Kapitel 12

3K 138 5
                                        

28.01.2015 - Nachmittags
[Marcos Sicht]

Vollkommen fertig lasse ich meinen Hinterkopf gegen die Tür meines Spints knallen. Beim heutigen Training habe ich mich besonders angestrengt. Einerseits habe ich das Gefühl das ich dadurch die ganze Führerschein-scheiße wieder ein wenig in Ordnung bringen kann, andererseits lenkt es mich von Mario ab. Um mich herum reden alle wild durcheinander, ziehen sich um und verschwinden nach und nach aus der Kabine. Ich schließe die Augen und nuckel ein paar mal an meiner geliebten Wasserflasche, um den schmerzen vorzubeugen, die sich langsam in meinen Kopf schleichen. 
»Marco, nicht einpennen« brüllt Kevin und schlägt mir mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. Erschrocken reiße ich die Augen auf.
»Boah, Kevin man« erwidere ich und sehe in strafend an. Trotz seiner Verletzung wollte er es sich nicht nehmen lassen, uns wenigstens beim Training - und anscheinend auch beim umziehen - zuzusehen. 
Genervt schließe ich wieder die Augen und öffne sie erst wieder, als das Stimmengewirr und gepolter verstummt ist. Endlich allein.
Gedankenverloren fummel ich an meiner Trainingsjacke herum um starre die gegenüberliegende Wand an. Ich muss daran denken, wie oft ich hier in dieser Kabine neben Mario saß. Wie wir uns tief in ein Gespräch vertieft umgezogen haben, wie wir gelacht haben. Wie ich ihn angestarrt habe, als er in nichts weiter als seiner Boxershort herumgelaufen ist. Ein lächeln huscht über meine Lippen. Ich vermisse ihn. Seufzend stehe ich auf und laufe zum kleinen Waschbecken neben der Liege und wasche mein Gesicht mit kaltem Wasser. Als ich mich im Spiegel betrachte und im Hintergrund den Großteil der Kabine, schießt mir der Tag in den Kopf, der mein Leben komplett auf den Kopf gestellt hat. Der Tag an dem Mario mir gesagt hat, dass er Borussia Dortmund verlassen wird. Das er mich verlassen wird. Denn genau hier, wo ich nun stehe, habe ich gestanden als Mario mir gebeichtet hat, was er vorhat.

****Rückblick****

Marco ist gerade dabei sich den Dreck und die Grashalme aus dem Gesicht zu waschen als er hört, wie die Kabinentür auf und zu geht. Durch das rauschen des Wassers hört er, wie jemand auf ihn zukommt und ein sehr vertrauter Geruch steigt ihm in die Nase.
»Hast du was vergessen«? ruft er etwas außer Atmen ohne mit dem aufzuhören, was er gerade tut.
»Nein... hast du kurz ne Minute«? fragt Mario ihn zaghaft. 
Marco schnappt sich sein Handtuch, rubbelt sich durchs Gesicht und sieht Mario an.
»Klar, wieso«? Er und feuert das Handtuch auf die Liege neben dem Waschbecken. »Hast wieder was angestellt und ich solls ausbügeln, oder wie«? grinst er. 
»Nein...« erwidert der jüngere ernst und schluckt. Marcos grinsen erlischt sofort und er kommt besorgt ein paar Schritte auf Mario zu.
»Was ist los Mario? Ist was passiert«? 
Mario erwidert nichts, spielt nervös an einem Faden seines Shirts und starrt auf seine Füße.
»Sag schon« drängt der ältere.
»Ich weiß nicht wie« flüstert Mario und sieht seinen besten Freund traurig an. 
Marco taumelt unbewusst ein paar Schritte zurück und krallt sich mit einer Hand an den Rand des Waschbeckens, ohne ihn aus den Augen zu lassen. 
»Du kannst mit mir über alles reden Sunny, dass weißt du doch« sagt er liebevoll. Sein Magen verkrampft sich bei Marios Anblick und er spürt, dass irgendwas nicht stimmt. 
»Du... hast sicher schon von dem Gerücht gehört ich würde zum Fc Bayern wechseln... die Gerüchte sind wahr. Ich werde den BVB bald verlassen«. 
Marcos Herz setzt einen Moment lang aus. Er hat das Gefühl, er hätte den Boden unter den Füßen verloren; als würde er von einem Wolkenkratzer fallen, ohne jemals unten anzukommen. Sein Kriff um den Rand des Waschbeckens versteinert sich und das weiß seiner Knochen drückt sich durch seine Haut. Er schluckt ein paar mal heftig doch das verhindert nicht die Tränen, die ihm in die Augen steigen. Er hofft so sehr er hat sich verhört, doch er kennt die Wahrheit. 
»Es tut mir so leid« sagt Mario mit heiserer Stimme. Auch er kämpft mit den Tränen. 
»Das kannst du doch nicht machen« flüstert Marco, der sich immer weiter in die Ecke zurückzieht. Mittlerweile kullern ihm die Tränen unentwegt über die Wangen.
Mario kommt auf ihn zu und schließt ihn in die Arme, ehe er seinen Kopf in Marcos Halsbeuge vergräbt. 
»Das kannst du mir doch nicht antun Mario« sagt Marco; immer wieder bricht seine Stimme. »Ich brauch dich doch hier«.
»Es tut mir so leid« nuschelt Mario in Marcos mittlerweile tränennassen Pullover und wird immer wieder von schluchzern geschüttelt. 
Marco schlingt seine Arme eng um Mario und schmiegt seine Wange an den Kopf des kleineren. Mario kann nicht gehen, so lange ich ihn festhalte denkt er sich. Er darf einfach nicht gehen. 
Er ist nicht einmal wütend. Er ist einfach nur unendlich traurig und fühlt sich hilflos. 
Die beiden stehen in dieser engen Umarmung noch einige lange Minuten einfach so da und lassen ihren Gefühlen freien lauf, bis Mario sich von Marco löst und ihm in die Augen sieht. »Du darfst mich auf keinen Fall vergessen, verstehst du«?

********

Plötzlich ist mir kotzübel. Ich schmeiße meine Sachen achtlos in die große schwarze Sporttasche und verlasse die Kabine, ohne mich umzuziehen. Ich halte es da drinnen keine Sekunde länger aus. Ich musste lange nicht mehr an diesen Tag denken. Ich stürme aus der Eingangstür in die kalte Januar-Luft, geradewegs auf das Auto meiner Schwester zu. Ich reiße die Beifahrertür auf und lasse mich in den Sitz fallen, die große Tasche auf meinem Schoß.
»Marco, was ist passiert?« Besorgt mustert Melanie mich von der Seite.
»Nichts, fahr mich einfach nur nach Hause« sage ich schroff und füge kleinlaut ein leises »bitte« hinzu. 

[Götzeus] Sunny & Woody - Es ist Liebe.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt