38. Zwei Blumensträuße, drei Freunde

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Levis Sicht:

Ich hatte letzte Nacht nicht gut schlafen können. Die Vergangenheit holte mich ein, wie jedes Jahr. Heute war es wieder soweit. Wenn ich daran dachte, wurde mir schwer im Magen. Ich fühlte mich schuldig. Ich war dafür verantwortlich, dass sie nicht mehr hier waren, bei mir... Allein ich! Ich konnte es nicht mehr rückgängig machen..

Wir waren gerade dabei zu frühstücken, ich jedoch bekam keinen Bissen runter. Eren merkte anscheinend, dass was nicht stimmte. "Levi? Ist alles in Ordnung? Du bist ruhiger, als sonst.", fragte der Braunhaariger mit besorgtem Unterton. Ich sollte es ihm vielleicht doch sagen. Aber nicht hier...

"Du hast mich mal gefragt, was ich gemacht habe, in den 2 Jahren, in denen ich nicht in Behandlung war, nicht?" Ich sah ihn nicht an, starrte Löcher in meinen Teller. "Ja, wieso?"- "Ich sage, oder eher zeige ich es dir, was ich gemacht habe." Zu Ende hin wurde meine Stimme immer leiser. Eren ließ dies unkommentiert und aß weiter. Ich dankte ihm dafür, dass er nicht weiter nachfragte.

-

Wir machten uns gerade Fertig. Ich hatte Eren immer noch nicht gesagt, wo hin wir gehen würden. Ich sagte ihm lediglich, dass wir in einen Blumenladen müssten. Also stiegen wir in sein Auto, fuhren los in Richtung Innenstadt. Eren parkte die Blechkiste am Straßenrand. Meine Laune war definitiv im Keller. Ich spürte nur die Last der Schuld auf meinen Schultern.
Als er dann auch mal fertig war, machten wir uns auf den Weg zu einem Blumenladen. Der Wind pfiff einen um die Ohren und die Kälte ließ die Haut brennen. Ich wollte das schnell hinter mir haben. In den nächstliegenden Blumenladen suchte ich mir die Blumen aus, die ich haben wollte. Als ich der Verkäuferin meine Wahl zeigte, schien sie etwas besorgt zu sein. Ich ignorierte dies aber und schritt mit ihr zu Kasse. Eren sagte die ganze Zeit kein Wort, sondern beobachtete mich nur. Er versuchte sicherlich zu verstehen, was hier abging.Machte er bestimmt unbewusst.

Zusammen mit den Blumensträußen liefen wir zum Auto. "Wo soll es jetzt hin gehen?", fragte Eren die Hände reibend. Ich schaute aus dem Fenster. "Zum Friedhof im 4. Bezirk.", war meine kühle Antwort. Eren hatte anscheinend nicht mit dieser Ortsangabe gerechnet, aber ließ es dann doch bleiben weiter nach zu fragen und fuhr einfach los. Die ganze Fahrt über war es still. Mir war aber auch nicht nach reden, ich wollte einfach nur allein sein. Im Boden versinken und nie wieder raufkommen.

"Wir sind da." Schon stieg ich aus, die zwei Blumensträuße fest im Griff. Still ging ich meinen Weg, suchte die Gräber der beiden Personen. Jeder Schritt fiel mir schwerer, je näher ich ihnen kam. Leichte Tränen bildeten sich in meinen Augen. Eren sagte nichts, lief mir einfach still hinterher.
Ich war ihm dankbar, dass er mir gerade den Freiraum ließ und mich nicht bedrängte etwas zu sagen. Ich würde es schon tun, wenn ich es wollte.

Wir kamen zum stehen. Ich sah mir die Gräber an. Sie müssten mal wieder gepflegt werden. Es war schon lange her, seitdem ich das letzte mal hier war. Und sonst kam nie jemand, um sich drum zu kümmern. Behutsam legte ich die beiden Blumensträuße auf die nebeneinanderliegenden Gräber. Ich konnte die Tränen nicht aufhalten, sie fielen. Nein, heute konnte ich nicht stark sein. Heute nicht. Ich wischte mir vergebens die Tränen weg und stand auf. Hinter mir stand Eren, die Hände in den Jackentaschen steckend. Er schien schon so eine Ahnung zu haben, was los war. Das konnte ich an seinem mitleidigen Blick erkennen. Aber warum sollte er Mitleid haben? Ich bin doch dran schuld.
Mit langsamen Schritten gesellte ich mich zu ihm, legte meinen Kopf auf deine Brust und ließ alles raus. Er nahm mich einfach nur in den Arm und sagte nichts. Die einzelnen Erinnerungen kamen wieder hoch und ließen nur noch mehr wieder hochkommen. Die Gefühle, Ängste, Zweifel...Schuld.

Nach einer Weile drückte ich mich leicht von ihm weg, nahm seine Hand und führte uns zu der hinter uns stehenden Bank. Ich hatte seine Hand fest im Griff, den Kopf auf seiner Schulter liegend.Ich wollte sichergehen, dass er auch wirklich da war und mich nicht verlassen würde.

"Sie hießen Isabel Magnolia und Furlan Church... Sie waren meine besten Freunde. Wir kannten uns schon ewig. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, wo wir nicht zusammen waren. Wir blödelten rum, spielten Streiche, bauten Scheiße..., aber waren auch unzertrennlich...", ich setzte mich richtig hin und sah Eren in die Augen. "Weißt du, Eren. Ich habe noch nie jemanden davon erzählt. Es fällt mir ziemlich schwer. Deswegen..."- "Ich werde dir zuhören" Ich nickte traurig und dankend zugleich. "Sie waren immer für mich da; wir waren für einander da. Als dann... meine Familie umgebracht wurde, waren sie für mich da... Sie wollten mir helfen, mit mir reden. Wir waren wie eine Familie. Wir konnten uns gegenseitig alles erzählen. Aber es half nichts, sie kamen nicht zu mir durch. Dann wurde ich das erste mal eingewiesen, da sie nicht mehr weiterwussten. Sie konnten mir einfach nicht mehr weiterhelfen... Aber die Zeit, die ich in der Einrichtung verbrachte, hatte auch nicht viel gebracht. Im Gegenteil, sie hatte es schlimmer gemacht. Ich war immer weiter ins Loch gezogen worden. Nach Monaten hatten die es dann aufgegeben und haben mich für 'unheilbar' erklärt und entlassen... Da ich keinen Ort hatte, wo ich hin konnte, ging ich zu ihnen. Und wie die beiden so waren, versuchten sie mir wieder zu helfen. Sie versuchten alles, um mich irgendwie aus dem Bett zu kriegen, taten alles, damit ich aß.", ich unterbrach. Schon wieder.. Ich war überfordert. Ich begann zu zittern und mir wurde eisig kalt. Ich stand vor der Klippe, wieder in die unendliche Trauer zu verfallen. Wäre da nur nicht Eren, der mich wieder rauszog. Er nahm mich in den Arm, ich klammerte mich ganz fest an, wollte seine Nähe spüren, ihn nie wieder loslassen. Ich brauchte ihn, mehr als alles andere auf dieser Welt.

"Du musst nicht weitererzählen, wenn du nicht kannst", sprach Eren sanft und strich eine Haarsträhne hinter mein Ohr. Ich schüttelte leicht den Kopf. "Ich will aber" Ich lehnte mich wieder gegen Erens Schulter, suchte die richtigen Worte.

"Das ganze ging fast 2 Jahre so. Mich konnte man damals nicht mehr als Mensch bezeichnen. Ich war nur noch ein Häufchen Elend, was darauf wartete,erlöst zu warten... Irgendwann wurde es ihnen zu viel und wir stritten. Es artete aus. Wir hatten uns noch nie so sehr gestritten, wie damals.
Isabel stürmte weinend aus dem Haus, sie war am meisten damit überfordert. Ich saß nur auf der Coach, machte gar nichts, fühlte nichts. Es war nur pure Leere. Furlan war ebenfalls überfordert von der Situation und lief Isabel hinterher, versuchte sie zu beruhigen. Sie kamen nicht wieder. Ich wusste nicht wo die beiden waren.

Dann bekam ich einen Anruf. Er war von der Polizei. Mit der Meldung: Isabel Magnolia und Furlan Church wurden Opfer eines Terroranschlags auf den Straßen. Sie saßen wohl gerade in einem Café. Ein Auto fuhr direkt in das Café. Sie hatten keine Chance, sie waren direkt tot... Außer ihnen waren noch 18 Weitere Menschen Opfer. 7 davon hatten es ebenfalls nicht geschafft. die anderen waren schwer verletzt oder hatten nochmal Glück gehabt... Die Terroristen haben sich danach selbst erschossen."

Inzwischen hatte ich aufgehört zu weinen, sah stumm geradeaus, auf die Gräber der beiden. Ich fühlte, wie eine gewaltige Last von meinen Schultern fiel, aber die Schuld blieb. "Wenn wir nicht gestritten hätten und ich nicht so lebensmüde und blöd gewesen wäre, dann... dann wären sie noch am Leben. Verstehst du, Eren? Wegen mir sind sie gestorben! Sie konnten wegen mir nicht anfangen zu leben...sie haben... sie hatten nie... nie die Chance dazu..." Eren zog mich wieder zu sich, strich langsam über meinen Rücken und versuchte mich zu beruhigen. Ich konnte nicht mehr. Und schon wieder diese Schwärze vor meinen Augen... Ich... "Levi... Du bist nicht schuld. Du konntest nichts dafür, dass es so gekommen ist, wie es gekommen ist. Du hast lediglich das getan, was du tun konntest. Du warst nicht in der Verfassung, um so zu handeln. Du konntest nichts dafür, weil sie von selbst entschieden haben, ins Café zu gehen. Also hör auf dir einreden zu wollen, dass du daran schuld bist! Denn das bist du nicht, klar?!" Er nahm mein Gesicht in seine Hände und sah mich durchdringend an. Und wieder, wieder waren seine Augen ein offenes Buch für mich. Diesmal waren sie getränkt von Trauer und Mitleid, aber auch Bedauern und Freude. Ich verstand diesen Jungen nicht. Wenn er es so sagte, fiel es mir leichter... Leichter, mit dem Tod meiner Freunde umzugehen.

"Danke, Eren", hauchte ich schwach und nahm seine warme Hand in meine kalte Hand. "Wofür?", fragte er verwirrt und blickte auf unsere Hände. Ich musste kurz lustig aufschnaufen. "Einfach für alles... Du bist immer für mich da, wenn ich dich brauche. Du zwingst mich nicht, lässt mich reden, wenn ich reden will. Du bist einfach da und hörst mir zu... Das macht dich zu was ganz Besonderem, Eren... Du bist für mich besonders..", vorsichtig lehnte er sich nach vorne, nahm mein Kinn zwischen zwei Finger und küsste mich sanft. In diesem Kuss steckte so viel Gefühl... Er zeigte damit mir deutlich, dass er für mich da war, dass er mich liebte und mich nie verlassen würde. Das gab mir Sicherheit, einen Halt nicht aufzugeben.

Trust Is Useless [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt