Träge blinzelte ich den Schlaf aus meinen Augen. Es brauchte einige Sekunden, bis ich realisierte, wo ich mich befand. Dann nahm ich alles wahr: das fremde Zimmer, den Geruch nach frischer Wäsche vermischt mit Frau Lorenz' Eigenduft. Ich war in ihrem Haus, bei Julia Zuhause.
"Julia", flüsterte ich leise, es gefiel mir wie es sich anfühlte ihren Namen auszusprechen.
"Julia, Julia, Julia, Julia...", flüsterte ich und rieb verschlafen meine Augen. Ich blinzelte dem Sonnenlicht entgegen, das zwischen den Vorhängen ins Zimmer eindrang, rollte mich aus dem Bett und tapste barfüßig zu der Tasche, die ich sorglos in die Ecke gestellt hatte, um mir einige Klamotten auszuwählen. Zu irgendeinem Zeitpunkt musste ich wohl oder übel Julia gegenübertreten, auch wenn der bloße Gedanke daran mein Herz rasen ließ. Wie aufs Stichwort knurrte mein Magen, ich ging ins angrenzende Bad und wusch schnell mein Gesicht.
Als ich auf den Flur trat, merkte ich, dass das Haus in absoluter Stille getaucht war. War sie aus dem Haus? Ich zuckte mit den Schultern, wagte mich die Treppen hinunter und ging in die Küche. Tatenlos stand ich vor dem Kühlschrank. Vielleicht sollte ich mir doch einfach etwas bestellen, wie gestern Abend als sie aus dem Haus war...
"Hast du hunger?"
Ich fuhr herum, für einen kurzen Moment dachte ich mein Herz wäre stehen geblieben.
Julia saß auf dem Chesterfield Sofa im Wohnzimmer und las seelenruhig in einem Buch. Auf ihrer Nase, eine Brille so weit ich von hier erkennen konnte. Wie hatte ich sie übersehen können?
"Ähm...ja, ein bisschen", sagte ich verlegen.
Sie legte das Buch beiseite und stand auf. Ein weißes Tanktop mit einem V-Ausschnitt komplementierte ihre ebenmäßig gebräunte Haut und eine lockere, dunkle Hose flatterte um ihre bloßen Fußgelenke, sie war barfüßig. Auch ohne Absatzschuhe war sie noch ein wenig größer als ich und es beeindruckte mich zu wissen, dass sie auch in ihren eigenen vier Wänden elegant und einschüchternd wirkte.
"Ich mache etwas, setz dich", sagte sie ruhig. Etwas überfordert ließ ich mich auf einer der Barhocker nieder, die an der Kücheninsel standen und stütze mein Gesicht in eine Hand als ich sie neugierig beobachtete. Frau Lorenz band die Haare hoch und warf mir dann einen flüchtigen Blick über ihre Schulter zu, "Hast du irgendwelche Lebensmittelallergien?", erkundigte sie sich.
"Nein", sagte ich mir etwas heiserer Stimme.
Es war seltsam diese private Seite von ihr zu erleben, die ich sonst als Schülerin eigentlich nicht zu sehen bekommen sollte. Nicht, dass ich mich beschwerte...es gefiel mir sogar. Mochte sein, dass sie sich um mich kümmerte da sie jetzt wohl oder übel dazu verpflichtet war, aber ich musste mir auf die Lippe beißen, um nicht wie ein Idiot zu grinsen.
Sie kocht für mich!
Träumerisch betrachtete ich meine Lehrerin. Sie schien mit ihren Gedanken wo ganz anders zu sein, ihre Bewegungen waren so nebensächlich und doch so geübt und ich erinnerte mich daran, dass sie mir erzählt hatte, dass ihre Großmutter ein Restaurant besaß. Vielleicht hatte sie früher in der Küche ausgeholfen. Nach einer Weile stellte Julia einen dampfenden Teller vor mir ab. Bei dem Geruch, der mir in die Nase stieg, sammelte sich das Wasser in meinem Mund. Ratatouille.
"Voilà!", sagte sie mit einem breiten Lächeln.
"Dankeschön", ich ergriff perplex die Gabel und fing an zu essen, es überraschte mich nicht, dass es ausgezeichnet schmeckte. Sie lächelte zufrieden, setzte sich mir gegenüber und stützte ihr Kinn auf ihrer Hand ab als sie mich beobachtete. Nach einigen Sekunden rutschte ich auf dem Stuhl herum und blickte scheu zu ihr auf, "Essen Sie nichts?", fragte ich.
"Du", ich sah sie verwirrt an bevor ich verstand, was sie meinte.
"Isst du nichts?", wiederholte ich meine Frage.
"Nein", ihr Blick verriet nicht was in ihr vorging. Sie wirkte distanzierter als sonst. Es war vielleicht besser so. Mir war schmerzlich bewusst, dass meine Gefühle für Frau Lorenz keine Zukunft hatten, für sie war ich schließlich nichts als eine Schülerin - und vielleicht noch ein Mittel ihre sadistischen Spielchen auszuleben, es wäre eine Lüge würde ich sagen, dass ich nach dem gestrigen Vorfall keine Rachepläne geschmiedet hatte. Natürlich hatte ich nicht ansatzweise den Mut diese auszutragen.
"Es gibt etwas über das wir reden müssen", sagte Frau Lorenz plötzlich und blickte mich ernst an. Ich sah überrascht auf, nickte jedoch brav.
"Jetzt da du hier wohnst, müssen wir einige Grundregeln aufstellen", sie sah mich prüfend an und ich räusperte mich nervös, "Ok".
"Gut, erst möchte ich klarstellen, dass sich in der Schule nichts verändern wird, du wirst natürlich nicht anders behandelt, weil du bei mir wohnst, auch wenn ich denke, dass du das schon wusstest", fuhr sie fort und ich nickte als Bestätigung.
"Du kannst die Küche benutzen wann und wie du willst, ich habe nicht die Zeit mich immer für dein Essen zu sorgen. Trotzdem, während dein Vater weg ist, trage ich die Verantwortung. Wenn du später nachhause kommst, musst du mir also Bescheid geben, verstanden?", ihre Stimme war bestimmend, ihr Blick eindringlich.
"Ja", kam es fast mechanisch über meine Lippen, ihre Augen zogen mich in ihren Bann, es schien mir unmöglich mich von ihnen fortzureißen. Schließlich brach ein fast selbstgefälliges Lächeln ihre seriöse Miene und ich fragte mich, ob sie irgendeinen Genugtuung verspürte, da sie jetzt offensichtlich mehr Macht über mich hatte. Vielleicht war jetzt der Augenblick zu fragen.
"Ich wollte Sie....dich noch etwas fragen", sagte ich zögerlich ohne sie anzublicken.
Ich holte tief Luft, "Ich will am Mittwoch meine Mutter besuchen...mit der Bahn sind es etwa 5 Stunden, mit dem Auto 2 ein Halb, ich wollte fragen, ob du mich vielleicht hinfahren könntest, ich weiß, dass es viel verlangt ist, aber wenn du mich hinfährst kann ich auch mit dem Zug zurückfah..."
"Esme", ich blickte zu ihr auf, als sie ihre Hand auf meine legte, um meinen Redeschwall zu unterbrechen.
"Ich lasse dich keine 5 Stunden mit dem Zug fahren, geschweige denn 10. Ich fahr dich", sagte sie. Ich meinte meinen rasenden Herzschlag zu hören, ihre einfache Berührung weckte so viele Gefühle in mir wie ich es zuvor noch nie erlebt hatte. Ihr Blick fiel auf unsere Hände und ein abwesender Ausdruck verschleierte ihre Augen, sie zog sich zurück und nur ein leichtes Kribbeln verblieb.
"Ok...danke", sagte ich verlegen, und nahm meinen leeren Teller. "Ich kann hier aufräumen", fügte ich noch hinzu und stand auf um die Sachen in die Spülmaschine einzuräumen. Ich hörte wie Frau Lorenz ebenfalls aufstand und ging. Als ich mich umwandte, war sie fort und ich seufzte leise. Sie distanzierte sich von mir... hatte ich sie verärgert? Wieso konnte ich es einfach nicht sein lassen, desto mehr ich es aus meinen Gedanken zu verdrängen versuchte, desto mehr verstrickte sich diese Frage in meinem Kopf.
Gegen Abend hörte ich wie Julia das Haus verließ. Ich legte meinen Stift ab und öffnete den Zugang zum Balkon, kühle Luft schlug mir entgegen als ich nach draußen auf die etwas feuchten Bretter trat und vorsichtig auf die Einfahrt lugte. Ich sah rechtzeitig wie sie in ihren Wagen stieg. Ihre Haare vielen in makellosen Wellen über ihre Schultern kurz blitzten mir silberne Ohrringe entgegen. Ging sie auf ein Date? Ich blickte ihr nachdenklich nach und ging dann schnell wieder in das warme Innere des Hauses. Die Konzentration hatte mich verlassen und ich beschloss mir etwas zu Essen zu machen, da Julia mir schließlich die Erlaubnis gegeben hatte die Küche zu benutzen.
An den Treppen machte ich halt und zögerte, ich wandte mich wieder um und lief, von meiner Neugierde gesteuert, auf einer der geschlossenen Türen im Flur zu. Leise öffnete ich sie und trat in den Raum. Es war ein Bad, größer und edler als das neben meinem Zimmer. Ich schloss die Türe wieder, ohne mich weiter umzusehen und ging zur nächsten Türe die sich auf derselben Seite wie mein Zimmer befand.
Es war ein Schlafzimmer, ihr Schlafzimmer. In der Mitte war ein ungemachtes Bett mit weißem Bezug, ein stilvoller, orientalischer Teppich war auf dem Boden ausgelegt. An der Wand hing viel Kunst, auf einer Ablage lagen Bücher und eine Wandseite war vollständig mit eingebauten Schränken versehen.
Es roch so intensiv nach ihr.
Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange und schloss die Türe behutsam. Was zur Hölle machte ich hier?
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𝔼𝕟𝕚𝕘𝕞𝕒
RomanceEsme Lamar, 18 Jahre alt, wird auf die protzige Privatschule ihres Vaters versetzt. Nach längerem Klinikaufenthalt erhoffen Esme und ihr Vater sich dadurch, dass ihr Leben sich durch den Wechsel normalisieren wird. Doch diese Hoffnung wird geradeweg...