Kapitel 12

4K 179 6
                                    

"Es tut mir leid."

Ich war überrascht als mir die Worte mit solcher Leichtigkeit über die Lippen kamen und sie zudem auch noch ein Gefühl der Erleichterung in mir hinterließen. Frau Lorenz musterte mich kurz, als wenn sie prüfen würde, ob meine Entschuldigung aufrichtig war und als sie dies festgestellt hatte, nickte sie leicht und ihre Gesichtszüge wurden wieder etwas weicher. Sie trat einen Schritt zurück und bückte sich um ihre Tasche aufzuheben.

"Jetzt können wir gehen", sagte sie. Ich blickte ihr irritiert nach, als sie zur Türe lief und sich dann zu mir umdrehte. Abwartend hob sie ihre Augenbrauen, "Worauf wartest du?", fragte sie belustigt.

"Nichts!", ich sprang auf, schulterte meine Tasche und trat an ihr vorbei hinaus auf den verlassenen Gang. Schweigend liefen wir gemeinsam aus dem Gebäude bis wir stehen blieben, unter dem Vordach und ich erinnerte mich an meinen ersten Schultag als ich sie zum ersten Mal hier getroffen hatte. Ich blickte sie an und überlegte mir gerade, wie ich mich verabschieden sollte, da lächelte sie mich kokett an. Diese Frau hatte wirklich ernsthafte Stimmungsschwankungen.

"Was hältst du davon, wenn ich dich nach Hause fahre?", ich sah überrascht an, unsicher, ob sie mich auf den Arm nahm. Warum sollte sie mich nach Hause fahren wollen? Hatte sie ein Gewissen wegen des Nachsitzens? Ich lachte innerlich über meine Naivität - nein. Ich kannte Frau Lorenz nicht lange, aber das war es mit Sicherheit nicht.

"Esme", riss sie mich aus meinen Überlegungen.

"Ähm...wenn es Ihnen keine Umstände bereitet", sagte ich misstrauisch. Sie grinste mich an "Ganz und gar nicht, mein Wagen steht gleich dahinten". Ich folgte meiner Lehrerin die zügig über den Parkplatz schritt, die Scheinwerfer des Mercedes leuchteten kurz auf, als sie das Auto aufschloss. Ich war nervös als ich mich auf das kühle Leder des Beifahrersitzes niederließ, kurz darauf stieg sie neben mir ein und die Fahrertüre wurde zugeschlagen. Stille umgab uns und mein Atem kam mir mit einem Mal viel zu laut vor. Es roch gut -nach Neuwagen, aber als ich den Geruch durch meine Nase einsog konnte ich den unverkennbaren Duft der Frau neben mir wahrnehmen. Ich betrachtete sie aus dem Augenwinkel, als sie den Motor zum Laufen brachte und dann den Rückspiegel richtete, um den Wagen gekonnt aus der Parklücke zu manövrieren.

"Wollen sie nicht meine Adresse wissen?", fragte ich als wir schließlich auf der Hauptstraße waren. Frau Lorenz nahm den Blick nicht von der Straße.

"Nicht nötig", meinte sie.

"Okay", sagte ich stirnrunzelnd mit einem skeptischen Unterton. Einige Minuten verstrichen, ich betrachtete sie erneut aus dem Augenwinkel. Sie strahlte Ruhe aus, ihrerechte Hand umgriff das Lenkrad während der Andere entspannt auf der Armlehne der Wagentür ruhte. Ihr wacher Blick war auf den Verkehr gerichtet. Dieser Blick, der mich so aus der Fassung bringen konnte -es war mir wirklich ein Rätsel. Plötzlich wandte Frau Lorenz den Kopf zu mir und sah mich direkt an. Wir standen vor einer roten Ampel. Vor Verlegenheit schoss mir das Blut in die Wangen, sie hatte mich auf frischer Tat beim Starren ertappt, doch ich traute mich nicht, wollte nicht den Augenkontakt abzubrechen. Ihr linker Mundwinkel zuckte ein Stück weit nach oben.

"Was?", fragte sie mich amüsiert.

Ich entließ die Luft in einem kleinen Lachen als ich leicht den Kopf schüttelte, "Nichts, ich...mein Kopf ist nur voller Fragen", gestand ich ihr.

"Dann stell sie mir, ich kann dir keine Antwort versprechen aber du kannst mich alles fragen, was du möchtest", sagte sie und wandte sich wieder der Straße zu.

"Warum kennen Sie meine Adresse?", fragte ich also.

"Manchmal gibt es Veranstaltungen in eurem Haus, die dein Vater organisiert. Feste, Geburtstage, alles Mögliche... ihr habt einen wirklich schönen Garten nebenbei bemerkt...", antwortete sie nebensächlich. Ich nickte langsam dann verstrichen einige Sekunden bevor mir erneut etwas einfiel. "Wieso fahren sie mich nach Hause?", Frau Lorenz schmunzelte. Sie parkte den Wagen an den Straßenrand vor unserem Haus und schaltete den Motor aus.

"Das, liebe Esme, erkläre ich dir während dem Abendessen", sie lächelte mich charmant an und zog dann den Autoschlüssel heraus. Ich sah sie verständnislos an. Wie konnte es sein, dass ich ihr Fragen stellte ihre Antworten aber nur weitere Fragen in mir hervorriefen?

"Was? Ich verstehe nicht...", ich war sicher, dass so eben ein großes Fragezeichen über meinem Kopf schwebte.

"Dein Vater hat mich zum Essen eingeladen. Ich dachte es spart uns etwas Zeit, wenn wir einfach zusammen fahren", antwortete sie mir und stieß dann die Türe auf um auszusteigen. Sie hielt sich oben an der Autotür fest und beugte sich herab, um einen Blick in das Wageninnere, auf mich zu werfen.

"Steig aus"

Ein etwas kurzes Kapitel, aber ich hoffe es gefällt euch trotzdem! Danke fürs Lesen :)

𝔼𝕟𝕚𝕘𝕞𝕒Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt