"Es war... vorteilhaft ein Kind in der Truppe zu haben... Ich war klein und unscheinbar. Sie schickten mich vor, zum Spionieren und zum-... Wer hätte auch erwarten sollen, dass ich... dass ich einfach-..." Tygran wimmerte und drehte sich weg, doch Dani hielt ihn bei sich.
"Du musst es nicht sagen, Tygran. Nichts davon ist deine Schuld, du warst ein Kind."
"Doch! Doch, es ist meine Schuld! Ich habe an ihre Türen geklopft... Ich habe gelogen und nach Wasser oder etwas zu Essen gefragt. Niemand befürchtete auch nur etwas, wenn sie mich hineinließen. Manche haben mir einen Platz zum Schlafen gegeben. Es war nachts einfacher... wenn sie schliefen. Und sie würden für immer weiterschlafen.
Dafür sollte ich nie wieder schlafen. Es gab keine Nacht... ohne Albtraum, bis heute... Ich sehe alles. Den Galgen, das brennende Haus, all die Leichen. Die blutigen Messer, die Griffe, die für meine Hände viel zu groß waren. Ich weiß, wie Leute aussehen, wenn sie ersticken oder verbrennen. Ich weiß, wie sie aussehen, wenn sie erfrieren oder verhungern. Ich weiß, wie sie aussehen, wenn ihnen der Kopf weggeschossen wird. Wie sie aussehen, wenn sie verstümmelt und gefoltert werden. Ich weiß, wie es riecht." Tygran sah ihn an, der Blick in seinen Augen schmerzvoll und durchdringend.
"Und ich glaube... es hat mich abgestumpft. Mein Onkel hatte mir zu Beginn gesagt, ich solle mich daran gewöhnen. Und das hatte ich, obwohl ich so viel Angst davor gehabt hatte. Trotzdem hatte ich das Gefühl, als würde mir auf einmal etwas fehlen, etwas sehr Wichtiges. Als hätte es mir jemand weggenommen... Nein... ich habe es mir selber weggenommen... Mit jedem Schuss, mit jeder durchtrennten Kehle, mit jeder zerquetschten Luftröhre. Die Kinder aus den Bunkern wollten nie etwas mit mir zu tun haben und von diesem Moment an war mir das auch egal. Sie hassten mich für meinen Vater. Und ich hasste sie.
Ich wurde älter und ich wuchs. Ich merkte, wie ich stärker wurde. All diejenigen, die mich während der Trainingseinheiten verprügelt hatten, konnte ich auf einmal fertig machen. Mit vierzehn war ich so groß wie mein Onkel, mit fünfzehn größer als die meisten Soldaten. Und mit sechzehn zahlte ich es ihnen heim."
Dani öffnete den Mund um etwas zu sagen, aber keine Worte kamen ihm über die Lippen. Tygran starrte verbittert auf den Boden, doch gleichzeitig... wirkte er so traurig wie zuvor."Dieses Gefühl der Macht... Es nahm mir meine Angst und es machte mich selbstsicher und arrogant. Ich habe es genossen... Aber das war nicht ich. Und ich hätte niemals zulassen sollen, dass so etwas mit mir passiert. Ich kann mich nicht genau erinnern, wieso ich auf einmal so vom rechten Pfad abkam. Ich wusste nur, dass der Tod etwas Alltägliches war, etwas Normales, genau wie das Töten.
Es war die Zeit, in der mein Onkel am stolzesten auf mich war. Und das... ich fühlte mich auf einmal wichtig, gewollt. Als hätte ich eine Bestimmung oder wäre kein wertloser Abschaum, wie ich es so häufig zu hören bekam. Ich wurde zunehmend aggressiv, im Training tötete ich einen unserer eigenen Leute. Sie hatten auf einmal Respekt vor mir, alle von ihnen. Sie waren diejenigen, die Angst hatten.
Mein Onkel klopfte mir auf die Schulter, einmal lächelte er sogar und sagte, ich sei von großem Nutzen für unsere Familie. Es war das erste Mal, dass er mich als Familie bezeichnete. Ich glaube, er hatte auch Respekt. Er hätte nie erwartet, dass ich mich in so eine Richtung entwickeln würde. Und ich auch nicht.
Ich habe Menschen getötet, ohne darüber nachzudenken wer sie waren, oder ob sie Familie hatten. Es ist widerwärtig das zu sagen, aber damals... hat es mir sogar Spaß gemacht. Ich fühlte mich, als würde ich unseren Familiennamen bereinigen, als würde ich meine Eltern rächen. Aber ich tat genau das Gegenteil.
Viel zu spät habe ich bemerkt, wie falsch das alles war... Wie ich auf einmal ein Mensch war, der ich nie werden wollte. Als hätte ich... keine Seele mehr. Als hätte ich sie mir freiwillig aus meinem Körper gerissen, nur um Macht und Ansehen zu erlangen. Um weder Reue, noch Schmerz zu spüren. Und mein Herz... Ich war auch sicher dabei gewesen, mir das Herz aus dem Leib zu reißen, damit es nicht mehr schmerzte.
Denn die Leere war erschreckend schön. Einfach und leicht. Ohne ein schlechtes Gewissen war es nicht schwer, falsche Entscheidungen zu treffen. Nachdem ich schließlich erkannte, wie sehr ich mich in der Dunkelheit verlaufen hatte, wollte ich mich umbringen. Es wäre fair gewesen, für all die Leben, die ich genommen hatte. Aber ich konnte es nicht. Ich hatte meine Mutter vor Augen, wie sie durch das Feuer ruft, dass sie mich liebt. Und dass ich am Leben bleiben soll."
Dani erschrak sich beinahe, als Tygran ihn wieder ansah, sein Blick voller Qualen und Schmerz."Dani... Denkst du, ich bin ein Monster...?" Er sah beinahe ängstlich aus, als würde er sich vor Danis Antwort fürchten. Dani hatte einen Kloß im Hals, seine Hand löste sich von Tygrans Wange.
"Tygran...", brachte er schließlich hervor und schluckte. Er war sich unsicher, was er sagen sollte. Er hätte wissen müssen, dass Tygran Blut an den Händen kleben hatte. Aber wie viel...
Doch als Dani in sein verängstigtes Gesicht blickte, so viel Reue und Kummer in seinen Augen... War es nicht das Gesicht, das er... liebte? Tygran hatte Fehler gemacht, er hatte falsche Entscheidungen getroffen. Aber in so einer Situation... Dani wusste, ihm wäre genau dasselbe passiert. Er kannte Tygran... Er wusste, dass er keine Wahl gehabt hatte.
"Nein", murmelte er dann und umschloss Tygrans Gesicht mit beiden Händen.
"Du bist kein Monster. Nicht für mich. Du zeigst Reue, du weinst, jede Nacht wirst du mit Albträumen an all das erinnert. So etwas wäre bei einem Monster nicht der Fall. Ich denke... ganz tief in dir drin ist ein gebrochener, kleiner Junge, der den Sinn des Lebens nicht mehr versteht."
Tygrans Augen weiteten sich, als hätte er erwartet, dass Dani ihn wegstoßen würde."Aber ich-..."
"Tygran... Es ist mir egal, was damals passiert ist. Was zählt ist jetzt und ich werde dich nie wieder loslassen, verstanden?" Dani rückte vorsichtig näher, er sah Tygran in die Augen, ohne seinen Blick abzuwenden.
"Dani... Wieso...? Wieso hältst du an mir fest...? Ich habe soetwas nicht verdient..."
"Doch. Doch, das hast du, Tygran", wisperte Dani und legte seine Stirn an seine.
"Und du bist mir wichtig, sehr wichtig sogar..."
"Wieso...?" Tygrans Stimme war nicht mehr als ein raues Kratzen. Dani schloss die Augen und lächelte leicht. Sie waren sich so nah, dass ihre Nasen sich berührten. Er hörte Tygran erschrocken aufatmen, als Dani vorsichtig seine Lippen auf seine legte. Er dachte Tygran würde ihn von sich stoßen, doch er blieb wo er war, wehrte sich nicht.
Der Kuss war unschuldig und sanft, kaum mehr als eine flüchtige Berührung, ein leichter Hauch. Vorsichtig löste sich Dani von ihm, ohne Tygrans Gesicht loszulassen. Und letzterer hatte seine Augen geschlossen. Seine Lider zitterten leicht, doch er sah beinahe so aus, als ob er schlief, als ob er Danis Lippen immer noch auf seinen eigenen spüren konnte.
"Ich habe es nicht verdient geliebt zu werden...", flüsterte er schließlich heiser und streckte eine Hand nach Dani aus. Doch kurz bevor seine Finger Danis Wange berührten, zog er sie zurück.
"Ich habe es nicht verdient... zu lieben..."
"Schhh... Tygran...", flüsterte Dani ruhig und nahm seine Hand, um sie auf seine Wange zu legen.
"Ich habe... keine Seele mehr... Wie soll ich jemals-..."
"Du hast eine Seele", unterbrach Dani ihn sanft.
"Genau hier..." Er legte eine Hand auf die Mitte von Tygrans Brust.
"Du bist der warmherzigste und sanftmütigste Mensch, der mir je begegnet ist. Du hast ein so großes Herz... und eine gute Seele."
"Meinst du das ernst...?", flüsterte Tygran mit großen Augen.
"Es ist mein voller Ernst." Danis Hand verweilte auf Tygrans Brust.
"Kannst du... das nochmal machen...?", fragte Tygran schüchtern.
"Was?" Dani lächelte ihn vorsichtig an.
"Was du vorhin gemacht hast... Als du deine Stirn gegen meine gelegt hast..." Er sah zur Seite, als wäre es ihm unangenehm, sich deutlicher auszudrücken.
"Ich verstehe", lachte Dani leise und näherte sich ihm langsam. Dann schloss er erneut die Augen und küsste Tygrans Lippen.
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Danke für die 4k reads!
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Competitors (BoyxBoy)
RomanceDani, 1,92 Meter groß, fühlt sich neben Tygran auf einmal ganz klein. Der 2,10 Meter große Russe, der trotz seiner Statur unschuldig wie die Jungfrau Maria ist, stellt ein Problem für Dani dar. Nicht nur, dass er alle mit seinem Lächeln dahinschmelz...