5 | Die Seherin

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Und natürlich lebt diese einzige Seherin von ganz England ausgerechnet in Soho

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Und natürlich lebt diese einzige Seherin von ganz England ausgerechnet in Soho. Wo auch sonst? Der Laden sieht von außen ganz so aus, wie man sich das Geschäft einer Wahrsagerin und Hexe vorstellt: Im Souterrain eines vierstöckigen Backsteinhauses in einer gruseligen Seitenstraße der D'Arbley Street, mit gusseisernen Gittern vor den Fenstern.

»Inwiefern soll uns die Völva helfen?«, frage ich zögerlich, als wir vor dem Laden stehen, den alle anderen Passanten zu ignorieren scheinen.

»Diese Magie, die ich gespürt habe, sie ist deiner sehr ähnlich. Nur auf eine andere Art tödlich.«

Nicht tödlicher. Nein, nur tödlich auf eine andere Art. Ich weiß, was meine Kräfte anrichten können. Sie könnten Menschen in ein ewiges Koma schicken, oder sie den Verstand verlieren lassen, bis sie vollkommen durchdrehen. Ich stopfe meine Hände tiefer in die Manteltaschen.

Thor betritt den Laden als erstes. Er muss sich ducken, um nicht an den Türrahmen anzustoßen. Drinnen steht die Luft vor Staub. Es riecht muffig und süß. Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Geschäft nicht wirklich von anderen Ramschläden, doch dann entdecke ich geschnitzte Statuen von Zwergen und Elfen, und Schalen mit kunstvoll eingebrannten Runen.

»Hallo?«, ruft Thor. Er stößt sich den Kopf an einer Art Traumfänger, von dem Runensteine herunterhängen.

Das scheinbar einzige Licht im Raum kommt von einer riesigen Lampe, die auf einer schiefen Kommode steht. Der Lampenschirm besteht aus besticktem Leinen, das neun runde Kreise mit verschiedenen Szenen in diesen zeigt.

»Die neun Welten«, sagt Thor, der plötzlich hinter mir steht. Auch er scheint von der Kunstfertigkeit der Lampe beeindruckt zu sein. Er deutet nacheinander auf die verschiedenen Sphären »Das hier ist Midgard, die Welt der Menschen. Asgard, das Reich der Asen. Vanaheim, Heimat der Vanen, die Naturgötter. Jotunheim, Hochburg der Riesen, und Alfheim, Heimat der Lichtalben. Das Reich der Zwerge, Nidavellir. Niflheim, Welt des Nebel und der Kälte. Muspellheim, Heimat der Feuerriesen und der Dämonen. Und schließlich Helheim, Reich der unehrenhaft gestorbenen Toten.«

»Dann ist das Yggdrasil, die Weltenesche«, schlussfolgere ich. Die Neun Kreise sind von Zweigen umgeben. Der Lampenfuß hat die Form eines Baumstumpfes, und darum windet sich eine Schlange. »Und das ist Jörmungand.« Ich strecke meine Finger nach dem Schlangenkörper aus, das Holz so kunstfertig geschnitzt, als würde es gleich zum Leben erwachen.

»Oh, das würde ich an deiner Stelle lieber lassen, Herzchen. Das war teuer.«

Ich schrecke auf und stoße dabei nicht gegen die Lampe, aber gegen Thor.

Im Türrahmen zum Nebenraum, von dem bunte Bänder mit Perlen an den Enden hängen, steht eine Frau. Ich will nichts stereotypisieren, aber sie sieht tatsächlich so aus, wie man sich eine Hexe vorstellt. Sie trägt einen dünnen blauen Mantel, der vorne mit einer kupferfarbenen Spange zusammengehalten wird. Um ihren Hals hängt eine Glasperlenkette. Sie schiebt die Bänder mit einem Holzstab zur Seite, der mindestens so groß ist wie sie selbst. Der Stab ist mit Kupfer eingelegt, und oben in den Knauf sind Steine gefasst. Dazu trägt sie Hausschuhe mit weißem Plüsch, was überhaupt nicht zu ihrem Outfit passen will.

Lethargy | ᵗʰᵒʳ ᵒᵈⁱⁿˢᵒⁿWo Geschichten leben. Entdecke jetzt