Kapitel 29

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Bald geht es dir besser...schluck!

Keuchend riss ich meine Augen auf und richtete mich ruckartig auf. Ich legte die Hand auf meine Brust und spürte wie mein Herz panisch dagegen hämmerte. Ich schloss die Augen, wartend, bis die Angst etwas wich. Die Albträume waren nichts Neues und ich wusste aus Erfahrung, dass jetzt nicht mehr an Schlaf zu denken war, denn meistens kehrte ich dann in denselben Traum zurück.

Ich spähte zum Balkon, draußen war der graublaue Himmel zu sehen war. Es musste bereits Morgen sein. Ich stand auf und streckte mich ausgiebig bevor ich auf den Flur trat und diesen auf leisen Sohlen überquerte. An Julias offener Zimmertüre machte ich halt, um neugierig ins Innere zu blicken. Leer.
Mit nackten Füßen stieg ich die Treppen hinunter und als ich zum Sofa blickte, fand ich dort meine Lehrerin, mit überschlagenen Beinen und einem Buch in der Hand. Ein kleines Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, was so früh am Morgen eigentlich eine Seltenheit war. Ich lief zu der Couch und ließ mich uneingeladen neben ihr nieder. Mit angezogenen Beinen wippte ich leicht hin und her während ich sie schweigend beobachtete. Ihre Augen scannten die Seite und während sie dies tat, strich sie nachdenklich mit ihren Fingerspitzen über die Unterlippe, eine Geste die ich öfters an ihr beobachtete, wenn sie etwas genauer studierte.

Ich lugte auf das Cover ihres Buches, auf dem in schwarz-weiß eine junge Frau abgebildet war, „Bonjour tristesse von Françoise Sagan". Sie war halbwegs durch.

„Mein Vater kommt am Montag wieder", sagte ich schließlich und sah sie verstohlen an. Sie hob den Blick nicht und gab nur ein halbherziges „Mhm", von sich. Ein paar Sekunden verstrichen.

„Hast du eigentlich keine Angst, dass jemand etwas herausfindet? Ich meine...mein Vater würde dich bestimmt hochkant rauswerfen", sagte ich und sprach offen meine Sorge aus. Auch wenn mein Vater eher Konflikte mied und jegliches Drama verabscheute, so hatte ich trotzdem Angst davor was die Folgen unseres Handelns sein könnten. Ich war zwar bereits volljährig, aber da Frau Lorenz mich unterrichtete würde unser Verhältnis trotzdem ihren Ruf schädigen und ihren Job kosten.

„Gut möglich", kam es ungerührt von ihr was mich dezent irritiert die Augenbrauen zusammenziehen ließ.

„Ist dir dein Beruf egal?", entfuhr es mir plump und ich biss mir sofort reumütig auf die Unterlippe. Julia klappte das Buch geräuschvoll zu und sah mich verärgert an.

„Ich liebe meine Arbeit", sagte sie gereizt.

„T...tut mir leid, ich meinte das nicht so", stammelte ich verlegen und blickte auf meine Hände. Julia seufzte, „Esme...", eine helle Melodie unterbrach sie begleitet von einem schwachen Summen. Es war ihr Handy auf dem Sofatisch, der Bildschirm leuchtete auf und ich las den Kontaktnamen. Simon. Julia stand mit dem Smartphone auf und drückte es an ihr Ohr.

„Simon?", sie klang verwundert.

Ich hörte die Stimme der Person am anderen Ende der Leitung gedämpft zu mir durchdringen. Er sprach schnell und soweit ich verstehen konnte, auf Französisch. Julia sah mit jeder Sekunde genervter aus. Wer war das?

„Simon, tu n'es pas sérieux!", zischte sie ins Telefon und ich zog den Kopf leicht ein, obwohl die Worte nicht an mich gerichtet waren. Frau Lorenz umrundete das Sofa und verschwand schon bald im Flur und aus meiner Sicht. Ihre aufgebrachte Stimme drang noch halblaut an meine Ohren und ich war froh nicht in den Schuhen ihres Gesprächspartners zu stecken.

Herzlich gähnend stand ich auf, trottete verschlafen zur Küche und fing an mir eine Schüssel mit Müsli zu füllen. Nachdem ich eingezogen war, hatte ich erst Mal einen Großeinkauf für meine eigenen Bedürfnisse gemacht. Julia hatte zwar bei dem Anblick skeptisch die Augenbraue hochgezogen, aber solange ich mein Müsli hatte, war mir das recht. Zufrieden aß ich während im Hintergrund die Diskussion weiter ausgetragen wurde. Julia schrie zwar nicht, aber das war bei der Kälte, die sie in ihre Stimme zu legen vermochte auch gar nicht nötig.

Nach einer Weile hörte ich Schritte und blickte auf, als sie in das Wohnzimmer zurückkehrte. Sie tippte etwas konzentriert in ihr Handy ein und war sichtlich angespannt.

„Ich muss kurzfristig weg, aber ich komme wahrscheinlich morgen Abend wieder zurück", meinte sie abwesend und ohne den Blick zu heben. Ich sah sie überrascht an, „Was, wieso?", kam es übereilt über meine Lippen.

„Mein kleiner Bruder...", sie machte eine kurze Pause, „scheint etwas in der Klemme zu stecken", ihr aufgebrachter Tonfall raubte mir den Mut sie noch mit anderen Fragen zu bedrängen und so schwieg ich. Ihr entging somit mein enttäuschter Blick, ich hatte gehofft, dass wir ungestört unsere Zeit genießen konnten, bevor mein Vater wieder zurückkehren würde. Aber das konnte ich mir jetzt wohl aufs Erste abschminken.

~~~

„Julia?", verhalten sah ich meine Lehrerin an. Sie hatte die letzte Stunden in ihrem Arbeitszimmer verbracht. Jetzt war sie schon dabei das Haus zu verlassen.

„Ja?", sie schlüpfte in die matt schwarzen Pumps, die ihr monochromes Outfit perfekt abrundeten. Schwarz stand ihr wirklich ausgezeichnet, stellte ich fest.

„Ähm...gute Fahrt", ich verzog geistig das Gesicht darüber, wie seltsam meine Worte geklungen hatten und auch Julia warf mir einen amüsierten Blick zu. „Danke", meinte sie bevor sie nach ihrer Tasche griff und die Tür öffnete. Ich biss mir auf die Innenwange, in mir sträubte sich alles bis es schließlich aus mir herausplatzte. „Julia!", sie drehte sich auf der Türschwelle um, blickte mich mit hochgezogener Augenbraue und einem geduldigen Lächeln an.

„Ja?", wiederholte sie schmunzelnd.

„Kann ich mitkommen?". Ihr Lächeln wurde sanfter als sie auf mich zutrat und ihr Blick mich einnahm. Ihre Finger fuhren meinen Kiefer entlang bis zu meinem Kinn, das sie leicht anhob, um unsere Lippen für einen süßen Augenblick zu vereinen.

„Nein, Kleines", sagte sie und klang dabei tatsächlich bedauernd.

„Bitte...?", ich sah sie ernst an. In ihr schien es zu arbeiten, ich konnte es an ihrem Blick erkennen. Er hatte diesen sonderbaren Ausdruck inne, den ich nicht einzuordnen wusste.

„Wenn du mir versprechen kannst, im Hotelzimmer zu bleiben, solange ich nicht da bin. Ich habe keine Lust dich irgendwo in einer fremden Stadt aufgabeln zu müssen", trotz der harschen Worte, breitete sich ein Grinsen auf meinem Gesicht aus.

„Klar, natürlich", sagte ich voreilig und überstrahlte ihre strenge Miene, was sie mit einem Kopfschütteln quittierte. Der Gedanke ein Wochenende mit Julia in einer anderen Stadt zu verbringen war viel zu verlockend, als dass ich hätte ablehnen können. Auch wenn ich nicht wirklich wusste, auf was ich mich da eingelassen hatte.

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