Kapitel 38

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Es war bereits spät als ich die Straße erreichte, in der sich neben anderen einzelnen Familienhäusern auch Julias beachtliche Wohnung reihte. Die Sonne war schon längst hinter dem Horizont versunken, nur noch ein matter, oranger Streifen zierte den südlichen Himmel und jetzt, da das wärmende Sonnenlicht fehlte, kroch mit der Dunkelheit auch die Kälte wieder hervor. Ich zog meine Jacke zu und ging durch den schmalen Durchgang zu der Eingangstüre, ein Anflug der Nostalgie mischte sich unter die Nervosität, die schon den gesamten Weg lang meine Gedanken herumwirbelte. Jetzt bist du sowieso schon da, mit diesem Gedanken drückte ich auf die Klingel.

Niemand öffnete. Im Inneren des Hauses sah ich kein Licht, vielleicht war sie nicht zu Hause? Sicherheitshalber klingelte ich ein weiteres Mal, nach einigen Sekunden seufzte ich enttäuscht und wandte mich ab um zu gehen, da fiel mit einem Mal ein schmaler, heller Streifen Licht durch das Milchglas der Türe zu mir nach draußen. Bald darauf drang ein leises Klicken an meine Ohren und die Türe schwang auf.

Dass sie geschlafen hatte, war für mich auf den ersten Blick unverkennbar. Ihr Gesicht frei von jeglichem Make-up, die haselnussbraunen Wellen flossen offen über ihre Schultern, nicht zu vergessen ihr recht verschlafener und zu meinem Schreck auch genervter Blick. Dieser Ausdruck fiel jedoch von ihr ab, als sie mich einen Wimpernschlag später erkannte. Völlig wach trat sie vor und nahm mein Gesicht in ihre Hände um mich eindringlich zu mustern.

"Esme, ist alles in Ordnung?", fragte sie, dabei kam ich nicht umhin ihre vom Schlaf etwas heisere Stimme reizvoll zu finden. Überrumpelt starrte ich in Julias dunkle Augen die mich mit aufrichtiger Fürsorge anblickten. "Ähm, ja", brachte ich schließlich verwirrt über meine Lippen und fühlte mich plötzlich völlig bescheuert. Sie sah mich ebenfalls verwirrt an, ließ ihre Arme sinken und trat zurück. Offensichtlich dachte sie, dass mir etwas zugestoßen war und ich deshalb um diese Uhrzeit bei ihr auftauchte. Dabei war es nicht einmal unbedingt spät, während meinem Aufenthalt war sie um diese Zeit jedenfalls noch wach gewesen. Trotzdem fühlte ich mich schlecht sie aus dem Schlaf gerissen zu haben und unter ihrem forschen Blick stahl sich die Röte auf meine Wangen. Frau Lorenz zog eine Augenbraue in die Höhe und verschränkte ihre Arme, offensichtlich auf eine Erklärung wartend.

"Ich...also, du hast doch gesagt, dass ich dich mal besuchen kommen kann..und dann, ich dachte...", versuchte ich mich zu erklären und wich ihrem Blick verlegen aus. Abrupt wurde ich nach vorne in das Innere des Hauses gezogen, geräuschvoll schloss sich die Türe hinter mir und meine Lehrerin war mir mit einem Mal so nah, dass ich mich gezwungen sah nach hinten auszuweichen, doch ihre Hand hatte den Kragen meiner Jacke in einem unerbittlichen Griff gefasst.

"Und da dachtest du, es wäre eine gute Idee mich aus dem Schlaf zu reißen", ihre Stimme war trügerisch ruhig doch das gefährliche Funkeln in ihren Augen ließ mich schwer schlucken. „Tut mir leid, ich dachte du wärst noch wach", murmelte ich kleinlaut und blickte zu Seite. Für eine Weile spürte ich noch ihren tadelnden Blick auf mir, doch dann ließ sie mich los, seufzte und fuhr sich mit den Händen durch die unglaublich weich aussehenden Haare. Ich biss mir auf die Lippe, bereute jedoch klammheimlich nicht im geringsten hergekommen zu sein.

"Seit wann schläfst du überhaupt so früh...um die Uhrzeit ist ja sogar noch mein Vater wach und der ist ein ganzes Stück älter als du", ich grinste verstohlen. Julia verdrehte nur ihre Augen, "Du wirst schon sehen, wie das ist wenn du mein Alter erreichst", murrte sie während sie Richtung Wohnzimmer lief. Ich sah es als meine Einladung, schnell zog ich meine Schuhe und meine Jacke aus, um ihr zu folgen. Dabei musste ich lächeln, sie tat so als wäre sie uralt dabei war sie vielleicht gerade mal 30... augenscheinlich könnte sie sogar jünger sein.

Julia hatte sich auf das Sofa gesetzt und als ich dazu kam, breitete sie schließlich doch lächelnd die Arme aus. Also freute sie sich doch über meinen Besuch...jedenfalls fühlte es sich so an, als ich mich hinsetzte und meinen Kopf gegen ihre Schulter lehnte. Irgendwie ungewohnt, so mit ihr zu kuscheln, als wären wir ein richtiges Paar. Ungewohnt, aber gut. Richtig gut sogar. Weich gebettet in ihren Armen, an ihre Brust....war das ihr Herzschlag? Ich schloss meine Augen und gab ein kleines Seufzen von mir als sie anfing mit den Fingern an der Innenseite meines Handgelenkes auf und abzustreicheln. Eine Weile lagen wir so da und genossen die Wärme des jeweils anderen. Ihre Nähe war mir ein Trost, bei ihr konnte ich mich fallen lassen und an ihren entspannten Zügen konnte ich sehen, dass von ihr ebenfalls die Anspannung allmählich wich.

"Ich habe gerade an dich gedacht, als du geklingelt hast", ihre samtige Stimme durchbrach die angenehme Stille zwischen uns und ihr Atem streichelte meinen Nacken. Als ihre Worte in meinen Verstand einsickerten, öffnete ich erstaunt die Augen. "Echt?", entfuhr es mir. Julia lachte leise über den überraschten Ton in meiner Stimme, "Ja, echt", sagte sie belustigt. Mein Herz zehrte sich nach diesen Momenten, doch plötzlich fiel mir etwas ein und ich zog meine Brauen in Verwirrung zusammen.

"Ich dachte, du hättest geschlafen?"

"Richtig", ich hörte das Schmunzeln aus ihrer Stimme und drehte mich auf ihrem Schoß, um sie neugierig anzublicken. Ihr Arm ruhte auf der Rücklehne des Sofas, den Kopf auf die Handfläche gestützt, sah sie mich eingehend von unten an. "Du hast von mir geträumt...", stellte ich lächelnd fest, ließ ihr jedoch keine Zeit, um zu antworten.

"Um was ging es?"

Bei meiner Frage verdunkelten sich ihre Augen just um einige Nuancen und sie lächelte selig, "Sex".

Danke fürs Lesen! Freue mich wie immer über Kommentare und Votes :)

𝔼𝕟𝕚𝕘𝕞𝕒Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt