir ein Küsschen rechts und ein links. Dabei legte er eine Hand auf meinen Rücken. "Alex." meinte ich nur und wir lösten uns wenig später auch schon wieder voneinander. Gabriel machte es ihm gleich und erhob sich. "Ich bin Gabriel." stellte er sich mit einem Lächeln vor und reichte mir die Hand. "Chloé, freut mich. Ich bin Brads Schwester und das ist Sarah." stellte ich uns vor. Auch Sarah schüttelte Gabriel die Hand, die sich mittlerweile von Brad gelöst hatte. "Hallo Gabriel." meinte sie nur. Und begrüßte anschließend die anderen drei. "Was möchtet ihr trinken?" meinte Brad an uns gewandt, schaute mich an und versuchte den Blickkontakt zu Sarah zu vermeiden. "Wir wollten euch nicht stören. Wir warten nur auf einen Tisch." "Das braucht ihr nicht, setzt euch zu uns. Bis ihr einen Tisch habt, dauert viel zu lange." mit einer Geste lud Brad uns ein uns zu setzten. "Ja, wir freuen uns über eure Gesellschaft." versicherte Alex mir. "Bitte setzt euch." Zunächst schaute ich auch Chris, der zwischen Alex und Gabriel saß und dann Gabriel an. Diese nickte lachend. Dann schaute ich unauffällig zu Sarah um mich zu versichern ob es auch für sie okay war. "Dann bleiben wir." diesmal ergriff sie das Wort. Zwar lächelte sie, doch ich wusste das es nur war um ihre Unsicherheit zu verstecken. Die drei rutschten zusammen, sodass Sarah und ich noch auf der Sofalounge Platz nehmen konnten. Ich setzte mich neben Alex, Sarah rückte neben mich. Auch Brad nahm seinen Platz wieder ein. Er saß meiner besten Freundin gegenüber. Zunächst sahen sie sich beide verstohlen an, dann wendete Sarah den Blick ab und versuchte ihn nicht anzuschauen. Wieder war die Luft zum Zerreißen. Ziemlich steif, angespannt und komisch. Selbst ich traute mich kaum zu atmen. Anscheinend bemerkten das auch die Herren am Tisch. Sie tauschten nur stumm vielsagende Blicke aus. Entweder wussten sie über Brad und Sarah Bescheid oder sie ahnten zu mindestens etwas. Schon bereute ich es auf Sarah gehört zu haben. Hier mit ihr zu sitzen obwohl alle wussten, dass es mehr als unangenehm war. Wie ich befürchtet habe, war es zu früh das die beiden an einem Tisch saßen- dann auch noch gegenüber. Sarah hielt einiges aus, mittlerweile war sie auch wieder sicherer. Vielleicht war sie auch bereit dazu, sie konnte das auf jedenfall durchstehen. Trotzdem gab es zwischen Brad und ihr viele ungeklärte Dinge. Dinge die jetzt die Stimmung runterzogen. Es war ein Fehler hier zubleiben und sich dazu zu setzen. Ich hätte Sarah überzeugen sollen weiterzuziehen. Damit sie sich dieser Situation nicht stellen musste. Nicht jetzt, nicht mit diesen Umständen. Vor allem nicht wenn drei Typen dabei waren, die sie quasi gar nicht kannte. Ich hätte ihr das ersparen sollen. Immerhin hatten die drei so viel Anstand sie nicht darauf anzusprechen. Wahrscheinlich weil sie sich selber unbehaglich fühlten. Doch es war zu spät, ich konnte es nicht mehr ändern. Gerade deswegen wollte ich meiner besten Freundin nochmal zeigen, dass ich für sie da war. Wir saßen dicht aneinander, ihre Hand lag auf dem Stoff des Sofas. Kurzerhand legte ich meine auf ihre, drückte sie und lächelte Sarah ermutigend an. 
"Also was möchtet ihr beide trinken?" stellte Brad die Frage erneut an uns gerichtet. Er war der Erste, der nach einigen Momenten Stille das Wort ergriff. Währenddessen blickte er zu mir und schielte kurz zu Sarah. "Einen Love Potion, bitte Bruderherz." antwortete ich grinsend. "Ist notiert. Und du Sarah?" diesmal richtete er sich direkt an Sarah. "Wie immer, den The Coco?" Neben mir räusperte Sarah sich und sie brachte ein knappes "Ja." hervor. "Gut, dann bin ich gleich zurück." mit diesen Worten stand Brad auf und ging Richtung Bar. Bestimmt hätten wir die Drinks auch bestellen können, doch es dauerte bis erstmal ein Kellner an den Tisch kam. Oder Brad wollte einfach der Situation entfliehen.  Hoffentlich konnte der Alkohol die Stimmung etwas auflockern. "Und was führt euch beide Hübschen hier her?" fragte Alex uns, dabei konnte ich seinen Blick auf mir spüren. Sein Blick durchbohrte mich förmlich. Er war nicht unangenehm, trotzdem merkte ich wie er mich musterte. Als ob er mich zuvor noch nie gesehen hatte. "Eigentlich wollten wir einen Mädelsabend machen. Mal ein bisschen den Kopf frei kriegen." erwiderte ich. "Eigentlich wollten wir lernen." ergänzte Sarah, dabei wirkte sie gedankenverloren und starrte in die Richtung, in die Brad gegangen ist. Daraufhin lachten die Jungs. "Also Ignoranz und Verleugnung?" meldete Chris sich lachend zu Wort. "So in etwa." lachend verdrehte ich die Augen.  "Naja, Samstagabend ist ja auch nicht gerade die beste Zeit zum Lernen. Da muss man rausgehen, Spaß haben und Feiern." "Das kann ja nur von dir kommen, Alex." meinte Gabriel und lachte.  "Ich glaube jeder als unser Streber Gabriel hier, kann sich etwas besseres vorstellen als Samstags zu lernen." neckte Alex ihn grinsend, doch sein Kumpel ging gar nicht darauf ein. "In welcher Stufe seid ihr mittlerweile eigentlich?" wollte Chris wissen. "Sind im Abschlussjahr, noch ein paar Monate und dann ade Highschool." Etwas ungläubig schaute er mich an, als könnte er nicht glauben wie groß wir geworden sind. Schließlich hatten wir uns lange nicht gesehen und Brad hielt mich so gut es ging auch immer von seinen Freunden fern beziehungsweise eher von den Parties. "Und ihr? Ist das sowas wie eine Reunion?" meinte ich um den Fokus auf uns abzulenken. Die drei lachten herzhaft. "Ja, so ungefähr." gab Chris zurück. "Wir waren alle in New York und dachten wir treffen uns mal wieder zu viert." erklärte Gabriel. Obwohl ich ihn grad erst kennengelernt habe, hatte ich das Gefühl, dass er eher der ruhigere und ernstere war. Sein Verhalten entsprach so ziemlich seinem Instgramprofil. "Ach also der alten Zeiten willens? Wer die heißere Braut abschleppt?" hakte ich kess nach. Zwar kannte ich die Truppe nicht so gut aber ich kannte einige Gerüchte und genug Stories von Mason und meinem Bruder. Ich kannte den Ruf des Gespanns. Zumindest wie er vor ein paar Jahren war. Wieder einmal konnte ich sie lachen hören. Sarah die bis eben noch abwesend wirkte, drehte den Kopf zu mir. Erst jetzt hatte ich gemerkt, was mir rausgerutscht war. Ich hatte unbedacht gehandelt. Ich wollte kein Salz in die Wunde streuen, sondern habe nur einen Scherz gemacht. Sie wusste wie ich es gemeint hatte, sie kannte mich. Trotzdem sah ich auch, dass ich sie an etwas schmerzlich erinnert hatte. Entschuldigend lächelte ich meine beste Freundin an. Die nickte mir kaum merklich zu. Ein Zeichen, dass es okay war. Mal wieder war ich ins Fettnäpfchen getreten. Zwar konnte ich meine Worte nicht zurücknehmen, aber ich würde erst nachdenken bevor ich sprach. "Was ist bloß aus der kleinen, unschuldigen Chloé geworden?" riss Chris mich aus meinen Gedanken. "Sie wird langsam erwachsen." Wir wurden von Brad unterbrochen, der mit einem Tablett mit Drinks an unserem Tisch kam. Wortlos verteilte er diese und setzte sich hin. Sobald er saß, nahm Brad das Glas vor sich in die Hand und kippte die bernsteinfarbene Flüssigkeit mit mehreren Schlucken runter. Ich beobachtete meinen Bruder dabei. Als er das Glas wieder absetzte war es zur Hälfte geleert. 

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