6 | Besuch

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Jetzt ist der Besuch bei meiner Mutter noch unvermeidbarer

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Jetzt ist der Besuch bei meiner Mutter noch unvermeidbarer. Den ganzen Sonntag über laufe ich unruhig in der Wohnung herum, räume auf und putze sogar das Bad. Trotzdem komme ich nicht um den Gedanken herum, dass Finnegan mich sucht und mich vermutlich bald gefunden haben wird.

Schon kurz nach dem Mittag bin ich ein nervöses Wrack. Da hilft es nicht, dass Jenna und Thor den ganzen Vormittag zuerst Scrabble und dann Cluedo spielen, woran der Donnergott seinen Spaß hat. Wenn er dann doch mal meinen Blick auffängt, verzieht er das Gesicht zu einer besorgten, ernsthaften Miene. Doch Jennas Zitronenkuchen kann er nicht abschlagen.

Auch das Zeichnen in meinem Skizzenblock kann mich nur bedingt beruhigen. Überall auf der Seite taucht Finnegans Gesicht auf, mal so, wie ich ihn in Erinnerung habe, dann als grausam entstellte Maske, dann wieder als lachenden Jungen. Die Paranoia bringt mich ins Schwitzen.

Da trägt es nicht zur Verbesserung meines Zustands bei, das es klingelt und die beiden Ermittler von gestern Nachmittag in der Tür stehen.

»Detective Inspector Blakeley, Scotland Yard. Wir kennen uns bereits. Dürften wir Ihnen ein paar weitere Fragen stellen?«

»Sicher, kommen Sie rein«, murmele ich.

»Hey John«, ruft Jennaa aus dem Wohnzimmer.

Der Mann winkt kurz, dann folgt er mir in die Küche. Die beiden kennen sich wohl von der Arbeit.

»Wo ist denn ihr großer blonder Freund von gestern?«, fragt Detective Blakeley.

»Im Wohnzimmer«, sage ich. »Brettspiele spielen. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Tee, Kaffee? Grapefruitsaft?«

Blakeley winkt ab und schneidet den Grund ihres Kommens ohne Umschweife an. »Wir wollen Sie nicht lange aufhalten. Kannten Sie den Toten?«

Zögerlich umgreife ich meine Teetasse, die noch von vorhin auf dem Tisch steht. »Nein. Wie ich Ihrem Kollegen bereits sagte, ich lief nur zufällig durch den Park.«

John zieht etwas aus seiner Jackentasche. »Dann haben Sie das hier also auch noch nie gesehen?«

Er legt die kleine Plastiktüte auf den Küchentisch. Ich beuge mich vor. Als ich das Objekt erkenne, bleibt mir fast die Luft weg. Es ist ein sichelmondförmiger Kettenanhänger, aus echtem Silber, verziert mit keltischen Ranken. Mein Hals ist wie zugeschnürt. Als Antwort auf die Frage schüttele ich nur den Kopf, denn zum Sprechen bin ich gerade nicht fähig.

»Und wissen Sie etwas damit anzufangen?« Er dreht das Tütchen um.

Runen. Vier Stück. Sorgfältig in das weiche Metall gekratzt:

 Sorgfältig in das weiche Metall gekratzt:

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Mein Name, Eira, in Futhark-Runenschrift. So wie Finnegan und ich als Kinder immer unsere Geheimbotschaften verschlüsselt haben. Ich dachte, ich hätte die Kette verloren, vor Jahren schon. Dabei hatte er sie die ganze Zeit.

»Ich habe keine Ahnung«, bringe ich schließlich hervor und gebe mir Mühe, überzeugend zu wirken. Meine Finger krallen sich in die Tasse. Die Fingernägel werden sicher Spuren hinterlassen. Nach Heidis Reinigungsaktion von gestern habe ich die Handschuhe nicht mehr angezogen.

Die Frau zieht eine Augenbraue hoch. Sie glaubt mir kein Wort. »Unsere Kryptoanalytiker haben die Runen als ihren Namen entziffert, Miss Anderson, und ich glaube wohl kaum, dass das ein Zufall ist. Wir fanden diese Kette in der Luftröhre des Opfers.«

Ich schlucke. Wieso tut Finnegan so etwas? Wieso will er mich auf diese Art herauslocken?

»Miss Anderson, wenn Sie etwas wissen, müssen Sie es uns sagen«, sagt Sergeant Perry beschwörend. »Nur so können wir Sie schützen.«

»Mich... schützen?«, wiederhole ich.

»Nunja, Sie haben ein Alibi für die Tatzeit des Mordes am Freitag. Und die Todesursache der beiden Männer... Sagen wir es so, Sie sind keinesfalls eine Tatverdächtige. Nein, im Gegenteil, der Täter hat es möglicherweise auf Sie abgesehen.« Er befördert eine weitere Tüte aus seiner Tasche. Diesmal ist es ein kleines Stück Holz. Geronnenes Blut hat sich in der Kerbe festgesetzt und hebt so die Rune hervor:

 Geronnenes Blut hat sich in der Kerbe festgesetzt und hebt so die Rune hervor:

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Ein F für Finnegan. Ich will einfach nur durch den Stuhl sinken und eins mit dem Boden werden.

»Ihr Vater hatte einen Doktortitel für angelsächsische, nordische und keltische Kultur, ist das korrekt?«, äußert sich Blakeley.

Ich bleibe stumm. Mir gefällt die Richtung, in die sich dieses Gespräch entwickelt, überhaupt nicht.

Blakeleys Handy klingelt. Sie schiebt ihren Stuhl zurück, sagt »Entschuldigen Sie mich kurz«, und geht in den Flur, um das Gespräch anzunehmen.

Ich sehe den Resten der Teeblätter zu, wie sie im Wasser umherschwimmen. Wenn Scotland Yard schon auf der Suche nach meinem Bruder ist... Und mal wieder fällt mir nur eine Person ein, die mir helfen könnte. Vielleicht hat meine Mutter in den letzten Jahren etwas von Finnegan gehört. Vielleicht kennt sie seine Pläne, oder kann ihn zur Vernunft bringen. Sie mochte ihn sowieso immer am meisten.

John Perry räuspert sich. »Was hat Thor mit der Sache zu tun?«, fragt er leise. Das lässt mich vermuten, dass er seine Kollegin nicht über die wahre Identität des blonden Hünen aufgeklärt hat.

»Er ist auf der Suche nach jemandem«, sage ich. »Ich helfe ihm nur, ihn zu finden. Das«, ich deute auf den Inhalt der beiden Plastiktüten, »hat nichts mit ihm zu tun, das kann ich Ihnen versichern.«

»Hm. In Ordnung.«

Blakeley kommt wieder. »Regent's Canal, Whitmore Bridge«, sagt sie knapp und bedeutet Perry, aufzustehen.

»Noch ein Mord?«, frage ich.

Ihr Blick spricht Bände. Ja, und es war derselbe Täter, der auch hinter Ihnen her ist.

»Sie können uns jederzeit anrufen, wenn Ihnen noch etwas einfällt«, sagt John Perry an der Tür und gibt mir eine Visitenkarte mit seiner Nummer.

Ich nicke abwesend. Während die beiden Ermittler die Treppe runterlaufen, schnappe ich noch Bruchstücke auf, wie »...kollabierte Lunge... war völlig aufgedunsen... Täter könnte noch in der Nähe sein... sofort mehrere Einheiten...« Dann fällt im Erdgeschoss die Tür zu. Ich lehne mich gegen die Wohnungstür und lasse mich langsam an dieser heruntergleiten.

Ich kann nicht sagen, wer gerade mehr in der Klemme steckt, Finnegan oder ich. Jetzt ist er sogar ein von der Polizei gesuchter Mörder. Doch wenn er mich findet, wird er mich dann auch umbringen? So ist er nicht. Wir mögen zwar im Streit auseinandergegangen sein, aber er hegt keinen Hass gegen mich, genauso wenig wie ich ihm gegenüber. Wieso dann die Morde? Wieso mussten drei Leute dafür sterben? Will er mich rauslocken?

Ein kalter Schauer erfasst mich. Auf einmal ist mir die Bedeutung seiner Handlungen klar. Komm heraus, oder noch mehr Leute sterben. Nur wohin? Wie soll ich ihn finden, wenn er mir nicht einmal die Chance dazu gibt, mit ihm in Kontakt zu treten? Ich muss mit Mutter reden, und das nicht nur auf Thors Wunsch hin.

Das wird das wohl schlimmste Familientreffen aller Zeiten.

Lethargy | ᵗʰᵒʳ ᵒᵈⁱⁿˢᵒⁿWo Geschichten leben. Entdecke jetzt