"Kommt zusammen, zusammen, zusammen! Ehhhhh!"
Schon spürte ich den scharfen Schnaps meine Kehle hinunter rennen. Es trieb mir fast die Tränen in die Augen. Laut und tief atmete ich aus. Wie das brannte. Ich unterdrückte das Schütteln, das sich in mir anbahnte. Sofort ließ ich mir den nächsten Shot eingießen und schüttete ihn ebenfalls den Rachen hinunter.
Es war Silvester! Im Jahr 2020, um genau zu sein. Und heute Abend wollte ich es so richtig krachen lassen.
Der kleine Keller der Landjugend reichte kaum aus für die vielen Leute. Dichter Zigarettenrauch hing in der Luft, die vom heftigen Beat des Technosongs, der gerade spielte, pulsierte. Die Leute, alles Bekannte und Freunde, tanzten wild, manche knutschten schon in der Ecke, dabei war es noch nicht mal Mitternacht. Es war eng und viel zu heiß in dem kleinen Raum. Aber das gehörte so. So musste eine gute Party aussehen, sagte meine beste Freundin Liz immer.
Schon seit Wochen fieberte ich auf Silvester hin. Nicht, weil ich mich nach meinen Semesterprüfungen mal wieder richtig betrinken konnte. Auch nicht, weil ich genau wusste, dass mein Schwarm ebenfalls auf dieser Party war. Sondern weil dieses Jahr, scheiß 2020, heute endlich zu Ende gehen würde.
Die Tage waren alle gleich gewesen, waren in Wochen und Monate übergeflossen, ohne dass wirklich etwas Aufregendes passiert wäre. Die meiste Zeit hatte ich sowieso in der Uni oder in meinem Zimmer verbracht, um Klausurstoff in mein Hirn zu prügeln, der mich eigentlich nicht interessierte. Ich hatte mich nur selten mit meinen Freunden getroffen und ich war mir ziemlich sicher, dass ich meine ganzen Social-Media-Kanäle einmal durchgeschaut hatte. Mein Vater hatte sich schon Sorgen gemacht, ob ich in eine neue Depression abrutschte, doch das war es nicht. Es war einfach nicht mein Jahr gewesen. Und das hatte ich akzeptiert. Aber nun wollte ich eigentlich keine Sekunde länger von diesem elenden Jahr vergeuden, sondern neu starten.
Und das tat ich. Mit einem weiteren Shot. Der Pegel musste noch ordentlich steigen.
"Boah, Liz! Du weißt genau, dass ich keinen Pfefferminzschnaps mag!", beschwerte ich mich bei meiner Freundin.
"Du bist so eine Memme, Isa!" Sie zuckte grinsend mit den Schultern. "Komm, wir gehen tanzen!"
Gemeinsam, Liz zog mich unbarmherzig auf die Tanzfläche, drückten wir uns durch die Menschenmenge. Wie konnten nur so viele Menschen in einem so kleinen Raum Platz finden?!
Der DJ, der sicher nicht professionell war, sondern irgendeine Party-Playlist von Spotify spielte, legte ein neues Lied auf. Eines, zu dem auch ich tanzen konnte. Im Rhythmus begann ich meine steifen Knochen zu bewegen. Normalerweise achtete ich auf meine Bewegungen, wie sie für andere aussahen. Aber die drei Shots entfalteten so langsam ihre Wirkung. Plus die drei Gin Tonic und der eine Wodka Lemon ergab das einen wilden Mix in meinem Magen, der die Ränder meines Sichtfelds verschwimmen ließ.
Der Beat hämmerte in meinen Ohren. Ich wusste genau, dass ich den noch morgen früh würde hören können. Liz tanzte mich rückwärts an und ich ließ mich einfach treiben, streckte meine Hände in die Luft und wackelte mit den Hüften.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich plötzlich, wie ich beobachtet wurde. Sofort riss ich die Hände herunter. Tobi sah mich mit seinen durchdringenden Bambi-Rehkitz-braunen Augen an. Die Augen, in die ich seit der fünften Klasse verschossen war, und es trotzdem nie hatte wahrhaben wollen. Es war bisher immer leichter gewesen, meine Gefühle zu verleugnen, als sie mir einzugestehen.
Zum Protokoll, ich war einundzwanzig, studierte im dritten Semester Geschichte und meine Erfahrungen mit Freunden waren, sagen wir mal... limitiert. Aber das nur so nebenbei.
Tobi schaffte es immer, dass ich mich unwohl fühlte. Sobald er einen Raum betrat, flogen meine Augen zu ihm. Mein Herz beschleunigte sich und pochte wild. Meine Haltung änderte sich, meine Stimme. Ich versuchte natürlich, cool zu bleiben. Man konnte sich vorstellen, wie gut das immer funktionierte. Und wenn Liz mich damit aufzog, wie offensichtlich meine Zuneigung doch sei, wehrte ich immer ab und wechselte das Thema.
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My past resolutions
Historical FictionIsa könnte nicht glücklicher sein, als ihr langjähriger Schwarm sie endlich küsst. Und das an Silvester, genau um 0:00 Uhr. Schon immer hat sie davon geträumt, so in ein neues Jahr zu starten. Doch dieser meint es nicht ernst mit ihr und Isa ist zu...