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Die Nacht schlafe ich sehr unruhig. Immer wieder plagt mich der selbe Albtraum und jedes Mal wache ich schweißgebadet auf. In dem Traum nehme ich all meinen Mut zusammen und fahre an die UVA, um Peter zurückzugewinnen. Doch wenn ich an seinem Wohnheim ankomme, sehe ich ihn, wie er mit dem fremden Mädchen zusammen ist und mich bei dem Versuch, mit ihm zu reden, nur auslacht und sie vor meinen Augen küsst. Dann renne ich. Ich renne ins nirgendswo und mein Herz bricht jeden Schritt ein Stück mehr.

Wieder schrecke ich aus dem Traum auf und atme schnell. Mein Herz rast und ich fahre mir durch die verschwitzten Haare. Jedes Mal, wenn ich aufwache, sinkt mein Mut ein Stückchen mehr. Was ist, wenn sie wirklich sein Herz gewonnen hat? Was ist, wenn er mich noch nicht mal anhören will?

Ich atme tief ein und aus, um meine Atmung und Herzschlag wieder unter Kontrolle zu kriegen. Klar, ich weiß, dass Peter mich nicht auslachen wird, so ist er nicht. Aber selbst wenn er mich nicht auslachen wird, wäre es genauso schlimm, wenn er mich gefühlskalt anschauen würde.

An Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken. Ich will den Traum nicht nochmal erleben. Also taste ich im Dunkeln blindlings nach meinem Handy. Es dauert einen Moment, bis ich das kalte Stück Metall zu fassen bekomme. Als ich es entsperren möchte, kneife ich einen Moment die Augen zusammen. Man, ist das hell. 5:47 Uhr. Vor acht Uhr wird Lucas bestimmt nicht aufstehen.

Seufzend lese ich mir ein paar WhatsApp Nachrichten in unserer Familiengruppe durch und gebe meine Meinung zu Chris' Neuem Kleid ab, das sie sich für die nächste Party-Nacht gekauft hat. Ohne, dass ich es speziell will, tippe ich Peters Namen im Suchfeld an und klicke auf sein Profilbild. Er sitzt lächelnd auf einem Stein in der Nähe eines großen Sees. Das Foto habe ich gemacht. Ich schlucke schwer, während ich eine gefühlte Ewigkeit sein schönes Gesicht anstarre. Wie kann ein Mensch nur so eine Ausstrahlung haben?

Ich fasse neuen Mut, da er noch immer das von mir geschossene Bild als Profilbild hat und klicke auf Instagram. Seit der Trennung habe ich nicht einmal auf sein Profil geklickt und bin ihm sogar entfolgt, aus Angst, dass er ein Bild oder eine Story mit einem anderen Mädchen hochladen könnte. Nachdem ich einen Moment gezögert habe, rufe ich sein Profil auf. Auch hier  sieht noch alles wie vorher aus, er hat nur vor einer Woche ein Bild hochgeladen, das ihn mit seinen Kumpels beim Beerpong zeigt. Erleichtert checke ich, ob er mir auch entfolgt ist, doch tatsächlich folgt er mir noch. Soll ich ihm wieder zurück folgen? Hmm, nein, das mache ich, wenn wir uns wieder vertragen haben, Falls wir uns überhaupt nochmal vertragen.

Bis Lucas aufwacht, scrolle ich noch eine ganze Weile durch den Instagram Newsfeed und schaue mir ein paar diy Reels an. In dem einen Video backt jemand Karamellbrownies, die einen weichen Kern haben. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen und mein Magen meldet sich bei dem Anblick auch. Die muss ich nachbacken!

Die Schlafzimmertür öffnet sich und ein verschlafener und gähnender Lucas kommt ins Wohnzimmer. Er reibt sich über die Augen und wünscht mir einen guten Morgen. Bevor er den Weg ins Bad beschreitet, stellt er die Kaffeemaschine an. Nach einer Weile kommt er aufgestylt wieder heraus und setzt sich an den Küchentisch.

"Stell dir vor, ich habe heute Nacht geträumt, dass du, Peter, Freddie und ich ein Doppeldate haben. Total verrückt!"

"Total verrückt.", murmle ich zustimmend und lege mein Handy zur Seite. Noch etwas zerstreut von den Albträumen suche ich mir eine blaue Jeans mit Löchern in Kniehöhe und einen weißen Pulli heraus, auf dessen Brust kleine, blaue Schmetterlinge aufgebügelt sind. Ich greife meine Bürste und Zahnbürste und gehe auch ins Bad. Mit dem ersten Blick in den Spiegel sehe ich, dass ich dunkle Ränder unter den Augen habe und auch etwas blass aussehe. Oh, da benötige ich mehr als nur eine erfrischende Dusche. Entschlossen gehe ich zurück ins Wohnzimmer und krame den Beutel mir meiner Schminke heraus.

Nach der erfrischenden Dusche bin ich schon viel wacher und föhne gedankenverloren meine Haare. Eigentlich wollte ich währenddessen eine Masterplan schmieden, wie ich am besten mit Peter rede, doch mein Kopf ist nach dem letzten, super dramatischen Masterplan wie leergefegt. Also beschließe ich, mir darüber später Gedanken zu machen.
Aus dem Schminkbeutel krame ich den Concealer und das Puder und grundiere etwas mein Gesicht. Schon viel besser, ich sehe nur noch halb so verschlafen aus. Ich habe keine Lust, noch mehr Schminke aufzutragen, also packe ich meinen Kram zusammen und gehe zurück zu Lucas, der gerade in Gedanken an seinem Kaffee nippt. Er schaut kurz auf.

"Schöner Pulli hast du da. Möchtest du auch einen Kaffee?", fragt er mich und gähnt herzhaft.

"Danke und gerne. Aber bitte mit Milch und Zucker.", antworte ich, während ich meinen ganzen Kram in den Koffer packe. Eigentlich ist Peter mehr der Kaffeetyp als ich, aber heute fühle ich mich, als könnte ich das ganz gut gebrauchen. Lucas drückt mir eine Tasse Kaffee in die Hand als ich mich zu ihm an den Esstisch setze. Wir essen zum Frühstück den Rest Pizza von vorgestern, denn gestern haben wir vor lauter Lasagne ganz vergessen für das Frühstück einzukaufen. Aber das ist gar nicht so schlimm, denn bekanntlich ist ein Pizzafrühstück sowieso das beste und dem kann ich voll und ganz zustimmen.

Schweigend stopfen wir also die Pizzastücke in uns rein. Nach dem Abwasch beschließen wir nochmal über den Time Square zu schlendern und später noch etwas Essen zu gehen, denn mein Zug fährt erst heute Nachmittag um drei.

Der Abschied von Lucas fällt mir schwer und ich muss die ein oder andere Träne verdrücken, denn jetzt werde ich ihn mindestens ein halbes Jahr nicht mehr sehen. Traurig winke ich ihm noch ein letztes Mal zum Abschied zu und beginne, mich wieder durch die Menschenmassen mit meinem Koffer zu drängen. Ich mache an einem kleinen Bäcker nochmal halt und kaufe mir ein belegtes Brötchen, um dann weiter Ellenbogen in die Seite gerammt zu bekommen auf meinem Weg zum richtigen Gleis. Völlig erschöpft und froh, dass ich noch lebe, komme ich an meinem Zug an und suche mir wieder ein Platz am Fenster. Den Koffer verstaue ich wieder über mir, aber hole vorher noch mein Buch heraus.

Die Fahrt verläuft sehr schleppend. Der Mann neben mir schnarcht die ganze Fahrt, was mich immer wieder von meinem Buch ablenkt. Ich bin richtig froh, als er endlich aussteigen muss. An der vorletzten Haltestelle hat der Zug noch eine technischen Defekt, was die Weiterfahrt um eine halbe Stunde verzögert. ich seufze schwer und verfluche innerlich den Bahnkonzern. Es ist inzwischen zu dunkel draußen um zu lesen, also hole ich meine Kopfhörer raus, um etwas Musik zu hören. Dabei nicke ich fast weg, sodass ich um ein Haar meine Haltestelle verpasst hätte. So stehe ich nun gestresst am Bahnhof und quetsche das Buch noch in den Koffer, der daraufhin fast nicht zugehen will. Toller Ankunftstag.

Schlecht gelaunt ziehe ich den Koffer den Bahnhof entlang. Der Weg bis zur UNC ist eigentlich nicht weit, doch es kommt mir vor, als wäre ich einmal über die Rocky Mountains gewandert. Die Füße tun mir von den langen Spaziergängen durch New York weh und der Koffer wird von Minute zu Minute schwerer. Außerdem war ich total ausgelaugt von der langen Nacht und fix und fertig. Ich fühle mich, als hätte der Zug mich überrollt. Das einzige, worauf ich mich heute noch freue, ist mein kuscheliges Bett und einen heißen Apfel-Zimt Tee mit Honig. Ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus und ich laufe unwillkürlich noch ein bisschen schneller.

Der Campus der UNC ist völlig leer, nur eine Person sitzt etwas entfernt auf einer Bank mit dem Rücken zu mir. Als ich mich der Person nähere, steht sie auf und dreht sich zu mir um. Es ist ein Junge, der einen großen Strauß Blumen in der Hand hält. Wie vom Donner gerührt bleibe ich stehe und starre den Jungen an. Ich kann nichts denken und nichts fühlen für einen Augenblick. Der Junge beginnt zu lächeln und selbst in der Dunkelheit strahlen seine weißen Zähne. Die Emotionen krachen auf mich ein und ein Tränenschleier trübt meine Sicht. Ich schlage die Hand vor den Mund und ein Glücksgefühl durchströmt mich.

Peter, mein Peter steht dort mit Blumen und wartet auf mich. Nur auf mich!

Will you still love me tomorrow?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt