Kapitel 36

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Es ließ mich nicht los. Den gesamten Schultag konnte ich mich kaum auf den Unterricht konzentrieren und schweifte ständig mit den Gedanken zu dem Vorfall am Morgen. Im hinteren Teil meines Kopfes waberte die Angst ohne mir Ruhe zu gönnen. Wieso verdächtigte Jonah meine Lehrerin? War das kein völlig absurder Gedanke, wenn man bedachte, dass er nicht einmal wusste, dass ich mich zu Frauen hingezogen fühlte? Ich hatte das schreckliche Gefühl in die Enge getrieben zu werden, ich musste es Julia sagen, es mir von der Brust reden. Oder würde das nur alles komplizierter machen und ihr unnötige Sorgen bereiten? Im schlimmsten Fall würde sie sich distanzieren. Distanz...wie sehr verabscheute ich dieses Wort, wenn es mit ihrem Namen stand.

„Hallooo! Noch zu erreichen?", Kenia winkte übertrieben vor meinen Augen, als würde sie ein imaginäres Fenster sauber wischen und ich erwachte blinzelnd aus meinen Grübeleien. „Äh..ja", erwiderte ich halbherzig und sie legte den Kopf leicht schief. „Was ist denn los?", hakte sie freundlich nach und zog ihre Beine hoch auf die Tischtennisplatte, um sich in den Schneidersitz zu positionieren. Was los war? Es war so viel los, dass ich nicht einmal wusste, wo ich ansetzen sollte.

„Ich bin irgendwie müde...mein Schlafrhythmus lässt zu wünschen übrig", beides war nicht gelogen und trotzdem fühlte ich mich irgendwie schlecht etwas vor meiner Freundin geheimzuhalten, ich vertraute Kenia und doch traute ich mich jetzt noch nicht ihr von meinem Verhältnis zu Frau Lorenz zu erzählen. Ich könnte sie womöglich in eine ungeschickte Lage versetzen, es war einfach besser, wenn sie vorerst nicht Bescheid wusste.

Kenia nickte auf meine Antwort hin eifrig mit dem Kopf, „Das kenne ich! Weißt du was da hilft? Walgesänge und Geschirrspülgeräusche! Ohne Witz, auf YouTube ziehe ich mir da immer die einstündigen Loops rein, da bin ich ganz schnell weg vom Fenster...", ich schmunzelte zunächst noch belustigt über ihre Erzählungen doch mit der Zeit rückte Kenias heiteres Geplapper wieder in den Hintergrund und verschmolz letztendlich mit der Geräuschkulisse der Umgebung. Ich gab nur noch zustimmende Geräusche von mir, während meine Gedanken aufs Neue flöten gingen. Schließlich läutete die Schulglocke, wir verließen den Pausenplatz und zusammen mit den restlichen Schülern traten wir wieder in das Schulgebäude und begaben uns auf den Weg zum nächsten Unterricht. Schon der Gedanken an eine Doppelstunde Mathematik bereitete mir Kopfschmerzen, doch kurz bevor ich hinter Kenia in den Raum eintrat, sah ich im Augenwinkel eine Person durch den Gang auf mich zulaufen. Ich blieb stehen, die Türe des Klassenzimmers fiel zu und ich wandte meinen Blick zu Julia, die zielstrebig auf mich zukam.

„Hallo, Frau Lo...", weiter kam ich nicht, da sie wortlos nach meinem Handgelenk griff und mich hinter sich herzog. Verwirrt folgte ich ihr, sie öffnete irgendeine Türe und zog mich in den Raum. Ich hatte kaum Zeit mich umzusehen, denn im nächsten Moment hatte sie mich bereits mithilfe ihres Körpers gegen die Türe genagelt. Genauso unvermittelt legten sich ihre Lippen auf meine. Es verschlug mir nicht nur die Sprache, sondern auch den Atem, als sie mich heiß und innig küsste und sofort war alles andere nebensächlich. Wie konnte ich ihr widerstehen...? Gar nicht, denn es fühlte sich so gut und richtig an. Ich schmolz förmlich dahin und es grenzte an ein Wunder, dass ich überhaupt noch aufrecht stand, auch wenn das eigentlich Julia zu verdanken war, da sie mich gegen die Türe gepresst hielt. Ihre Lippen lösten sich von meinen und wanderten von meinem Kiefer zum Hals, um mich dort weiter mit sanften Liebkosungen um den Verstand zu bringen, genießerisch legte ich den Kopf in den Nacken und schloss meine Augen.

„Was hältst du davon, wenn wir da fortfahren, wo wir gestern so unhöflich unterbrochen wurden?", raunte sie und sofort lief mir ein heißer Schauer über den Rücken. Gleichzeitig hatte ich nicht vergessen, wie wir letztes Mal fast aufgeflogen wären und im Geiste hörte ich wieder sich nähernde Schritte.

𝔼𝕟𝕚𝕘𝕞𝕒Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt