Hoseoks Dämonen waren ein bisschen anders als meine.
Wenn ich eine Sache wusste, dann dass man nicht immer depressiv war, wenn man depressiv war. Das war das tückische. Eine Weile ging es ihm gut und Hoseok war sich selbst nicht mal mehr sicher, ob er 'verdiente' hier zu sein. Ob es denn schlimm genug sei, oder ob er sich nicht doch nur alles einbildete. Ich konnte es einfach nicht hören, wenn er behauptete, es ginge ihm doch gut.
Er wusste es besser und ich wusste es auch. Solange er selbst nicht akzeptierte, dass es ihm nicht gut ging, würde das, was gerade passierte immer wieder passieren und die Depression kam zurück, um ihn mit ungehinderter Macht umzuwerfen. Eben noch stand er auf seinen Füßen, doch schon einen Tag später konnte er am Boden liegen und nicht nur, dass er sich nicht wieder aufgerappelt bekam, er schaffte es nicht mal den Kopf zu heben.
Ich kam von meiner Gruppentherapie und ich warf die Tür hinter mir zu. Fast hätte ich ihn gar nicht bemerkt, so klein machte er sich, aber als ich ihn auf dem Bett liegen sah, war ich mir plötzlich nicht mehr sicher, ob er heute überhaupt schon aufgestanden war. Hatte er gegessen? Hatte jemand seinen Zustand bemerkt? Sicherlich hatten sie es bemerkt, wie waren schließlich nicht umsonst hier.
Kurzerhand räumte ich meine Sachen auf meine Seite des Zimmers, die unendlich viel unordentlicher war als seine und dann atmete ich einmal tief durch. Es war vielleicht die Zeit gekommen, mich zu revanchieren. Die hatte ich nicht oft und ich stellte mich auch nicht wirklich gut dabei an. Wie sollte man das sagen? Er hatte einfach ein Händchen für mich. Fast von Anfang an, hatte er instinktiv verstanden, was ich brauchte, wenn ich einen meiner Ausraster hatte. Es gab viele Gründe, warum ich anfangen konnte zu toben und ich hatte keine Ahnung, wie er das machte, aber er filterte einfach, was los war und manchmal wusste er das sogar besser als ich.
Er wusste, wann er mich beruhigen konnte, er wusste, wann er mich in Ruhe lassen musste und auch wann es das Beste war, mir einfach die Meinung zu geigen. Aber ich? Wenn er abkackte, hatte ich keine Ahnung was ich tun sollte. Ich wusste weder was zu sagen, noch wie ich ihm helfen konnte.
Ich wusste einen Scheiß.
Auch jetzt rang ich mit mir und es wäre gelogen, würde ich behaupten, dass mich sein Zustand nicht unter Stress setzen würde. Doch ich hatte, seit er hier war, gelernt, weniger egoistisch zu sein. Ich konnte nicht einfach wütend werden, weil ich eigentlich sauer auf mich selbst war und es dann an ihm auslassen und ihm die Schuld geben, weil es mich stresste. Ja, den Fehler hatte ich gemacht, es war der Augenblick gewesen, indem er mir die Meinung gegeigt hatte.
Wenn du nicht einfach deinen Kacke für eine Weile zurückstecken und nett zu mir sein kannst, dann ignoriere mich einfach, aber scheiß mich nicht an, Jimin!
Unsere Gefühle waren beide valide und ich wollte es dieses Mal besser machen. Ich wollte nicht noch mal so mit ihm streiten. Die meiste Zeit verstanden wir uns so verdammt gut und immer wenn das ein Stück kaputtging, dann war es meine Schuld und ich konnte mich glücklich schätzen, dass Hoseok war, wie er war, mir verzieh, bevor ich ihn darum bat und sich immer Mühe gab, zu verstehen, was in meiner Matschbirne gerade wieder vor sich ging. Er war in den letzten Wochen und Monaten andauert für mich dagewesen, ohne etwas zu verlangen, ohne darüber nachzudenken und ohne dass es ihn anzustrengen schien.
Unsicher strich ich mir über den Arm und fast hätte ich einen Rückzieher gemacht und ihn einfach ignoriert, um ihn in Ruhe zu lassen. Doch ein Teil von mir und dieser war nicht gerade klein, wollte das erste Mal einfach für jemanden da sein. Also ging ich zu seinem Bett rüber und räusperte mich. Er reagierte nicht und ich biss mir auf die Lippe.
"Hoseok", sagte ich leise, "ich weiß, dass du nicht schläfst."
Er ganz nur ein abfälliges Geräusch von sich und zog scharf die Luft ein.
"Wen juckt das schon?", fragte er und ich biss die Zähne zusammen. Mich juckte es, sonst würde ich nicht hier stehen. Es tat weh, wenn er so was sagte, doch ich versuchte es dieses Mal nicht persönlich zu nehmen, sondern hielt mir vor Augen, dass auch er, so stark er sonst wirkte, einen Kampf kämpfte und dass dieser wahrscheinlich genauso schwer war wie mein eigener. Er zweifelte nicht wirklich an mir per se, er fühlte im Moment einfach nichts für niemanden.Die schnippische Bemerkung, dass er sich nur umdrehen brauchte, um jemanden zu sehen, schluckte ich also dieses Mal runter. Stattdessen ging ich näher an ihn heran. Schön ruhig bleiben. Ausnahmsweise mal auf ihn konzentrieren.
"Darf ich?", fragte ich und machte Anstalten, mich zu ihm zu setzen.
"Tu, was du nicht lassen kannst", meinte er und klang müde. Ich setzte mich auf seine Bettkante und überlegte, was ich tun sollte. "Hast du gegessen?", fragte ich und er schüttelte nur den Kopf. Noch immer hatte er sich nicht mal zu mir umgedreht. Es war schwerer als gedacht, weil meine eigenen Gedanken sich überschlugen. Er reagierte nicht, wie ich es wollte und das wollte mich schon wieder wütend werden lassen, doch ich stoppte mich.Es brachte nichts, ihn anzufahren, dass er sich umdrehen sollte, wenn ich mit ihm sprach. Das war jetzt nicht der Punkt! Konzentration war der Schlüssel.
Vorsichtig streckte ich meine Hand nach ihm aus und legte sie ihm auf die Schulter. Stumm begann ich kleine Kreise mit dem Daumen zu ziehen und ihm somit sanft ein bisschen Trost zu spenden, so gut ich es eben konnte.
"Ich weiß nichts zu sagen, was dich vielleicht aufmuntern könnte. Wahrscheinlich fühlst du dich gerade wie Scheiße und denkst die Welt hasst dich oder so was, ich habe keine Ahnung, es tut mir leid, wenn diese Floskeln dich verletzen und voll daneben sind", wieder biss ich mir fest auf die Lippe und streichelte einfach weiter seine Schulter, "aber ich will, dass du weißt, dass egal was deine inneren Stimmen dir sagen, es gibt eine Person auf dieser Welt, die dich ... volle Möhre zu schätzen weiß. Das bin ich. Und ... und ich bin hier. Das ist alles."
Er sah über seine Schulter und der Schmerz in seinen Augen tat mir irgendwie mit weh. Wie konnten seine Augen, die sonst immer so warm funkelten plötzlich so tot und leer aussehen? Es war erschreckend, was diese tückischen Schübe einem antun konnten. Ich biss mir auf die Lippen, denn allein, die Art, wie er zittrig einatmete, zeigte mir, dass er was sagen würde, was mich erschüttern würde. Tränen stiegen ihm in die Augen, aber es waren nicht die Sorte, die es besser machten. Sie schienen unvermittelt zu kommen.
"Ich will nicht leben", wisperte er und er brach mir das Herz damit.
Ich wusste keine Antwort darauf, also legte ich mich einfach zu ihm, rutschte hinter ihm und legte meine Stirn an seinen Nacken. Mit dem Daumen streichelte ich weiter, über seine Schulter und so blieb ich bei ihm liegen. Was sollte ich auch sagen? Wer war ich, ihm zu sagen, dass er das nicht sagen oder fühlen sollte? Ich konnte es nicht ändern, ich konnte nur da sein.
Er drehte sich irgendwann zu mir um und ich strich ihm Tränen von den Wangen. Er legte seine Stirn an meine und sagte nichts. Das war auch nicht nötig. Ich nahm seine Hand in meine und verschränkte meine Finger mit seinen.
"Ich weiß es ist schwer", flüsterte ich, "aber halt noch ein bisschen durch. Ich kann dir nicht versprechen, dass alles gut wird, aber ich weiß, dass ich froh bin, dass du da bist. Glaub ich es oder nicht, aber du bereicherst mein Leben."
Auch dazu sagte er nichts, aber ich hoffte, dass es dennoch irgendwie bei ihm ankam. Er war mein Freund und ich war ihm dankbar. Mein Leben wurde besser dank ihm. Nicht nur dank ihm, auch die Therapie half. Doch er konnte machen, dass ich mich wohler fühlte und ich wusste das zu schätzen.
Welch dunkler Ort diese Welt nur wäre, ohne Hoseok.
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Seven Years
FanfictionDas Leben ist nicht immer leicht und wenn jemand das weiß, dann ist es Jimin. Schon in jungen Jahren vernachlässigt holen ihn die Schatten seiner Vergangenheit ein. Ergebnis: geschlossene Therapie in einer entsprechenden Einrichtung. Dort lernt er H...