Die Straßen voller Blut - Teil I

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Warnung an alle: Das Kapitel könnte eventuell ein paar Trigger enthalten, was die Darstellung von Gewalt und Tod angeht. Wer da also empfindlich ist, sollte ein paar Stellen überspringen. Ansonsten viel Spaß!
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"Es war so kalt, damals..."
Tygran sprach so leise, dass Dani ihn beinahe nicht hörte. Ruhig hielt er ihn in seinen Armen und drückte ihn an sich. Die Kirchenbank wurde mit jedem Moment ungemütlicher, doch das war ihm egal. Dani würde ihn um keinen Preis loslassen. Tygran zitterte, sein Gesicht in Danis Schulter verborgen, als wollte er nicht, dass er ihn so sah.

"Wenn es nicht schneite, war der Boden mit Frost überdeckt. Selbst im Sommer war der Rasen grau und das Wasser im Fluss eiskalt. Ich will nie wieder... nie wieder zurück..." Seine Fäuste umklammerten Danis Jacke. Dani sagte nichts, stattdessen strich er Tygran behutsam über den Kopf.

"Dani... der Grund für all das... für den Tod und das Morden... es war..." Er atmete tief ein, doch seine Stimme zitterte immer noch. Dani wartete ruhig, bis Tygran sich gefasst hatte.

"Mein Urgroßvater... Er war ein Vertrauter Stalins und-... er hat... Er wurde bei der Veruntreuung von Parteigeldern erwischt."

"Was?", flüsterte Dani schockiert.

"Sie haben ihn sofort hingerichtet. Der Rest seiner Familie wurde ins Exil gezwungen, nach Eyik." Langsam löste Tygran sich von ihm und sah ihn an. Er weinte nicht mehr, aber sein Gesicht war blass und seine Augen gerötet.

"Ich war klein, damals. Zu klein, um irgendetwas zu verstehen. Es war das Geld. Es hat alle in den Wahnsinn getrieben. Sie haben es nie gefunden, mein Urgroßvater hatte bis zu seinem Tod nicht verraten, wo es war."
Sein Blick wurde auf einmal glasig.

"Mein Vater hatte es die ganze Zeit über. Ich wusste nie, wie viel es war, doch mein Onkel sagte mir, es wäre genug gewesen, um ganz Eyik aus der Armut zu helfen. Niemand wusste davon, nicht einmal meine Mutter. Eyik ist kein sicherer Ort. Der zweite Weltkrieg, dann das Wettrüsten gegen die Amerikaner... Irgendwann waren alle Ressourcen erschöpft und die Leute hatten weder etwas zu Essen, noch Geld. Und das hat sich bis heute nicht geändert.

Die Bezirksverwaltung hat sich nicht um uns gekümmert, die Handelswege wurden aufgrund der hohen Kriminalität unterbrochen. Wir waren abgeschnitten von der Außenwelt. Es hätte ein Bürgerkrieg stattfinden können, ohne dass es jemand mitbekommt. Und letztendlich... ist genau das passiert..."

"Oh Gott..." Dani sah ihn erschrocken an, doch Tygran starrte durch ihn hindurch. Er nahm vorsichtig seine Hand. Sie war eiskalt.

"Das wäre alles nicht passiert, wenn das Geld versteckt geblieben wäre. Es war ein schlechtes Jahr, wenig Ernte, fast kein Essen. Mein Vater trank viel, er fing an zu prahlen. Wie wohlhabend er doch sein könnte, dass er sich mit seinem Geld gleich mehrere Höfe und Anwesen kaufen könnte. Und dann war es schon zu spät. Die Geschichte über meinen Urgroßvater war kein Geheimnis, und dass das Geld existierte und sogar hier war, auch nicht mehr.

Ich habe von all dem nichts mitbekommen. Mein Vater erkannte seinen Fehler und versteckte das Geld dieselbe Nacht an einem anderen Ort. Doch er hatte die Situation unterschätzt. Ich weiß noch... wie ich am nächsten Morgen aufgewacht bin. Und da habe ich sie gehört. Die Schritte, die Stimmen, das Hämmern an der Tür. Sie haben ihn mitgenommen. Meine Mutter hat sich mit mir im Schrank versteckt, doch ich... ich bin weggelaufen. Den Soldaten hinterher. Ich habe geschrien und geweint, doch niemand hat mich beachtet. Ich war so schwach und so klein für mein Alter..." Tygran lächelte traurig, in seinen Augen sammelten sich erneut Tränen.

"Ich habe zugesehen, wie sie ihn gehängt haben. Er hat nach mir gerufen, bevor sie ihm das Genick gebrochen haben, aber ich konnte ihn nicht verstehen. Die Menge hat gejohlt, niemand hat mich schreien gehört. Der Bürgermeister selbst war da... Er versprach jedem einen Anteil von dem gestohlenen Geld. Und er wollte den Rest meiner Familie für den Verrat töten. Ich bin weggelaufen, ich wollte zu meiner Mutter. Aber... schon von Weitem habe ich es bemerkt... Noch nie zuvor hatte ich so ein riesiges Feuer gesehen. Jemand hatte das Dach unseres Hauses mit Öl übergossen und die Flammen entfacht, es gab keinen Weg hinein. Und dann hörte ich die Schreie meiner Mutter.

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