Kapitel 11

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"Sie wird dich zu ihrer Dienerin machen, ich sehe schon vor meinem geistigen Auge wie du 24/7 ihr Haus putzen und ihre Kleider bügeln musst", Kenia lachte bis sie Tränen in den Augen hatte nachdem ich ihr die "frohe Nachricht" verkündete. Wir saßen auf der Tischtennisplatte neben dem Parkplatz der Schule und warteten darauf, dass jeden Augenblick die Pausenklingel läutete und uns zurück zum Unterricht zwang.

"Das ist nicht witzig", entgegnete ich, konnte aber ein kleines Schmunzeln nicht unterdrücken.

"Doch ist es", sie grinste bevor sie theatralisch die Augen aufriss und mich mit gespielter Erkenntnis anblickte.

"Dann kannst du ja...! Warte mal, das ist genial! Du kannst sie um deinen kleinen Finger wickeln und ein gutes Wort für meine Note einwerfen!", sie wackelte mit den Augenbrauen. Ich lachte auf, "Frau Lorenz lässt sich nicht um den Finger wickeln und wenn, dann bestimmt nicht von mir". Ich konnte mir momentan beileibe nicht vorstellen, dass Frau Lorenz sich bei dem Anblick oder den Worten irgendeiner Person aus der Rolle bringen ließ oder gar in Verlegenheit geriet.

"Warum bleibst du nicht einfach alleine zu Hause für zehn Tage?", fragte Kenia mich schließlich.

"Mein Vater denkt ich wäre unfähig, deshalb", direkt sank meine Laune in den Keller.

"Ach, mit der Lorenz zu wohnen ist bestimmt sowieso viel interessanter!", sprach der Optimismus wieder aus ihr, der in mir gänzlich fehlte. Ich wollte gerade etwas entgegnen da unterbrach mich das Läuten der Schulglocke und wir verließen unseren Pausenplatz.

"Wir können gerne tauschen", meinte ich. Kenia schüttelte schnell den Kopf. "Ne... die Frau hat was gegen mich". "Nur weil sie meinte, dein Glasharfenkonzert ist nicht geeignet für das Programm", ich musste grinsen als ich daran zurückdachte.

"Mein Glasharfenkonzert war geeignet!", rief sie empört.

"Nope"

"Doch"

Lachend trat ich in das Klassenzimmer ein, als ich Frau Lorenz am Lehrerpult erblickte und erstarrte. Sie hatte sich bei unserem Eintritt zu uns gedreht und blickte uns mit erhobenen Augenbrauen an.

"Hallo ihr beiden", begrüßte sie uns amüsiert.

"Hallo Frau Lorenz", erklang Kenias Stimme hinter mir, dann zog sie an meiner Tasche, um mich dazu zu bringen weiter zu laufen. Ich riss meinen Blick weg von meiner Lehrerin und setzte mich in Bewegung, wir begaben uns auf unsere Plätze. Ohne Umschweife blickte ich zu Frau Lorenz. Sie saß mit überschlagenen Beinen, den Kopf über einige Blätter gebeugt. Sie hatte eine Brille aufgesetzt -die ihr ausgezeichnet stand, und ihre filigranen Finger trommelten leise auf der Tischplatte, versunken in ihrer Arbeit.

Der Unterricht fing nach einigen Minuten an und mir fiel auf, dass Frau Lorenz sichtlich ruhiger war als sonst. Sie war erschöpft. Kein verspieltes Funkeln in ihren Augen, kein ironischer Kommentar. Sie teilte uns Aufgabenblätter aus und arbeitete selber am Lehrerpult, während Stille das Klassenzimmer umhüllte. Erst nach der Hälfte des Unterrichts stand sie schließlich auf und fing an durch die Reihen zu laufen und hin und wieder einigen Schülern zu helfen. Als sie schließlich in der hintersten Reihe ankam, starrte ich auf mein Blatt und gab vor in meiner Arbeit vertieft zu sein, was ich absolut nicht war, denn ihre Gegenwart hinter meinem Rücken, mir brachte mich völlig aus der Fassung. Plötzlich beugte sie sich über meine Schulter und stützte ihr Gewicht mithilfe ihres Armes auf der Tischplatte ab. Ich verkrampfte mich etwas, als ich meinte ihren Atem an meiner Halsbeuge zu spüren.

"Ist das der Versuch deine Fehler mit einer Sauklaue zu vertuschen?", fragte sie mich banal mit gesenkter Stimme. Ich blickte auf meine Handschrift – was war das Problem?

"Nein?"

"Dann schreib es noch einmal", befahl sie.

"Was?", ich drehte mich so, dass ich sie anblicken konnte. Meinte sie das ernst?

"Habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt?", fragte sie und blickte mich gelassen von oben herab an.

"Nein...aber das ist eine ganze Seite", erwiderte ich.

"Dann solltest du lieber jetzt anfangen bevor du nicht mehr fertig wirst, meinst du nicht?". Ihre unbeirrbare Gelassenheit ging mir dermaßen auf die Nerven!

"Aber...", fing ich an, doch sie schnitt mich mit eiserner Stimme ab. "Das reicht, du bleibst nach dem Unterricht da", sie wandte sich ab und ging wieder zurück nach vorne. Fassungslos oder eher empört blickte ich ihr nach.

Kenia entließ hörbar die Luft, "Damn".


Was zur Hölle war das denn? Ich biss meine Zähne zusammen und riss ein neues Blatt aus meinem Block um mit dem Abschreiben anzufangen. Ich konnte nicht aufhören darüber nachzudenken, warum sie sich mit einem Mal so aufführte. Ja, meine Schrift war vielleicht nicht die erste Wahl, wenn es darum ging Geburtstagskarten und Hochzeitseinladungen zu schreiben, aber zuvor hatte sie doch ein kein Problem damit gehabt. Als es endlich klingelte, blieb ich sitzen bis die meisten Schüler den Raum verlassen hatten. "Sei einfach ganz lieb und versuch sie nicht zu reizen, ich spreche aus Erfahrung", Kenia tätschelte mir mitfühlend die Schulter und rauschte dann an mir vorbei und zu Tür hinaus. Ich stand auf und ging nach vorne um einige Meter vor dem Lehrerpult stehenzubleiben. Sie würdigte mich keines Blickes, schien mich für Minuten regelrecht zu ignorieren bis mein Geduldsfaden beinahe riss. Aber ich erinnerte mich an Kenias Worte und lehnte mich wortlos gegen einer der Tische. Nach einer Weile, die mir wie Stunden vorkam, legte Frau Lorenz endlich den Stift aus der Hand und setzte ihre Brille ab, um die Augen für einen Moment zu schließen und mit Zeigefinger und Daumen den Nasenrücken zu massieren.

"Setz dich Esme", sagte sie ohne mich anzublicken.

Ich gehorchte und ließ mich auf den Platz, der am nächsten zum Lehrerpult war nieder. Frau Lorenz holte etwas aus ihrer Tasche heraus und stand dann auf, um an meinen Tisch zu treten und ein Blatt vor mich zu legen.

"Sauber abschreiben", sagte sie knapp. Einige Sekunden verstrichen, dann blickte ich hoch zu ihr. Dunkle Augen blickten mir entgegen und dieses Mal ließ sie mich aus ihnen lesen, dass sie sich kein weiteres Mal wiederholen würde. Ich nahm also einen Stift aus meinem Mäppchen und fing an ordentlich abzuschreiben, ich hinterfragte nicht wieso und meine Frustration war auf einmal wie weggeblasen. Ich war fokussiert und nicht mal die Tatsache, dass ich mich alleine mit Frau Lorenz in einem Raum befand, konnte mich mehr ablenken. Ich war sogar so versunken, dass ich erst bemerkte, dass sie hinter mir stand, als sie sich wieder über meine Schulter beugte, um meine Arbeit zu überprüfen.

"Sehr schön", lobte sie mich leise und auf einem Mal übermannte mich ein Gefühl von Glückseligkeit und Stolz, sodass sich kurzzeitig ein Lächeln auf mein Gesicht stahl. Dann erinnerte ich mich jedoch, aus welchem unnötigen Grund ich überhaupt hier saß, meine Zeit verschwendete und das Gefühl verschwand genauso schnell wie es gekommen war. Diese ganze Situation war lächerlich. Ich räusperte mich vorsichtig "Ähm...könnte ich jetzt vielleicht gehen?".

Sie hatte den Tisch umrundet und stand nun wieder vor mir. Ihr heutiges Outfit bestand aus einer einfachen, weißen Bluse und einer schwarzen Hose, die oben zwar enganliegend war, dafür aber unten recht locker endete. Wäre ich ihr auf der Straße begegnet, hätte ich nie im Leben gedacht, dass sie eine Lehrerin war.

"Nein", riss sie mich unsanft aus meinen Gedanken. Verwirrt und genervt zugleich runzelte ich meine Stirn, "Wieso nicht?"

"Weil ich es sage". Ich verdrehte die Augen, erwiderte jedoch nichts.

"Du solltest wirklich etwas an deinem Verhalten gegenüber Autoritätspersonen ändern, bevor ich es tue", ihre Stimme war herablassend - fast bedrohlich, und ließ augenblicklich mein Blut in den Adern gefrieren. Ich schluckte und starrte meine Finger an, die ich ineinander gefaltet auf dem Tisch liegen hatte.

"Und nebenbei bemerkt, wenn du noch einmal deine Augen so verdrehst, wirst du nicht so leicht davon kommen wie heute, verstanden?"

Ich fühlte mich vollkommen machtlos in dieser Situation und zu einem Teil schämte ich mich sogar etwas. Ich zwang mich also dazu aufzublicken und als ich ihren kalten Blick sah, zuckte ich innerlich zurück. "Ja Frau Lorenz", murmelte ich. Sie sah mich immer noch unbewegt an und ich wusste instinktiv auf was sie wartete, also holte ich tief Luft und ließ es einfach heraus.

"Und es tut mir leid."



Tut mir leid für die unregelmäßigen Uploads, der Schulstress nimmt nur gerade etwas zu. Ich hoffe, es geht euch allen gut und vielen Dank fürs Lesen!

𝔼𝕟𝕚𝕘𝕞𝕒Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt