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Noch hat mich John nicht gesehen. Oh Gott, soll ich schnell wegrennen wie bei dem UN-Planspiel? Ich atme einmal tief ein und aus und komme zu dem Entschluss, dass das kindisch wäre. Zwischen uns ist ja nichts vorgefallen, wir haben uns nur eine längere Zeit nicht gesehen und außerdem hat er mich gerade entdeckt. Im Gegensatz zu mir zögert er nicht, sondern winkt mir lächelnd zu. Ich gehe also zu ihm hin und stelle meinen Rucksack hinter die Bar.

"Hi, John Ambrose.", begrüße ich ihn, während ich mir schnell die Hände wasche.

"Hi, Lara Jean. Mit dir hätte ich jetzt nicht hier gerechnet. Aber ich bin froh, dass du da bist. Die Leute rennen mir sonst noch die Bar ein, wenn sie noch länger warten müssen", erwidert er meine Begrüßung lachend und schöpft eine Kelle Bowle in ein Glas, das er einem ungeduldigen Heimbewohner gibt.

"Wenn ich ehrlich bin, hätte ich mit dir auch nicht gerechnet. Was hat dich hier her verschlagen?", frage ich ihn interessiert und beginne auch den wartenden Leuten die gewünschten Getränke auszuhändigen.

"Ich dachte es wäre eine gute Idee. Stormy hätte es bestimmt gefallen."

"Oh ja das hätte es." Ich hätte erwartet, dass ein Kloß sich in meinem Hals bildet, aber die Erinnerung an sie zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Heute gibt es keinen Grund traurig zu sein oder wie Stormy sagen würde: "Wenn du traurig bist oder schlecht gelaunt, dann tanze und trinke es weg."

"Ich hab dich bisher noch gar nicht im William und Mary's gesehen. In welchem Studentenheim wohnst du?" Forschend sieht er mich an und ich erinnere mich, dass ich ihm gar nicht erzählt habe, dass ich mich doch gegen das College entschieden habe, was mir jetzt etwas peinlich ist.

"Naja, ich habe im Nachrückverfahren noch einen Platz an der UNC bekommen... Dafür habe ich mich dann entschieden."

Erstaunt und ein bisschen neidisch schaut John mich an, während er einem maulenden Mann seine Cola reicht. "Das ist ja toll. Da wollte ich auch immer hin! Warum hast du das nicht erzählt?"

"Weil du da doch unbedingt hin wolltest und weil wir uns seitdem auch nicht mehr gesehen haben. Ist ja schon ne Weile her. Wie ist es am William and Mary?"

"Eigentlich ganz cool. Meine Freundin ist auch dort. Die haben ein tolles Politik-Programm."

Ich nicke nur und widme mich wieder der Arbeit. Eine Zeit lang ist es still zwischen uns, aber keine unangenehme Stille. Die hatten John und ich noch nie. Schon früher, wenn wir uns getroffen hatten als Kinder, da konnten wir zusammen stundenlang Schweigen ohne dass es komisch wurde. Das wenigstens war noch so wie früher.

"Was machen die anderen alle? Peter, Gen, Chris und Trevor?", fragt er nach einer Weile, als sich der Ansturm auf die Bar etwas gelegt hat.

"Peter ist auf der UVA und ihm gefällt es da ganz gut, er schwärmt von dem tollen Lacrosse-Programm. Chris ist gerade auf einer der Dominikanischen Inseln für eine Zeit lang. Ich befürchte, dass sie noch nicht weiß, was sie danach machen will, wobei ich mir noch nicht mal sicher bin, ob sie überhaupt nochmal zurück kommt. Ihr scheint es dort ganz gut zu gefallen. Von den anderen beiden habe ich seitdem nichts mehr gehört." Dass ich bei Gen nicht besonders traurig drum bin, gebe ich natürlich nicht zu.

"Und du und Peter? Seid ihr noch zusammen?", fragt John ganz beiläufig, während er kräftig einen Cocktail mixt.

"Ja, wir sind noch zusammen.", antworte ich knapp und er nickt.

Den restlichen Tag reden wir nur noch Smalltalk und gegen Nachmittag sind wir von unserem Dienst befreit. Ich freue mich auf heute Abend, denn Peter hat mir vorhin eine Nachricht geschrieben, wo er mich heute Abend ins Kino eingeladen hat.

John und ich verabschieden uns freundschaftlich und ich bleibe noch eine Weile in dem großen Eingangsbereich des Belleviews stehen. Gedankenverloren streiche ich vorsichtig über das große, schwarze Klavier und schaue mir das eingerahmte Foto von Stormy an, das darauf steht. Es zeigt sie auf einer dunkelroten Couch, wo sie lachend mit einem Martini in der Hand für die Kamera posiert. Ihre langen Beine kommen auf dem Bild besonders gut zur Geltung. Ich vermisse Stormy wirklich sehr. In der Zeit seitdem sie gegangen ist, hätte ich so oft ihren Rat gebraucht. Vermutlich nach Peters Kuss mit dem Mädchen hätte sie mich einer Gehirnwäsche unterzogen, sodass ich vielleicht schon etwas früher auf die Idee gekommen wäre, ihm zu verzeihen. Oder sie hätte mir geraten einen neuen Liebhaber zu suchen, aber das hätte mir vermutlich auch die Augen geöffnet. Seufzend streiche ich noch einmal über die Klaviertasten und ihr Foto, dann mache ich mich auf den Heimweg.

Die Zeit, bis Peter klingelt, verbringen Kitty und ich mit dem Skypen mit Margot. Gogo erzählt uns von ihren Abenden in den Bars und Kitty zieht eine Schnute, weil sie neidisch ist. Als Peter klingelt, verabschiede ich mich von meinen Schwestern, greife nach meiner kleinen Handtasche und sause nach unten. Ich mache ihm die Tür auf und strahle über beide Ohren.

"Hi.", begrüße ich ihn.

"Oh wow, Covey, du siehst aus als hättest du im Lotto gewonnen." Er grinst frech. Natürlich weiß er, dass es wegen ihm ist, er möchte es nur aus meinem Mund hören und den Gefallen mache ich ihm gerne.

"Das habe ich im Prinzip ja auch. Also... gehen wir?" Ich hake mich bei ihm unter und Peter brüstet sich etwas nach dem Kompliment und führt mich zu seinem Auto. Gentlemanlike hält er mir die Tür auf, bevor er auf der Fahrerseite selbst einsteigt. Auf dem Weg zum Kino halten wir Händchen und er erzählt mir von seinem erfolgreichen Lauftraining. Um ihm die gewünschte Bestätigung zu geben, beteuere ich, dass man ihm die Erfolge schon ansieht, aber wenn ich ehrlich bin, sehe ich den gleichen Peter wie vor zwei Monaten.

Zum Glück haben wir im voraus für den Film reserviert, denn es ist gerammelte voll im Kino. In der Ferne sehe ich Emily Nussbaum und mein Herz bleibt kurz stehen. Hoffentlich ist SIE nicht hier, aber ich habe Glück. Emily ist mit anderen Freunden da, die ich nicht kenne und entdeckt hat sie uns auch nicht. Peter lässt sich von so einer Begegnung nicht aus der Ruhe bringen und stellt sich seelenruhig am Popcornstand an. Immer wieder trifft er auf Jungs, die ihn aus dem College kennen und er begrüßt sie mit einem Handschlag. Ich kenne keinen der Typen. Woher auch?

Während des Filmes verdrücke ich ein paar Tränen, weil der Film so schön ist. Er zeigt genau das Drama, das ich mir erhofft habe. Peter hat den Arm fest um mich gelegt und hin und wieder küssen wir uns.

Nach dem Film knurrt mein Magen. Ich habe den ganzen Mittag nichts gegessen und Peter hat das Popcorn alleine in sich hinein gestopft. Wir fahren noch zu dem Corner Café, damit ich nicht hungrig ins Bett gehen muss. Ich bestelle mir einen Cheesburger und eine Cola, während sich Peter für überbackene Nachos und ein Wasser entscheidet. Er sagt, er müsse auf seine Kalorien achten und könne sich leider keine Cola leisten. Insgeheim habe ich mir mein Teil dazu gedacht. Nachdem er die Nachos und das ganze Popcorn mehr verschlungen als gegessen hat, hätte er sich ruhig auch noch eine Cola gönnen können. Darauf wäre es dann auch nicht mehr angekommen. Aber das würde ich ihm natürlich niemals sagen.

Gesättigt und glücklich fährt mich Peter nach Hause. In unserem Haus brennt noch Licht, was wirklich ungewöhnlich für diese Uhrzeit ist, da alle Morgen sehr früh aus dem Haus müssen. Verwundert sehe ich Peter an, der sich darüber aber keinen Kopf macht.

"Vielleicht spielen sie noch etwas oder es läuft noch ein Film, den sie zu Ende schauen möchten."

Wirklich beruhigt hat mich sein Versuch mir gut zuzureden nicht. Ich verabschiede mich von Peter mit einem langen Kuss und eile mit einem unguten Gefühl zu unserem Haus. Als ich die Haustüre aufmache, sitzen Dad, Trina und Kitty am Essenstisch. Dad macht ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter und Trina hält die schluchzende Kitty behutsam im Arm. Jetzt mache ich mir erst recht Sorgen.

Will you still love me tomorrow?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt