Kapitel 40

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Das Sonnenlicht welches durch die Fensterfront strahlte und zwischen den dunkelgrünen, tief hängenden Tropenblättern hindurchdrang, weckte mich. Als ich meine Augen aufschlug, war ich kurzzeitig geblendet, ich rutschte ein wenig hoch, bis eines der Blätter wieder ihren schützenden Schatten auf mein Gesicht warf. Der Anblick wie das Licht in sichtbaren Strahlen hinein sickerte, hatte etwas Traumhaftes und eine Weile schwelgte ich nur vor mich hin, bis ich realisierte, dass Julia nicht mehr neben mir lag. Ich rappelte mich immer noch ein wenig schlaftrunken auf und späte über den Rücksitz des Sofas hoffnungsvoll in die Küche. Doch auch hier war sie nicht zu sehen. Eben wollte mich wieder seufzend auf den Rücken plumpsen lassen, da entdeckte ich einen ordentlich zusammen gefalteten Zettel auf dem niedrigen Couchtisch, der so offensichtlich platziert war, dass er nur für meine Augen bestimmt sein konnte. Ich nahm ihn und entfaltete das Papier vorsichtig. In schwungvoller Handschrift stand dort geschrieben:

Guten Morgen, Liebes

Da du dich wahrscheinlich wunderst, wohin ich entschwunden bin: Ich habe einen Anruf bekommen und muss kurzfristig in die Stadt fahren, vermutlich werde ich es erst spät wieder zurückschaffen. Du hast so friedlich geschlafen und sahst dabei so goldig aus, da habe ich mich dazu entschieden dich nicht zu wecken ;) Ich hoffe du hast dich gut erholt, du darfst selbstverständlich bleiben oder gehen wie es dir beliebt. Mit meinen Kochkünsten kann ich dich heute zwar nicht beglücken, dein „Müsli" steht aber noch am genau gleichen Fleck -und ich für meinen Teil werde es nicht anrühren. Ansonsten hab einen wundervollen Tag! Wir sehen uns hoffentlich bald ;)

xxx - Julia

Ich lächelte und steckte den Zettel vorsichtig in die Tasche meiner Hose, die neben dem Sofa auf dem Teppich lag. Kurz hielt ich inne, vor meinem inneren Auge fingen an Szenarien abzuspielen, in denen ich ihn dort vergaß und mein Vater anschließend beim Wäschewaschen auf die Nachricht stieß. Ich stöhnte frustriert und stand etwas schwankend auf, um zum Eingangsbereich zu tapsen und dort aus der Jackentasche meinen Geldbeutel herauszuholen. Ich schob den schmalen Papierstreifen in einer der Kartenschlitze und atmete erleichtert aus. Better safe than sorry. Dann ging ich zurück, um mich anzuziehen und das altbewährte Müsli aus dem Schrank zu holen, welches Julia so offensichtlich verabscheute. Ich setzte mich hin und während ich aß, warf ich einen Blick auf die Uhr, 11:49 Uhr. Bald würde meine Schicht im Fevral beginnen, bis dahin hatte ich aber noch Zeit in Ruhe zu Ende zu frühstücken und mich ausgiebig zu duschen. Ich roch nach Sex.

~~~

„Schönen Wochenende", ich lächelte höflich als der hochgewachsene, glatzköpfige Mann nach dem Pappbecher grapschte und noch ein „Gleichfalls", nuschelte bevor er mit eiligen Schritten den Laden verließ. Sofort drehte ich mich um und ging zu der Spüle, um das saubere Geschirr auszuräumen, die sanfte Jazzmusik die im Hintergrund lief und das leise Gemurmel der noch übrigen Kunden wiegte mich in meine Gedankenwelt. Völlig versunken räumte ich das Geschirr ordentlich in die Schränke ein und putzte die Theke bis das dunkle Mahagoniholz wieder in alter Schönheit glänzte. Ein Klappern von Tassen ertönte und ich drehte mich um. Mira, Anastasias älteste Tochter, stellte einen Stapel gebrauchtes Geschirr auf der Theke ab und pustete sich anschließend eine verirrte, schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie war recht groß und überragte ihre Mutter um einiges, im Gegensatz zu dieser sprach sie auch im tadellosen Hochdeutsch.

„Du, ich denke den Rest schaffe ich selber, deine Schicht ist ja auch schon fast vorbei", meinte sie während sie mit dem Kopf in Richtung der alten Bahnhofsuhr nickte, die über der Küchenspüle hing. „Wirklich?", versicherte ich mich und sie zeigte mir ein herzliches Lächeln, das mich unheimlich an ihre Mutter erinnerte. „Jup! Geh ruhig", sagte sie und kam um die Theke herum um mir das Geschirrtuch abzunehmen.

„Cool, danke!", ich drückte sie in einer kurzen Umarmung wobei ihr kurzes, schwarzes Haar meine Wange kitzelte. Wir grinsten uns an, bevor sie sich umständlich an mir vorbeidrängte und in die Küche verschwand. Ich schnappte mir meine Jacke und lief durch den Laden auf den Terrassenbereich, durch die offenstehende Doppeltüre sah ich den dämmrigen Himmel. Ich trat nach draußen, überquerte die rustikalen Holzdielen und kam schließlich vor dem letzten Rundtisch zum Stehen.

"Fertig", grinste ich breit. Doch Kenia zeigte keine Reaktion. Ich tippte sie an und sie zuckte merklich zusammen, griff an ihr Ohr und zog den Kopfhörer heraus, um mich anzusehen, "Fertig?", fragte sie und ich nickte bestätigend. Sie grinste und nahm auch den anderen Kopfhörer raus, "Ich schreib noch den Satz zu Ende, ja?", sie deutete auf den Collegeblock der vor ihr auf dem Tisch lag. Ich stimmte zu und ließ mich vor ihr auf den etwas klapprigen, grünen Gartenstuhl nieder. Für einen Moment holten mich die Erinnerungen ein, wie Jonah vor mir saß und wie Kenia jetzt, paukte. Das lockige, schwarze Haar, wie es zwischen seinen Fingern hervorlugte, wenn er seinen Kopf abstützte. Das Saphirblau seiner Augen. Gewissen stieg in mir auf, wurde jedoch gemildert, als ich mir in Erinnerung rief wie froh ich über meine Entscheidung war. Wie wichtig dieser Schritt gewesen war. Jonah war ein abgeschlossenes Kapitel, vielleicht würde er irgendwann einmal über den Schmerz hinwegkommen und wir könnten Freunde sein.... vielleicht war ich aber auch einfach zu naiv.

"So, jetzt sollte die Lorenz auch zufrieden sein", Kenia klaubte ihre Blätter zusammen und stopfte sie ziemlich lieblos in ihre Tasche, sie blickte mit einem spitzbübischen Grinsen auf, "ach nein...sorry, ich meinte Julia". Ich verdrehte über ihren Tonfall die Augen, sie lachte und stand auf. Zusammen gingen wir den Weg zurück durch den Laden und riefen noch eine Verabschiedung Richtung Küche, bevor wir dann hinaus auf die Straße traten.

Kenia hatte Jonahs Ritual im Fevral zu lernen ahnungslos übernommen. Sie meinte, sie genoss die Atmosphäre und würde sich hinten auf der Terrasse besser konzentrieren können, als bei sich Zuhause, wo ihre zwei jüngeren Brüder meist herumtobten. Sie hatte mich bereits am Mittag, als ich den Laden betreten hatte förmlich mit Fragen gelöchert und nicht locker gelassen bis ich ihren Wissensdurst einigermaßen gemäßigt hatte. In ihrem Wortlaut war sie nun anscheinend "invested" und ich sollte mich ja bedanken, weil sie mir gestern zu phänomenalen Sex verholfen hatte. Ich sprach ihr meinen großen Dank aus, sie überging gekonnt meinen Sarkasmus und ich dachte das Thema "Julia Lorenz" wäre nun endlich abgehakt, doch das konnte ich voraussichtlich für die nächsten Tage vergessen. Insgeheim war ich meiner Freundin natürlich unfassbar dankbar, wie sie die Situation handhabte und mich so bedingungslos unterstützte. Ich wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, Kenia davon zu erzählen und ich vertraute ihr.

An der Bushaltestelle trennten sich unsere Wege, sie schwang sich auf das buntbemalte Rad und winkte mir von der anderen Straßenseite ein letztes Mal zu, bevor sie dann davon fuhr. Die Busfahrt verbrachte ich, indem ich Musik hörte, die Bässe in meinen Ohren lösten die aufgebaute Anspannung, die sich in den letzten Tagen in meinem gesamten Körper manifestiert hatte. Dass meine Gedanken wie automatisch zu einer ganz bestimmten Person wegdrifteten, war schon fast zur Gewohnheit geworden und inzwischen sah ich auch keinen Grund mehr es zu verhindern. Wieso sollte ich mir etwas vormachen? Wie oft kam es denn schon vor, dass jemand es vermochte solche Gefühle in mir hervorzurufen? Eigentlich nie, bis ich auf Julia gestoßen war.

Von der Haltestelle war es nur noch ein kurzer Laufweg bis ich Zuhause ankam. Innerlich stöhnte ich auf, als ich Carlas Wagen neben dem BMW meines Vaters in der Einfahrt stehen sah. Doch ein Abendessen bei dem ich ihre schrille Stimme und das Süßholzraspeln meines Vaters erleiden musste, wurde mir erspart, denn eben als ich zur Eingangstür lief, schwang diese auf und Carla kam herausgestürmt. Überrascht blickte ich sie an, ihre Augen sowohl ihre Nase waren gerötet, und ihre verschmierte Wimperntusche verdeutlichte, dass sie geweint hatte. In dem Moment als sie mich erblickte, blieb sie stocksteif stehen, in ihrem Gesicht purer Schock bevor sie angewidert die Nase rümpfte und dann an mir vorbeistolzierte. Sprachlos stand ich da und hörte ihre hohe Stimme hinter mir noch keifen, "Er ist nur so, seitdem du da bist!"

Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Danke fürs Lesen! Ich freue mich über jedes Feedback :)

𝔼𝕟𝕚𝕘𝕞𝕒Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt