Kapitel 13

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"Steig aus."

Ich ließ sie mich kein weiteres Mal auffordern und umrundete zügig die Motorhaube, um mich schon fast konfrontativ vor sie zu stellen. Wieso hatte sie es mir nicht gleich gesagt? Die Antwort war mir schon halb bewusst, sie hatte wahrscheinlich vor Schadenfreude während der gesamten Fahrt in sich hineingegrinst!

"Möchtest du mir etwas sagen?", fragte Frau Lorenz, als sie mich von oben herab musterte. Der unheilschwangere Unterton in der vorgegebenen Ruhe ihrer Stimme raubte mir augenblicklich den Mut und ich schüttelte leicht den Kopf. Wir liefen gemeinsam zur Haustüre, wo ich dann mit meinem Schlüssel aufschloss. Mit dem Eintreten nahm ich sofort den appetitlichen Geruch aus der Küche war und auch wenn ich mich etwas unhöflich meiner Lehrerin gegenüber fühlte, eilte ich voraus und stellte mich neben meinen Vater, der vor dem Herd stand und den Inhalt einer Pfanne abschmeckte.

"Warum hast du mir nichts gesagt!", zischte ich ihm zu. Er wandte seinen Kopf zu mir um und sah mich verwirrt an. "Was?", fragte er irritiert. "Wieso hast du nicht gesagt, dass Frau Lorenz heute zum Essen kommt? Wieso hast du sie überhaupt eingeladen?", fragte ich aufgebracht in gesenkter Stimme. Endlich schien ihm ein Licht aufzugehen, "Ich wollte es dir nach der Schule sagen, aber du bist ja erst jetzt gekommen...ich habe sie eingeladen damit ihr euch nicht ganz so fremd seid, wenn du bei ihr wohnst", erklärte er mir lächelnd. Ich sah ihn mit leicht zusammengekniffenen Augen fassungslos an und gerade wollte ich mich aufregen, da glitt sein Blick an mir vorbei und sein Grinsen weitete sich um ein dreifaches, sodass es schon fast schmerzhaft aussah.

"Ah, bonsoir Julia! Du kommst genau richtig, der Tisch ist schon gedeckt", mein Vater drängte mich zur Seite, um seine Hände an einem Geschirrtuch abzuwischen und die Pfanne dann zum Esstisch zu tragen.

"Guten Abend Philipe", Frau Lorenz lächelte schlicht aber charmant und folgte ihm ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich unterdrückte ein Seufzen und setzte mich widerwillig an den Esstisch.

Es waren bereits etwa 10 Minuten vergangen. Ich saß, mein Vater -offensichtlich noch nicht bereit, eilte in der Küche umher während er sich im rasenden Französisch mit Frau Lorenz unterhielt, die an der Kücheninsel stand und sich gegen dessen Arbeitsplatte gelehnt hatte. Ich kam mir zunehmend fehl am Platz vor und starrte stumm vor mich hin, bis sich schließlich beide gesetzt hatten und dann, aus Rücksicht auf meine arm ausgefallenen Französischkenntnisse, ihr Gespräch in Deutsch weiterführten. Meine Strategie möglichst versunken und konzentriert mein Gemüse kleinzuschneiden, war leider nicht länger effektiv, als mein Vater sich an seine "Mission" erinnerte und versuchte, mich in ihre Konversation mit einzubeziehen.

"Ja...wir sind wirklich froh, dass du Esme für eine Woche bei dir bleiben lässt", sagte er. Nicht 'wir' sind froh, du bist froh, korrigierte ich ihn in Gedanken.

"Keine Ursache, ich denke wir werden uns gut verstehen, nicht wahr Esme?", dunkle Augen funkelten schelmisch als ich zu meiner Lehrerin blickte.
Ich räusperte mich, "J...ja", Gott, warum konnte ich nicht einmal meine Fassung behalten? Frau Lorenz schob sich ihre Gabel in den Mund und für einen Moment blieb mein Blick an ihren vollen Lippen hängen, als sie sich anschließend mit der Zunge darüber fuhr, ihr Blick lag dabei immer noch so eindringlich auf mir, dass sich eine Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitete. Das klingelnde Telefon zerriss das, was auch immer zwischen mir und meiner Lehrerin gewesen war. Mein Vater entschuldigte sich hastig, die Stuhlbeine klapperten aneinander, als er sich schnell aufrichtete und aus dem Essbereich verschwand, um den Anruf zu beantworten.

"Du wirkst nervös", stellte meine Lehrerin nach einer Weile fest. Sie saß mir gegenüber, in dem schummrigen Licht warfen ihre langen Wimpern Schatten auf ihre Wangenknochen und ihre Augen waren fast schwarz.

"Bin ich nicht", stritt ich ab und senkte den Blick wieder auf meinen Teller.

"Hm...dann frage ich mich, wieso du seit 10 Minuten dein Essen klein schneidest, ohne etwas davon zu essen", sie blickte auf meinen Teller und vor Scham, schoss mir augenblicklich das Blut in die Wangen. Sie lachte leise und beugte sich dann vor, nahm ihr Weinglas in die linke Hand und schwenkte vorsichtig den dunkelroten Inhalt. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder mir zu und ihr fesselnder Blick traf mich so unvorbereitet, dass er mich wie lähmte.

"Mache ich dich nervös?", fragte sie mich und trank einen Schluck von dem burgunderroten Wein. Ein amüsiertes Lächeln zierte ihre Lippen, doch ich meinte aus ihren Worten ehrliches Interesse herausgehört zu haben. Für einen Moment hing mein Blick an diesen roten, verführerischen Lippen, bevor ich schluckte und in ihre dunklen Augen aufschaute, die mich eingehend musterten.

Ja!

"Ja", kam es über meine Lippen bevor ich mich besinnen konnte. Innerlich schlug ich mir die Hand vor den Mund. Meine Lehrerin sah mich aus einer Mischung von Erstaunen und Belustigung an, sie hatte diese Antwort nicht erwartet, genauso wenig wie ich.

"Nein! Ich äh...", ich suchte nach den richtigen Worten, um mich dieser Blamage zu entziehen und das kleine amüsierte Lächeln meiner Lehrerin half mir nicht gerade weiter. Ich rang kurz um meine Fassung und atmete dann tief durch. "...Ich meine nein, Sie machen mich nicht nervös", sagte ich schließlich so überzeugend wie möglich wobei mir klar war, dass ich alles nur schlimmer machte.

Ein helles Lachen drang urplötzlich an mein Ohr und ich riss meinen Blick hoch zu der Frau, von der es stammte. Es kam nicht oft vor, dass ich sie so lachen hörte - aus vollem Herzen und es faszinierte mich in jeder erdenklichen Art und Weise. Wie sie ihren Kopf leicht in den Nacken legte, ihre Augen anfingen zu leuchten und sie plötzlich diese Jungenhaftigkeit noch verstärkter ausstrahlte. Ihr Lachen war Musik für meine Ohren: hell, mädchenhaft und dennoch kam es aus dem Innersten und klang so warm und voll, dass sich kurzzeitig ein dämliches Grinsen auf meine Lippen legte, als ich vergaß, wo ich war und wer ich war. Als sich meine Lehrerin wieder eingekriegt hatte, schüttelte sie leicht den Kopf, lächelte aber immer noch und entblößte dabei eine Reihe von perfekten, weißen Zähnen.

"Süß", sagte sie schließlich eher zu sich als an mich gewandt, doch es erzielte trotzdem seinen Effekt und inzwischen war mein Gesicht vermutlich knallrot. Tatsächlich sah ich den Eintritt meines Vaters ausnahmsweise mal als eine Rettung an. Ich machte mich so klein wie möglich in meinem Stuhl und schmollte schweigend vor mich hin während er sie wieder ein Gespräch verwickelte.

Als wir schließlich wieder vor der Eingangstüre standen, um sie zu verabschieden, realisierte ich, dass das Treffen so ziemlich sinnlos gewesen war. Das einzige, was ich über Frau Lorenz gelernt hatte, war, dass sie fließendes Französisch sprechen konnte, mehr nicht. Sie war mir ein genauso großes Rätsel wie zuvor, wenn nicht mehr. Ich jedoch fühlte mich jedes Mal, wenn ihr Blick mich traf so, als würde sie aus meinen Augen mehr lesen als ich selbst über mich wusste. Ich war ein offenes Buch für sie und das bereitete mir fast schon ein wenig Angst.

"Merci d'être venue Julia, rentre bien d'accord?", mein Vater hielt ihr lächelnd die Tür auf.

"De rien et merci pour le dîner Philipe, à plus" meine Lehrerin zog sich ihren Mantel über und wandte sich dann zu mir um. "Au revoir Esme, à lundi", sie zwinkerte mir grinsend zu und trat dann an meinem Vater vorbei. Ich starrte ihrer Gestalt nach, bis ihre Silhouette gänzlich von der Dunkelheit verschluckt wurde und die Türe ins Schloss fiel.

𝔼𝕟𝕚𝕘𝕞𝕒Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt