Tag 1 Teil 1

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Wir kennen uns jetzt seit ein paar Monaten. Ich bin jünger als er, aber das macht mir nichts aus. Ich meine, mein Vater ist auch älter als meine Mutter und generell ist es doch nicht schlimm wenn man auf ältere steht. Es geht mir ja auch um seinen Charakter und nicht nur um seinen Körper oder so. Klar habe ich ihn schon mal gesehen. Auch schon mal oberkörperfrei. Aber ich mag einfach seine Art.

Meine Freunde sagen zwar unsere Beziehung ist ungesund und dass ich nicht mit ihm zusammen kommen sollte, aber ich mag ihn halt echt gerne und ich will ihn näher kennenlernen. Deswegen habe ich mich entschlossen zu ihm zu fahren. Meinen Eltern habe ich erzählt, ich würde eine Freundin besuchen. Sie würden es nicht verstehen dass ich in meinem Alter schon einen Freund habe. Und vor allem, wenn er älter ist als ich.

Mein Vater zum Beispiel will nicht, dass ich vor der Ehe Geschlechtsverkehr habe. Ich meine, nicht dass das jetzt mein Plan wäre, aber es ist schon irgendwie hart von ihm so etwas zu verlangen. Generell finde ich meine Eltern zu streng. Die meisten Sachen verbieten sie mir und auch wenn sie sagen, dass sie nur das Beste für mich wollen, denke ich manchmal dass sie doch gar nicht wissen was das Beste für mich ist. Vielleicht ist es auch irgendwo meine Schuld, weil ich mich zu oft füge damit sie nicht wütend werden. Sie streiten oft und ich will ihnen nicht noch mehr Ärger verursachen und vor allem will ich dass sie aufhören zu streiten, auch wenn ich dann darunter leiden muss. Ich koche schon meistens und kümmere mich um meinen kleinen Bruder, weil meine Mutter sich nicht um uns kümmert. Ich wünschte mir einfach wir wären eine glückliche Familie, aber scheinbar ist das zu viel verlangt. Trotzdem bin ich froh für ein paar Tage endlich mal meine Ruhe zu haben.

Es war zwar schwer sie zu überzeugen so eine lange Fahrt alleine zu unternehmen, aber irgendwie habe ich es geschafft, auch wenn ich sie dafür anlügen musste. Eins ist allerdings klar. Wenn sie dahinter kommen, bin ich so gut wie tot.Wir sind bereits am Bahnhof und irgendwie tut es mir nun schon leid. Vor allem für mein Bruder, der das alles jetzt alleine aushalten muss. Aber ich weiß dass er das schafft. Er ist stark und außerdem muss er auch mal lernen auf eigenen Beinen zu stehen. Ich weiß nicht inwiefern ich meine Eltern vermissen werde, aber etwas Angst habe ich schon. Trotzdem weiß ich, dass ich diesen Schritt gehen muss. Ich kann jetzt nicht einfach einen Rückzieher machen.

Ich schaue noch ein letztes Mal zu meinen Eltern und meinem kleinen Bruder. Du schaffst das schon, sage ich zu ihm ohne einen Laut hervorzubringen. Die Tür schließt sich und der Zug setzt sich langsam in Bewegung. Ich sehe meine Eltern mir noch hinterher winken und schon sind sie in der Ferne verschwunden. Ich reiße mich aus meiner Starre und suche mir erst mal einen Platz. Es ist genug frei im Zug, also setze ich mich abseits der Menschen auf einen Platz an der Fensterseite. Ich stelle meinen Koffer auf den anderen Sitz, damit sich keiner neben mich setzen kann und hole meine Kopfhörer raus. Während ich aus dem Fenster schaue denke ich wieder nach.

War es wirklich so schlau zu ihm zu fahren? Ich hasse es so viel nachdenken zu müssen, aber ich kann nicht anders. Was wenn mein Bruder es doch nicht schafft? Ich versuche die Gedanken abzuschütteln und mache ein neues Lied an. Trotzdem kommt es mir irgendwie suspekt vor zu jemandem zu fahren, den ich noch nie in Person getroffen habe und irgendwie macht es mir immer noch etwas Angst. Ich versuche mich zu entspannen und drehe die Musik etwas leiser. Vielleicht kann ich ja doch etwas schlafen...

Ein paar Stunden später wache ich auf. Ich habe mir zwar einen Wecker gestellt damit ich nicht den Umstieg verpasse, aber scheinbar hat es mein Körper von alleine gemerkt. Noch zwei Haltestellen. Zum Glück muss ich nur einmal umsteigen, denke ich mir. Ich hasse es umzusteigen, weil ich immer Angst habe dass etwas schiefläuft. Es ist zwar noch nie etwas passiert, aber ich wüsste nicht was ich tun soll wenn es mal so kommt. Ich will keine extra Stunde oder mehr auf meinen nächsten Zug warten. Ich hasse Menschenmengen und der Bahnhof ist das perfekte Beispiel dafür.

Ein letzter Blick auf die Anzeigetafel. Eine Station noch. Ich packe meine Sachen und gehe schon mal zur Tür. Gleis 2 sage ich immer wieder zu mir, damit ich es nicht vergesse. Die Tür geht auf und ich steige aus. Glücklicherweise ist es kein großer Bahnhof, sodass ich schnell weiß wo ich hin muss. Während ich auf meinen Zug warte, fange ich wieder an nachzudenken.

Ist er wirklich so nett wie er immer schien? Ich habe Angst dass mir etwas passiert, vor allem weil keiner weiß wo ich wirklich bin. Vielleicht verstehen wir uns auf einmal doch nicht so gut. Ich verwerfe den Gedanken schnell wieder und schaue wie lange der Zug noch braucht. Zwei Minuten.

Die zweite Fahrt ist nicht so lang wie die erste, was es deutlich angenehmer macht. Wahrscheinlich könnte ich vor Aufregung eh nicht schlafen. Ich merke auf einmal, wie es anfängt zu regnen. Die Wolken haben sich zusammen gezogen und es wird wohl fürs Erste nicht so schnell aufhören. Endlich kommt der Zug an und zu meiner Erleichterung ist auch dieser relativ leer.

Nach ein paar Stationen stelle ich den Koffer sogar auf den Boden, da sich wahrscheinlich eh keiner neben mich setzten wird. Ich suche mir ein gutes Lied raus und schaue wieder aus dem Fenster. Mittlerweile hat es angefangen stärker zu regnen und die Regentropfen prallen auf die Scheibe. Während ich dem Regen zuschaue, fällt mir auf, wie weit ich schon von Zuhause weg bin. Ob es meinem Bruder wohl gut geht? So weit weg von meiner Familie jagt es mir doch irgendwie Angst ein, aber ich freue mich auch darauf etwas Neues auszuprobieren.

Noch acht Stationen. Irgendwie kommen so langsam die Nerven. Ich weiß gar nicht warum ich so aufgeregt bin. Eigentlich ist es doch alles gut. Ich werde ankommen und wir werden etwas unternehmen. Wir werden uns besser kennenlernen und vielleicht sogar gut verstehen. Und dann werde ich nach einer Woche wieder nach Hause fahren. Trotzdem bin ich irgendwie aufgeregt. Ich will ihn ja schließlich auch treffen. Wir haben uns online zwar gut verstanden, aber vielleicht kommen wir ja in Person nicht so gut klar. Ich will ihm ja irgendwo auch gefallen, weil er mir ja auch gefällt. Warum mache ich mir eigentlich so viele Gedanken?

Fünf Stationen noch. Mein Herz fängt auf einmal an stärker zu schlagen. Liegt es an meiner Angst vor Menschen? Aber ich kenne ihn doch schon länger und habe auch kein Problem mit ihm zu reden. Oder ist es dann vielleicht doch wieder etwas anderes?

Vier Stationen noch. Nein, da ist noch was anderes was mein Herz so schnell schlagen lässt, aber ich weiß nicht was. Ich kann es mir wirklich nicht erklären.

Drei Stationen noch. Mein Herz fängt immer schneller an zu schlagen. Warum passiert das mit mir. Es ist, als wenn ich irgendwas um mich herum spüre. Es bedrängt mich und schnürt mir die Luft ab.

Zwei Stationen noch. Es regnet immer stärker. Ich versuche mich etwas zu beruhigen indem ich dem Regen zuschaue.

Eine Station noch. Ich nehme meinen Koffer und begebe mich zur Tür. In dem Moment wo die Tür aufgeht fallen Sonnenstrahlen in mein Gesicht und ich steige aus dem Zug. Ab hier fängt ein neues Kapitel in meinem Leben an und ich bin gespannt was mich erwartet...

Slave in 7 DaysWo Geschichten leben. Entdecke jetzt