'Survival of the most adaptels individuels'

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Winter:

Wie überlebten die Tiere in der Wildnis? Mein alter Biolehrer würde nun die Brust rausstrecken und mit dröhnender Stimme behaupten ‚Survival oft the fittest'. Doch damit hatte er genauso wenig im Studium aufgepasst, wie die Schüler in seinem Unterricht.

Denn würde man Darwins Theorie genau nehmen, hieße es ‚Survival of the most adaptels individuels', denn nicht nur der Tiger mit den schärfsten Krallen musste überleben, sondern auch die armen Schlucker, die nicht gerade zu den gefährlichsten Raubtieren zählten. Und das schafften sie mit Anpassung.

Das Fell des Schneehasen war genauso weiß, wie der Schnee, manche Insekten wurden zu Wandelnden Blättern und das Chamäleon wechselte mal eben seine Farbe.

Und so albern das klang, ich war auch nur einer dieser armen Schlucker inmitten des Betondschungels von LA. Deswegen hatte ich die Kapuze weit ins Gesicht gezogen und tat alles, außer auffallen, während ich durch die Straßen von LAs Getto lief.

Nolan, der Barbesitzer, hatte mich vor zehn Minuten nach Hause geschickt. Er war ein Mann vom alten Schlag, wie mein Vater es nannte, mit noch ein bisschen Ehrgefühl im Herzen an einem Ort, wo Drogen und Geld die Ehre schon längst vertrieben hatten.

Nur die Familienehre gab es hier noch, sie trieb Jugendliche in Gangs (Dein Vater war bei den Crips, dann bist du es auch. So etwas liegt im Blut.), und Gangmitglieder zu Morden (Du hast meinen Bruder umgelegt, dann knall ich dich ab.)

Und genau aus diesem Grund war ich froh, dass meine Familienehre mich und mein Leben bis jetzt noch nicht eingefordert hatte. Meine Eltern waren beide aus Chicago hergezogen und arbeiteten sich in Doppelschichten zu Tode, statt auf das schnelle Geld zu setzen und mein Bruder...

Der hatte zwar ein Angebot von den Bloods bekommen, es aber abgelehnt.

Als er älter wurde, hatte er sich immer wieder auf Prügeleien eingelassen und wenn man bedachte, wie oft er gewann, war das steigende Interesse der Gangs nicht überraschend. Kai hatte sogar überlegt anzunehmen, aber einen Tag später hing die Leiche eines jungen Gangmitglieds am Basketballkorb. Gerüchten zufolge hatte er sich geweigert die Vergewaltigung eines Mädchens zu filmen.

Kai hatte also abgelehnt und war am nächsten Tag verprügelt worden. Doch ein zugeschwollenes Auge und drei gebrochene Rippen waren ein kleiner Preis dafür, dass Kai in Zukunft in Ruhe gelassen wurde.

Ich schnaubte, während ich an einem verlassenen Spielplatz vorbeiging. Aus einer Ecke hörte ich Kichern und die schmatzenden Geräusche zweier Menschen, die sich von der Party gegenüber weggeschlichen hatten, um ihren eigenen Spaß zu haben.

Als ich zuhause ankam, begrüßte mich der typische Geruch von Marihuana und Verzweiflung. Keine Ahnung, wie genau man Verzweiflung riechen konnte, aber das war es nun mal, was die Luft des Mehrfamilienhauses förmlich zu verpesten schien.

Unsere Wohnung lag im vierten Stock und auch wenn der Fahrstuhl ruckelte und besorgniserregende Geräusche von sich gab, war er immer noch die bessere Wahl als das Treppenhaus, in dem gekifft und abgehangen wurde.

Ich kramte nach meinem Schlüssel, schloss die Wohnungstür auf und wollte gerade in meinem Zimmer verschwinden, als mir eine Gestalt in der Küche auffiel.

„Tayo.", drang die dunkle Stimme meines Vaters an mein Ohr. Bevor er gesprochen hatte, hatte ich für einen kleinen irrealen Moment geglaubt, es wäre mein Bruder, der dort zusammengekauert am Küchentisch saß.

Ich zog mir meine Kapuze vom Kopf, bevor ich in die Küche trat.

„Ja?"

„Warum tust du das?", fragte er und erst jetzt bemerkte ich die Flasche in seiner Hand, die er eng umklammert hielt.

All girls, except one, grow upWo Geschichten leben. Entdecke jetzt