Let me forget

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I wish my eyes could
forget what they've seen

Blut.
Marians Blut.
Es durchtränkte ihr weißes Kleid. Ihre blauen Augen, die er immer schon geliebt hatte, starrten ihn entsetzt an, schienen nicht glauben zu wollen, was sie sahen, als er sie mit seinem Schwert durchbohrte.
Das Bild verschwand. Stattdessen sah er jemand anderen vor sich.
Robin Hood. Sein Gesicht war wutverzerrt, als er schwor, sich zu rächen.
Zum zweiten Mal änderte sich das Bild. Er sah wieder Marians Gesicht, bleich wie Pergament, ihre Augen waren größer, als er sie jemals gesehen hatte. Egal, wohin er sich drehte, ihr Gesicht verfolgte ihn. Ihre Augen blickten ihn anklagend an, aber er gab allen die Schuld, außer sich selbst. Auch Marian war daran schuld.

Guy wachte schweißgebadet auf. Diesmal hatte er den Traum nach dem ersten Teil verlassen können. Er hatte den ganzen Traum schon zu oft geträumt, sodass er mittlerweile auswendig wusste, wie er verlief. Jede Nacht dieselbe Qual.
Ein Blick zum Fenster verriet ihm, dass es noch tiefste Nacht war. Er schwang die Beine aus dem Bett und stand auf. Ihm wurde kurz schwindelig, aber nachdem er einen Moment lang stillgestanden hatte, war das Gefühl weg.

Er überlegte, was er nun tun sollte. Weiterschlafen kam nicht in Frage, da er sich sicher war, dass der Traum, oder zumindest ein Teil davon, zurückkehren würde. Frische Luft hingegen würde ihm sicher gut tun.
Bevor er die Tür seines Schlafgemachs erreichte, hatte er eine andere Idee. Ein Plan entstand in seinem Kopf, als er sein Hemd auszog und es sich zwischen die Knie klemmte. Dann nahm er einen schmalen Gürtel aus seiner Truhe und band ihn sich um den Bauch, etwa eine Handbreit über den Saum seiner Hose. Daran befestigte er nun seinen Dolch und zog sein Hemd wieder an. Jetzt kann ich gehen, dachte er.

Für sein Vorhaben war sein Schwert nur hinderlich, aber er hätte es trotzdem gerne mitgenommen. Leise stieg er die Treppe hinunter und achtete darauf, nicht auf die Stellen zu treten, die laut knarrten. Zwar knarrte das ganze Holz der Treppe, aber nicht laut genug, um jemanden auf ihn aufmerksam zu machen.
Da er wusste, dass die Eingangstür seines Hauses bewacht wurde, versuchte er erst gar nicht, auf diesem Weg nach draußen zu gelangen. Er konnte es nicht gebrauchen, gesehen zu werden, es reichte, wenn sie am Morgen bemerken würden, dass er verschwunden war.

Guy betrat einen kleinen Raum im Erdgeschoss, der momentan nicht benutzt wurde. Dieses Zimmer hätte ein Werkraum für Marian werden sollen, da sie einmal gesagt hatte, sie sticke gern. Marian... Wieder blitzte das Bild von seinem Schwert, das in ihrem Bauch steckte, vor seinem geistigen Auge auf. Schnell verdrängte er es und durchquerte den Raum. Er öffnete das einzige Fenster und sah nach unten. Keine Dornen oder sonst etwas, das ihn hätte verletzen können. Den rechten Fuß auf das Fensterbrett setzend, drückte er sich mit dem linken vom Boden ab und sprang mit einer geschmeidigen Bewegung durch das Fenster nach draußen.

Er ließ das Dorf hinter sich, betrat den Wald. Seine Schritte waren auf dem weichen Boden kaum zu hören, da Nadeln und tote Blätter die Geräusche dämpften. Mit seinem Schwert hätte er sich nicht so einfach durch das Unterholz schlängeln können, wie er es nun tat. Auch seine schwere Lederweste, die ihm etwas zu weit war, hätte leise geknarzt. Er war froh, dass er sie nicht mitgenommen hatte.

Eine leichte Brise wehte ihm sein mittlerweile recht langes schwarzes Haar ins Gesicht. Es war durch fehlende Pflege fettig geworden und klebte in dicken Strähnen zusammen. Da Marian nicht mehr lebte, hatte er keinen Grund gesehen, sich zu waschen. Marian. Schon wieder tauchte sie ihn seinen Gedanken auf. Er wünschte sich, für eine Weile gar nichts denken zu müssen, für eine Weile seine immerzu umherschweifenden Gedanken einsperren zu können.

Plötzlich sah er eine Bewegung im Augenwinkel. Er blieb stehen und drehte sich langsam um. Mit dem Rücken zu ihm saß Robin Hood auf einem Baumstamm. Er hatte den Kopf auf seine Hände gestützt und schien, genau wie Guy selbst, nicht schlafen zu können.

Robin/Marian One ShotWo Geschichten leben. Entdecke jetzt