Epilog

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Nervös fahre ich mir immer wieder über die deutlich erkennbare Kugel unter meinem weißen Spitzenkleid. Mein Herz hämmert so schnell in meiner Brust, dass ich Angst habe, es könne zerspringen. Meine Handflächen sind feucht und meine Atmung schneller als sonst. Ein Arm legt sich schützend um meine Schultern.

„Es ist völlig normal jetzt aufgeregt zu sein, Schatz. Versuche es zu genießen."

Ich hebe meinen Blick von der Ausbuchtung meines Bauches direkt in das Gesicht meines Vaters. Er lächelt mir aufmunternd zu und seine inzwischen stark herausstechenden Lachfalten um die Augen haben noch eine stärkere beruhigende Wirkung auf mich. Seine über die letzten Jahre grau gewordenen Haare, die mit Gel stramm nach hinten gekämmt sind, passen fantastisch zu dem schwarzen Anzug und dem weißen Hemd, das er trägt. Ich strecke eine Hand aus, um seine leicht verrutschte Fliege wieder gerade zu rücken.

„Ich habe Angst, Dad. Ich wünschte Mum wäre auch hier", gestehe ich und umschließe meine Kugel wieder mit den Händen.

„Wovor denn? Und deine Mum ist hier. Nämlich tief in deinem Herzen" Sanft drückt er meine Schulter etwas fester und gibt mir damit etwas Halt.

„Dass ich falle, dass ich mich blamiere. Oh Gott, was ist, wenn er nicht da ist?" Ängstlich blicke ich in seine Augen.

Seufzend stellt sich Dad vor mich und legt beide Hände auf meine Schultern. „Lass mich eins von einem Mann erzählen, der schon zwei Hochzeiten hinter sich hat. Wenn du dein Kopf ausschaltest, wird alles gut. Denk an was schönes - oder noch besser - denk an nichts und genieße einfach. Das hier hast du nur einmal im Leben." Dann gibt er mir einen Kuss auf die Wange.

Ich nicke und atme tief ein und aus, um meine Aufregung und Atmung wenigstens halbwegs unter Kontrolle zu kriegen. Bevor ich mir noch mehr Gedanken machen kann, höre ich, wie draußen leise Musik beginnt zu spielen. Mein Herz macht wieder einen Satz. Ein letztes Mal blicke ich mich in der Küche um, in der ich so viele schöne Erinnerungen habe. Mein Blick fällt auf das Bild von Mom und ich lächle leicht. Bevor sich die Tür zu unserem Garten öffnet, streiche ich mein Kleid glatt, greife nach dem Umschlag zu meiner rechten und hake mich bei Dad unter, der mir seinen Arm hin hält. Die große Tür öffnet sich und ich erblicke all die Gäste, die aufgestanden sind und mich anblicken. Vor mir steht Eve, die dreijährige Tochter von Margot. Sie strahlt mich in ihrem ebenso weißen Kleid und dem großen Blumenkranz auf dem Kopf an und wackelt aufgeregt mit dem Blumenkorb in der Hand. Margot hat ihre Tochter nach unserer Mum benannt, damit sie auch nach uns niemals in Vergessenheit geraten kann.

„Bereit?", flüstert mir Dad zu.

Ich nicke und langsam setzen wir uns in Bewegung. Mein Blick wandert über all die Gäste, die mich staunend beobachten. Sie sitzen alle auf großen Holzbänken, die mit weißer Seide geschmückt sind. An jedem Rand einer Bank ist ein kleiner Strauß mit weißen Rosen befestigt. In den hinteren Reihen sitzen viele alte Schulfreunde von Peter und mir. Vor ihnen steht etwas ungeduldig etwas entferntere Verwandtschaft. Während ich an all den Leuten vorbei schreite, schleift mein langer Seidenschleier auf dem Boden hinter mir her. Er ist an zwei großen geflochtenen Strähnen befestigt, die an meinem Hinterkopf zu einer großen Blume zusammengebunden sind. Die restlichen Haaren fallen in Locken über die Schultern. Kitty hat mir die Frisur geflochten, denn ich wollte etwas an mir tragen, das ich mit der früheren Zeit und an meine Familie erinnert. Das Spitzenkleid, das ich trage, hat keinen besonders tiefen V-Ausschnitt, ist dafür aber rückenfrei. Es fällt bis zum Boden, aber endet kurz über meinen Knöcheln. Ich habe es extra kürzen lassen, aus Angst, ich könnte über den Saum stolpern mit meinen weißen Absatzschuhen. Um meinen Hals trage ich eine weiße Perlenkette, die mir Dad heute morgen geschenkt hat. Sie gehörte meiner Mum und sie trug es zu ihrer Hochzeit. Diese Geste hat mich so sehr berührt, dass mir Tränen in die Augen gestiegen sind und Kitty mich schon anfuhr, dass ich gefälligst auf die aufwendige Schminke Acht geben solle.
Als wäre meine Angst fortgeweht, schritt ich langsam mit Dad am Arm den Weg zum Altar voran. Im Hintergrund lief von Billie Eilish ocean eyes. Das Lied hatte ich mir gewünscht - wie eigentlich alles an dieser Hochzeit meine Idee war. Peter hatte nicht besonders viel mitzureden, denn schon seit ich klein war, wusste ich wie meine perfekte Hochzeit aussehen würde. Er war damit aber auch zufrieden, was meine Liebe zu ihm nur stärkte.

Will you still love me tomorrow?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt