Kapitel 32 - Und wenn sie nicht gestorben sind...

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Mein Kopf war schwer. So schwer. Ich konnte ihn kaum anheben. Noch schwerer waren meine Augenlider. Sie wollten nicht aufgehen. Ich wollte sie mir reiben, doch auch meine Arme konnte ich nicht bewegen. Als wäre ich festgebunden. Ein stechender Schmerz fuhr mir in den Rücken, als ich mich ein wenig bewegte. Noch immer hing mein Kopf schlapp von meinen Schultern. So schwach. Warum war ich nur so schwach? Was war passiert?

Die Gedanken in meinem Kopf ließen sich nur schwer ordnen, doch je mehr ich es versuchte, umso klarer und wacher wurde ich. Das war gut. Silvester - daran konnte ich mich noch erinnern. War es schon Neujahr? Hatte ich Mitternacht verpasst? Noch musste es Nacht sein, denn es war bitterkalt und dunkel, das merkte ich selbst durch meine geschlossenen Augen.

Es roch feucht, nach Moos, nach einem Wald. Wie kam ich in einen Wald?! Wir hatten doch zu Abend gegessen und Scharade gespielt. Anton hatte Ludmilla einen Heiratsantrag gemacht! Ich freute mich so - wenn ich mich doch nur irgendwie bewegen könnte. Ein weiterer Geruch stieg mir in die Nase. Er war so scharf, dass es mich ekelte und kam mir gleichzeitig doch so bekannt vor. Es war der Geruch von Alkohol, realisierte ich mit dem nächsten Atemzug. Mein Gott, war die Silvesterfeier etwa so aus dem Ruder gelaufen? Hatten wir uns betrunken und waren irgendwo im Wald liegen geblieben? Sogar eingeschlafen oder so desorientiert, dass wir den Weg zurück nicht mehr gefunden hatten?

Wir... wo war eigentlich Johann? Ein weiteres Puzzleteil fiel an seinen Platz. Johann wollte sich mit mir treffen, draußen im Garten. Ich war da - er nicht. Vor meinen Augen sah ich Fußspuren im Schnee. Verdorrte Rosenstöcke. Doch von Johann keine Spur.

Die Erinnerung traf mich wie ein Schlag.

Ruckartig flog mein Kopf nach oben und ich riss die Augen auf. Fremde Worte hallten gespenstisch durch meinen Kopf. Meine Augen mussten sich zuerst an die Dunkelheit gewöhnen. Dann entdeckte ich eine schemenhafte Gestalt, die vor mir herum hüpfte. War ich etwa bei Rumpelstilzchen gelandet? Nein, ich erkannte die Silhouette sofort. Hochgewachsen und muskulös. Ein kleines, zufriedenes Lachen räumte den letzten Zweifel aus dem Weg. Meine Zunge war schwer und pelzig, doch ich presste meine Worte mit aller Kraft hervor. "Marquis Theodore?"

"Ah, Burgiarda. Du bist wach. wie schön. Dann kannst du alles bei Bewusstsein miterleben." Die Kleider des Marquis waren dreckig und kaputt und sein Haar stand in alle Richtungen ab. Man sah ihm genau an, dass er mehr als zwei Monate in dieser dunklen Gefängniszelle gesessen hatte. Doch genau das war das Problem. Vergangenheit.

"Wie-was? Sie - Ihr solltet doch im Gefängnis sein. Oder zurück in Italien. Ich -"

"Si, was für ein glücklicher Zufall, nicht wahr? Du solltest dich geehrt fühlen, ich bin nur für dich zurückgekehrt."

"Was soll das heißen?", schnappte ich und wollte einen Schritt auf ihn zu machen. Da stach es mir erneut in den Rücken. Mein Fuß knickte zur Seite - das war das erste Mal, dass ich nach unten sah. "Was zur Hölle?"

Ich stand auf Holz. Auf ganz vielen kleinen und großen Ästen, alle zu einem Haufen aufgeschichtet. Nun spürte ich auch, was mir in den Rücken stach. Es war ein Baumstamm. Meine Hände waren dahinter zusammengebunden.

"Genau, Burgiarda. Genau dort kommst du jetzt hin."

"Marquis, was soll das? Bindet mich los!"

Doch er reagierte nicht auf mich, sondern murmelte in Italienisch vor sich hin. Währenddessen schleifte er noch mehr Holz heran. "Un po' poi di legna e alcol, poi brucia bene." Der Marquis wirkte anders. Seine Bewegungen waren fahrig und ab und zu entkam seinen Lippen ein leicht verrücktes Lachen. Was ging hier vor? Ich verstand es nicht. Eines war jedoch klar. Er war die Präsenz hinter mir im Garten gewesen, er hatte mich betäubt und ausgeknockt. Und entführt. Festgebunden an einem Baum mitten im Wald. Eine Welle der Panik überkam mich.

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