Kapitel 24

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Ich zwang mich so zu tun, als wäre nichts passiert. Als hätte der Anblick rein nichts in mir ausgelöst. Ich zog bedächtig meine Schuhe aus. Julia stand noch genau am selben Fleck wie zuvor und ich konnte schwören, dass sie mich beobachtete. Ich richtete mich auf und tatsächlich, ihr Blick war geradewegs auf mich gerichtet. Ich hob die Augenbrauen, „Gibt es ein Problem?", fragte ich mit gestellter Gleichgültigkeit.

Frau Lorenz lächelte gelassen, „Von mir aus nicht", antwortete sie schließlich. Ich ließ meine Jacke von den Schultern gleiten und ging dann an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

„Gut, bei mir auch nicht", sagte ich dabei, klang jedoch eindeutig zu angepisst um glaubwürdig zu wirken.

Es erschreckte mich geradezu diese neue Seite von mir kennenzulernen, die so unglaublich eifersüchtig reagierte. Dabei war ich bisher nie wirklich ein eifersüchtiger Mensch gewesen. Mir war von vorne hinein klar, dass ihr Leben mich theoretisch nichts anging. Doch nach dem Moment, den wir im Klassenzimmer geteilt hatten, riss es mich zurück in die Realität. Vielleicht war eben das sogar ihr Ziel gewesen. Für sie war das ganze vermutlich ein Spiel und ich steckte schon viel zu tief mit meinen Gefühlen in dieser Sache, um es unverletzt wieder herauszuschaffen.

~~~

*etwa 24 Stunden später*

Ich schälte mich aus meiner Daunenjacke, es war warm und stickig. Ich hatte den Verdacht, dass das Haus wegen der tropischen Pflanzen wärmer geheizt war als man es gewohnt war. Mein Körper schmerzte nach dem anstrengenden Tag und ich klappte geradewegs auf dem Bett zusammen. Nach gestern Abend hatte ich Julia nicht mehr gesehen, am morgen hatte ich auf dem Esstisch einen sorgsam gefalteten Zettel entdeckt, auf dem in tadelloser Handschrift stand, dass ich heute den Bus zur Schule nehmen sollte. Erst hatte ich mich gefragt, ob sie mir aus dem Weg ging, was jedoch nicht ganz mit meinem Bild von ihr übereinstimmte und spätestens als sie in der Schule fehlte, war mir klar, dass meine Theorie Schwachsinn war.

Ich zwang mich aufzustehen, schleppte mich zur Balkontüre und ließ etwas frische Luft hinein. Als ich nach draußen trat und mich an das hölzerne Geländer stellte, fiel mir zum ersten Mal auf, was für eine schöne Aussicht man von hier hatte. Das Haus stand am Hang und man hatte geradewegs einen Blick auf den Talkessel. Jetzt am Abend funkelten die Stadtlichter unter dem dämmrigen, trüb-blauen Himmel.

Es musste eine ganze Weile vergangen sein, bis ich wieder aus meinen Gedanken schreckte, da ein Geräusch hinter mir erklang. Ich drehte meinen Kopf und erblickte die schlanke Silhouette meiner Lehrerin, wie sie aus ihrem Zimmer auf den Balkon trat und eine Zigarette anzündete die zwischen ihren Lippen klemmte. Es juckte mir in den Fingern sie zu fragen, wo sie gewesen war, doch stattdessen blickte ich wieder hinaus zu den Lichtern.

Sie trat neben mich und stützte ihre Ellenbogen auf das Geländer ab um meinen Blick zu den entfernten Häusern zu folgen.

„Es ist wunderschön", sagte sie schließlich und atmete den Rauch in die kühle Nachtluft aus. Als ich nichts erwiderte, drehte sie ihren Körper mir zu.

„Wann sagst du mir eigentlich, wer das gestern war? Rätselhaftigkeit steht dir nicht", sagte sie. Das konnte man von ihr nicht behaupten, wandelndes Enigma.

„Mein Halbbruder, Louis", antwortete ich nach einer Weile monoton. Ich spürte immer noch ihren Blick auf mir ruhen und riss mich schließlich von dem Anblick fort, um sie ansehen zu können. Ich hatte sie vermisst, dabei war sie nur einen Tag fort gewesen.

„Und wer war diese Frau?", fragte ich. Sie drückte ihre nur angerauchte Zigarette an dem Geländer aus und blies den letzten Qualm aus ihren Lungen. Ich sah zu wie sich die Rauchschwaden in der Luft ringelten und sich dann langsam auflösten.

„Wieso, bist du eifersüchtig?", fragte sie lächelnd. Als ich nicht antwortete, rückte sie näher an mich heran und drückte mich mithilfe ihres Körpers gegen das Geländer. Eine Hand legte sich an meine Taille und ließ mich erstarren. Sie schmunzelte, wissend was solch eine Geste in mir auslöste.

„Keine Sorge Kleines, es war nur eine... flüchtige Begegnung."

In anderen Worten, ein One-Night-Stand. Ich wusste nicht, ob ich jetzt, da ich wusste, dass sie mit dieser fremden Frau geschlafen hatte, noch eifersüchtiger sein sollte oder erleichtert, dass sie anscheinend nichts bedeutete. Aber Julias Körper so nah an meinem, und ihre Hand an meiner Taille machten es mir sowieso unmöglich klare Gedanken zu fassen. Ihre andere Hand legte sich plötzlich an meine Wange und strich von dort aus in mein Haar, ich konnte nicht verhindern, dass meine Lider in Wohlbehagen zufielen. Sanfte Berührungen waren schon immer meine Schwäche.

„Du hast nicht auf meine Frage geantwortet, Liebes", sagte sie. Die Art wie sie mich Liebes nannte... es verursachte kleine Schauer die über meinen Nacken liefen.

„Ich weiß", sagte ich und weigerte mich meine Augen zu öffnen, die Liebkosung stoppte und ich blickte sie an. Ein warmer Glanz lag in ihren Augen und meine Brust zog sich in Sehnsucht zusammen. Sie machte es mir so leicht ihr zu verfallen.

„Du musst mir nicht antworten. Ich weiß, dass du vor Eifersucht übergelaufen bist", sagte sie schließlich schmunzelnd. Ich biss mir peinlich berührt auf die Unterlippe, es war nicht sinnvoll hier noch zu lügen. Sie wusste sowieso was in mir vorging. Sie war sich meiner Zuneigung ihr gegenüber bewusst.

„Ist das hier ein Spiel für dich..?", fragte ich sie, bevor ich mich abhalten konnte und klang dabei viel verletzlicher als ich wollte. Sie hob beide Augenbrauen und sah mich fragend an.

„Was meinst du?"

„Ich denke du weißt, was ich meine", entkam es mir leise. Ihr Blick huschte über mein Gesicht, studierte jedes Merkmal. Dann urplötzlich, so unvermittelt, dass mir der Atem stockte, zog sie mich zu sich heran und ihre Lippen trafen auf meine.

Wie vom Blitz getroffen, erstarrte ich jäh, bevor ich realisiert hatte was passierte. Dann begann alles in mir zu kribbeln, der simple Kontakt ihrer weichen Lippen auf meinen, löste so viele neue Gefühle in mir aus und ich war froh an das Geländer gedrückt zu sein, andernfalls wären meine weichen Knie eingeknickt. Nachdem ich meinen Schock überwunden hatte, erwiderte ich den Kuss vorsichtig und schmolz innerlich dahin. Ich spürte wie ihre Hand in meinen Nacken glitt und ihre Finger dort in meine Haare griffen und leicht an ihnen zogen. Der Akt entlockte mir ein leises Seufzen und Julia lächelte in den Kuss. Ein hungriger Trieb entfachte in mir und ich umschlang sie um sie noch näher an mich heranzuziehen. Es war, als könnte ich nicht nah genug an ihr sein. Sie brach den Kuss ab, ihr Griff in meinen Haaren intensivierte sich und ich keuchte leise auf.

"Shh...langsam", flüsterte sie bestimmend. Ich schluckte und ließ meine Arme wieder sinken. Wie es ihr gelang mit einer so simplen Geste und so einfachen Worten mich im Schach zu halten, war mir ein Rätsel. Ihre Mundwinkel hoben sich zu einem Grinsen für das mir kein passenderes Wort als „sexy" einfiel. Ich hatte geahnt, dass Frau Lorenz es bevorzugte die Kontrolle zu behalten, in so ziemlich allen Situationen.

Julia betrachtete mich nachdenklich bevor sie leise seufzte, als hätte sie sich von einer schon lang wiegenden Last befreit. „Gute Nacht, Esme", raunte sie, ein kleines Lächeln umspielte dabei ihre Lippen. Ihre Hände lösten sich von meinem Körper und an ihre Stelle trat ein Gefühl der Leere.

„Beaux rêves", sie zwinkerte mir zu bevor sie sich umwandte und zurück in ihr Zimmer ging.

Sprachlos stand ich da und fasste mir an die prickelnden Lippen, es war als konnte ich ihre noch spüren. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus und eine Euphorie durchströmte meinen Körper von Kopf zu Fuß. Am liebsten wäre ich wie ein kleines Mädchen auf und ab gehüpft, doch ich ließ es lieber sein und kehrte stattdessen in mein Zimmer zurück, mir auf die Lippe beißend, um das strahlende Lächeln halbwegs in Schach zu halten. Beaux rêves. Schöne Träume, die würde ich haben.

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