Competitors (BoyxBoy)

Nicht aus Zucker

Dani hatte für einen Moment Panik, dass er Tygran am Waldrand nicht wiederfinden würde. Doch als das Licht seiner Handytaschenlampe eine auf dem Boden zusammengekauerte Figur erfasste, atmete er erleichtert auf.

"Hey, Tygran!" Schnell kniete Dani sich neben den Körper, der sich unter seiner Jacke zusammengekrümmt hatte.

"Dani...?" Seine Stimme zitterte, als er seinen Kopf drehte und Dani beinahe ungläubig ansah. Als hätte er nicht erwartet, dass er wirklich zurückkommen würde.

"Shhh, siehst du? Ich bin wieder da, es ist nichts passiert", flüsterte Dani und lächelte ihn beruhigend an.

"Mir ist so kalt..." Tygran streckte seine Hand nach ihm aus. Dani rückte näher und legte vorsichtig einen Arm um ihn, während er Tygrans Kopf auf seine Schulter bettete.

"Ist okay, ich hab was zu Essen mit." Dani öffnete die Tüte mit den Brötchen und verfluchte sich dafür nicht etwas Warmes aufgetrieben zu haben. Aber dann hätte Tygran noch länger warten müssen...

"Ich hab keinen Hunger..."

"Das akzeptier ich nicht, du wirst etwas essen!" Dani sah ihn streng an und drückte Tygran ein Brötchen in die Hand.

"Aber-..."

"Stell dich nicht so an, ich habe extra acht gekauft, weil ich davon ausgegangen bin, dass du mindestens fünf isst!"
Tygran machte einen Schmollmund, als er von dem Brötchen zu Dani blickte und wieder zurück. Es war beinahe niedlich.

Und obwohl er behauptet hatte, keinen Hunger zu haben, schaffte Tygran es doch immerhin drei Brötchen zu verdrücken. Für seine Verhältnisse zwar wenig, Dani hatte im Vergleich allerdings auch nur zwei gegessen. Dieser Vielfraß würde noch sein Ende sein...

"Halt das mal", Dani drückte Tygran sein leuchtendes Handy in die Hand, während der Riese immer noch auf seinem Brötchen kaute. Er konnte nur hoffen, dass sein Handyakku nicht allzu schnell schlapp machte, da war die Taschenlampenfunktion natürlich fatal. Aber er konnte Tygran nicht mit einer offenen Kopfwunde schlafen lassen.

"Dreh dich ein bisschen", ordnete Dani an und versuchte den Verband, den er gekauft hatte, vorsichtig um Tygrans Kopf zu wickeln.

"Dani, so macht man das nicht...", murmelte Tygran verwirrt, war aber anscheinend zu ausgelaugt, als dass er etwas dagegen unternehmen konnte.

"Immer noch besser als nichts", grummelte Dani. Er strich Tygrans Haare aus seiner Stirn und schloss die Mullbinde mit einem Knoten.

"Wow, sieht echt scheiße aus...", fügte er dann hinzu und Tygran brummte, als er sich an den Kopf fasste.

"Ist ja auch falsch..." Im Licht der Taschenlampe konnte Dani den leicht schelmischen Ausdruck in seinen Augen sehen.

"Hör auf zu jammern und sei einfach froh, dass ich mir wegen dir die Eier abfriere!" Dani öffnete die Wundsalbe und zog Tygran etwas harsch am Kragen zu sich.

"Was ist das...?"

"Das hilft. Nicht bewegen." Dani beugte sich ihm entgegen und trug die Salbe vorsichtig auf die Schramme an seinem Wangenknochen auf. Tygran verzog das Gesicht, es musste wohl ziemlich brennen.
Sie waren sich auf einmal wieder so nah und Dani wollte seine Hand auf Tygrans Wange legen, doch er hielt sich zurück.

"Wie sieht's mit deinem Rücken aus?", fragte er und Tygran neigte seinen Kopf zur Seite als er Dani von unten ansah.

"Es wird schon gehen...", murmelte er und blickte zu Boden.

"Wenn du mir schon so kommst..." Dani rollte die Augen. Er blies in seine Hände und rieb sie schnell aneinander, damit sie warm wurden, bevor er noch mehr von der Salbe nahm.

"Scheiße...", murmelte Dani, als er dabei war sich Tygrans Rücken anzusehen und dabei den großen dunklen Fleck auf seinem T-Shirt bemerkte.

"Alter, warum hast du nicht gesagt, dass du hier halb verblutest?!" Er griff nach der zweiten Mullbinden-Packung und riss sie auf.

"Aber es ist doch nur-..."

"Hey, halt's Maul! Ich weiß, dass du ein harter Kerl bist!", warnte Dani ihn und hob vorsichtig sein Shirt an, um die Wunde genauer zu betrachten.

"Das mein ich doch gar nicht, es ist-..." Tygran wurde erneut von Dani unterbrochen, der ihn mahnend ansah.

"Nur weil sich noch nie jemand richtig um dich gekümmert hat, heißt das nicht, dass du es nicht verdienst!", grummelte er. Ohne aufzublicken spürte er, wie Tygrans Blick an ihm hing. Genau der gleiche, nachdem er realisiert hatte, dass Dani ihn nicht zurücklassen würde.

"Deine Hände sind immer noch kalt." Er zuckte zusammen, als Danis leicht gefrorene Finger seine Haut berührten.

"Das mit dem harten Kerl nehme ich dann zurück..." Er hob neckend eine Augenbraue und verknotete den Verband erneut.

"Du weißt nicht wirklich was Erste Hilfe ist, oder...?", fragte Tygran mit einem Blick auf seinen von Dani verarzteten Oberkörper.

"Ähh... Viel hilft viel?" Er zuckte mit den Schultern und rieb die Salbe an seinem Finger auf Tygrans Prellung unterhalb seiner Brust. Er zitterte leicht vor Kälte und Dani zog seine Hände schnell wieder zurück.

"Sag mal, hilft das Zeug wirklich gegen blaue Flecken?", fragte Tygran verwundert.

"Uhhh... Naja, für irgendwas muss das ja gut sein..." Dani beobachtete, wie Tygran selbst nach der Tube griff. Hatte er eine Verletzung übersehen?

Umso überraschter war er, als der Größere auf einmal näher rückte. Sein Herz machte einen gewaltigen Hüpfer, als Tygran mit konzentriertem Gesichtsausdruck die Salbe auf seinen Hals auftrug. Dani war nicht wirklich in der Lage ihm zu sagen, dass das wahrscheinlich nichts half, denn momentan stockte ihm der Atem und dieses eigenartige Kribbeln breitete sich in seinem Bauch aus.

Tygrans Finger waren warm und vorsichtig, als ob er extra aufpassen würde, Dani unter keinen Umständen weh zu tun. Er schluckte, als die rauen Finger über seine Haut strichen. Wie konnte Tygran mit seinen großen Händen so sanft sein? Und warum fühlte Dani sich auf einmal so leicht...?

"Tschuldigung noch mal...", murmelte er und sah Dani an wie ein getretener Welpe. Scheiße... Dani wollte ihn umarmen und nie wieder loslassen.

"I-Ist schon okay, ich bin ja nicht aus Zucker...", grummelte er.

"Du bist nicht aus Zucker...?" Tygran blinzelte verwirrt.

"Ugh, das heißt, dass man nicht so zerbrechlich ist!"

"Aber Zucker besteht doch aus Körnern..."
Dani seufzte laut, da musste er wohl aufgeben.

"Warte!" Tygran nahm ihn am Arm und Dani zuckte, als seine Haut anfing zu Kribbeln.

"Man kann Zuckerwürfel zerbrechen, oder? Sind damit Zuckerwürfel gemeint??"
Die Art wie er das Wort Zuckerwürfel aussprach brachte Dani zum Prusten.

"Sag Zuckerwürfel mal ganz oft hintereinander", lachte er.

"Hm? Zuckerwürfel, Zuckerwürfel, Zurw-... Du bist gemein...", schmollte Tygran, als er sich aufgrund seines Akzentes sofort verhaspelte.

"Außerdem habe ich jetzt Hunger auf Zuckerwürfel..." Er drehte sich weg und verschränkte die Arme.

"Awww, nein", lachte Dani und wuschelte durch seine Haare. Es fühlte sich so richtig an.

"Morgen kaufen wir dir was Süßes, okay?"
Obwohl es wahrscheinlich nichts Süßeres gab als Tygran selbst. Gott, wie kitschig er sich anhörte... Aber irgendwie schlug sein Herz so schnell, dass es ihn nicht wirklich störte.