16. Gruppentherapie✔

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Levis Sicht:

Heute war mein zweiter Tag in der Offenen Station. Mike und ich verstanden uns bis jetzt ganz gut. Ich war froh, dass ich hier einfach akzeptiert wurde, so wie ich war. Es beruhigte mich zu wissen, dass ich nicht allein mit meinen Problemen war.

Es war 7.30 Uhr. Ich hatte mich gerade fertig gemacht und wartete nur noch auf Mike. Er zog sich noch schnell die Hausschuhe an. Wir mussten immer, wenn wir unser Zimmer verließen, Hausschuhe anziehen. Hygienische Gründe. Es beruhigte mich, dass auch hier Hygiene anscheinend sehr wichtig war.

Wir liefen wieder zum Frühstück. Wir nahmen uns unser Essen und setzten uns, wie gestern, an den Tisch hinten in der Ecke. Ich durchbohrte mein Toast und das Rührei regelrecht, bis mich dann Mike aus der Starre zog. „Hast du heute Therapie?", fragte er schlicht. Ich wusste es nicht, ich hatte der Braunhaarigen Frau gestern nicht genau zugehört. Ich war zu nervös gewesen. „Keine Ahnung. Als ich gestern ankam hatte mich so eine braunhaarige Frau mit Brille vollgequatscht. Sie meinte irgendwas von Gruppentherapie, aber mehr weiß ich auch nicht", antwortete ich ihm und spießte ein Stück Ei auf meine Gabel. „Achso, du meinst Hanji. Sie leitet das alles hier. Alle zwei Tage macht sie eine Gruppentherapie von 10 bis 11 Uhr. Ich denke mal, sie wird dich abholen", erklärte er mir und biss in seinen Toast rein. Ich nickte verstehend und schob mir auch zögerlich die Gabel in den Mund. Nur schwer glitt das Ei meinen Hals runter. Ich machte eine Pause, bevor ich weiter essen konnte.

Mike behielt recht. Es war kurz vor 10 Uhr. Ich arbeitete gerade an eine neue Zeichnung, als Hanji an der offenen Tür klopfte. Mike hatte Einzeltherapie und war nicht da. „Guten Morgen, Levi. Bereit für die Gruppe?", fragte die Braunhaarige und schritt näher an mich heran. Das klingt so, als wenn ich ein Kindergartenkind wäre. Ihr Gesicht machte mir etwas Angst, weshalb ich mit dem Stuhl etwas zurück rutschte. „I-Ich weiß nicht", stammelte ich nur. „Ach, mach dir da mal keine Sorgen. Sie sind alle echt nett und haben auch ihre Probleme. Keiner wird sich lustig über dich machen, versprochen", versicherte mir die Brillenträgerin. „Na schön", murmelte ich und stand auf, zog mir die Schuhe an und folgte der Frau.

Nach ein paar Minuten waren wir in einem großen Raum angekommen. Unsicher betrat ich den Raum. Es waren Stühle in einem Stuhlkreis aufgestellt. In der Mitte war ein kleiner Tisch. Es waren schon viele Leute da. Ich blieb stehen, schaute konstant die anderen an. „Komm, Levi. Ich habe es dir doch versprochen", riss mich Hanji aus meiner Starre. Ich setzte das kalte Gesicht wie immer auf und setzte mich auf einen freien Platz.

„Schön, dann sind wie ja alle da. Dann können wir ja anfangen. Guten Morgen an alle", begrüßte nun Hanji die Runde. Manche grüßten zurück und andere blieben still. Ich gehörte zu denen, die still blieben. „Wie ihr seht, haben wir ein neues Mitglied in unserer Runde. Sein Name ist Levi. Behandelt ihn bitte auch so nett, wie die anderen... Levi?", ich sah sie etwas erschrocken an. Ich war gerade in Gedanken gewesen. „Willst du vielleicht etwas über dich erzählen? Zum Beispiel was du gerne tust oder was du nicht besonders magst?" Ich blickte durch die Runde. Sie schienen alle was zu erwarten. Und wieder. Meine Hände fingen an zu zittern und mir wurde heiß aber meine Hände waren eiskalt. Ich schaute wieder zu Hanji, welche mich nur sanft anlächelte und mir zu nickte. Okay, ich schaffe das. Ich atmete tief ein und aus. Schloss kurz meine Augen und sortierte meine Gedanken. Erst dann fing ich an zu reden. „I-Ich... ähm mein Name ist Levi. I-Ich zeichne gerne. Aber was-was ich nicht so gerne mag, ist Dreck und Unordnung. Ich...", weiter konnte ich nicht reden. Es fühlte sich so an, als wenn mir mein Kopf verboten hatte zu sprechen. Es kam kein Wort mehr raus. Ich drückte verkrampft meine Hände, wusste nicht was ich machen sollte. „Ist schon gut, Levi. Du musst nicht weiterreden, wenn du nicht willst oder kannst. Kein Problem. Du kannst auch erstmal nur zuhören. Es reicht auch, wenn du erst beim nächsten Mal sprichst. Du kannst dir Zeit lassen", versuchte mich Hanji zu beruhigen. Mein Herz schlug dennoch schnell. Erst nach ein paar Minuten wurde ich wieder etwas ruhiger.

Nach einem kurzem Schweigemoment fing jemand an, über etwas zu erzählen. „Ich habe gestern angefangen, meine Gedanken in ein Buch zu schreiben. Es sind mehr als 2 Seiten." Er stand auf und gab Hanji das Buch. Sie bedankte sich und bat den nächsten zu erzählen. „Ich habe Konzentrationsübungen gemacht. Ist nicht so glatt gelaufen", erzählte er und sah dabei ziemlich betreten aus. „Kein Problem. Wir werden weiter daran arbeiten. Irgendwann wird es besser und auf den Tag arbeiten wir hin", sprach Hanji mit einer beruhigenden Stimme. So langsam verstand ich den Sinn von all dem hier. Es sollte den Patienten zeigen, dass sie nicht allein waren. Es sollte ihnen helfen Anschluss zu finden. Mir gefiel die Idee dahinter. Ich konnte mich aber dennoch nicht so ganz öffnen. Es gab immer noch eine Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, ich solle lieber die Klappe halten, das wäre für alle besser. Durch Eren hatte ich die Stimme ganz verdrängt, ganz vergessen, dass sie da war. Doch jetzt kam sie so langsam wieder zurück. Ich würde aber versuchen, diese zu ignorieren und einfach erst dann sprechen, wenn ich dazu in der Lage war. Stress war der größte Feind eines Menschen.

Das ging noch eine Weile weiter so, bis dann alle durch waren. Dann sollten wir uns an die Tische setzen. Auf jedem dieser Tische war Bastelkram und anderes Zeug. „Wir werden heute etwas basteln. Ihr dürft machen was ihr wollt. Ich werde es mir dann am Ende ansehen", sagte die Braunhaarige und ging um die Tische, beobachtete wohl alles was wir taten. Ich fühlte mich etwas unwohl, mit dem Gedanken, dass mir jemand permanent über die Schulter guckte. Und das meine ich auch so, denn Hanji stand größtenteils bei meiner Tischgruppe und schaute sich an, was wir, oder eher ich machte. Ich versuchte es so gut es ging zu ignorieren und einfach weiterzumachen. Nach einer halben Stunde war die Sitzung beendet und wir räumten auf. „Was hast du gebastelt, Levi?", fragte mich plötzlich diese Frau. Ich zuckte kurz zusammen und ließ fast das Bastelstück fallen, ich hatte mir sehr viel Mühe gegeben „Oh, tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken."- „Ich habe einen Baum im Herbst gebastelt", beantwortete ich ihre zuvor gestellte Frage. „Aha, und warum? Hat der eine spezielle Bedeutung für dich?" Interessiert schob sich Hanji die Brille wieder richtig auf ihre Nase und lugte auf mein Werk. „Der Baum bin ich. Die Blätter, die herunterfallen, sind meine Ängste und dunklen Gedanken. Ich möchte mir dadurch selbst sagen, dass alles einmal besser wird und man nur Geduld haben muss." Sie sah mich überrascht an. Warum? Ging es ihr nicht gut? „Alles gut bei Ihnen?", fragte ich vorsichtshalber nochmal nach. Nicht, dass sie hier gleich noch umkippte. "Nein, nein. Alles gut.", antwortete sie mir schnell. „Darf ich das mitnehmen? Ich gebe dir das auch wieder." Ich verstand zwar nicht wieso, aber ich stimmte ihr einfach mal zu. „Okay, danke. Komm, ich bring dich wieder zu deinem Zimmer", sagte sie dann noch, ehe wir wieder zum Zimmer gingen

Dort angekommen, setzte ich mich etwas müde auf mein Bett. „Und wie war's?", fragte mich Mike, welcher belustigt sein Buch zumachte. „Anders. Irgendwie anders, aber im guten Sinne", antwortete ich ihm. Er nickte lächelnd und widmete sich wieder seinem Roman.

Trust Is Useless [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt