Nie mehr Moptop

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Winter:

Marco saß alleine an einem Tisch in der Ecke der Kantine. Er hatte sich über sein Handy gebeugt, in der Hand hielt er ein Käsebrot und neben ihm lag eine zusammengeknüllte Papiertüte. Ich wusste, dass auf dem Käsebrot zwei kleine Scheiben Tomaten und eine Scheibe Schinken lagen- aber ohne Butter – und ich wusste auch, dass auf der zusammengeknüllten Papiertüte ein kleines Herz mit seinem Namen geschrieben war. Nicht, weil ich ihn permanent stalkte, sondern ganz einfach weil ich die Pausen der letzten Wochen mit ihm verbracht hatte und mir dadurch zwangsläufig einige Sachen aufgefallen waren.

Er hasste Butter, weil er der Meinung war, dass gelbe Schmiere aus dem Euter einer Kuh nicht auf Brot gehört, und er versuchte seit Jahren seine Grammy zu überzeugen, die Herzen sein zu lassen, aber sie weigerte sich und so errötete er jedes Mal, wenn er die Brottüte sah und zerknüllte sie, bevor ein Zweiter einen Blick darauf werfen konnte.

Und gleichzeitig war er der Typ, der Liam vor der gesamten Schule bloßgestellt hatte. Schnell verscheuchte ich diesen Gedanken und setzte mich in Bewegung. Ich zwang mich aufzuhören, mir über eine Schulschließung Sorgen zu machen oder von Madisons Kuss zu träumen und konzentrierte mich stattdessen auf das, was ich vorhatte.

Als ich mich Marco gegenüber setzte, blickte er kurz auf, bevor er sich wieder seinem Handy zuwandte. Dennoch merkte ich, wie er sich anspannte und er schien eher auf das Handy zu gucken, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte, als dass es ihn wirklich interessierte. Vor allem weil gerade eine Tampon Werbung sein Video unterbrochen hatte.

„In der Junior-High habe ich mal drei Jungs verpetzt. Sie haben in einem Test beschissen, nichts Schlimmes, aber ich fand es unfair. Also bin ich zum Lehrer hingegangen und habe sie verpetzt. Dass das eine beschissene Aktion war, habe ich spätestens dann gelernt, als die drei mich auf dem Nachhauseweg verprügelt haben. Der eine hatte Eisenkuppen an seinen Schuhen und ... aber darum geht es hier gar nicht. Eigentlich wollte ich nur sagen, dass jeder mal Scheiße baut und es nicht mein Recht ist, mich in deine Angelegenheiten einzumischen."

Die letzten zwei Stunden hatte ich lange darüber nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass ich überreagiert hatte. Ich war damals nicht dabei gewesen und war es nicht auch Marcos journalistische Pflicht alles ans Licht zu bringen? Wahrscheinlich nicht, aber ich redete mir lieber eine Lüge ein, als den einzigen Freund zu verlieren, den ich innerhalb von 10 Jahren kennengelernt hatte.

Marco hob seinen Blick.

„Ich habe den Artikel nicht geschrieben.", sagte er und ich zog die Stirn in Falten.

„Aber er stand auf der Hemingway High digital together. Deiner Homepage."

„Ich habe den Artikel hochgeladen, ich habe all das zugelassen und ich weiß, dass macht es nicht besser, aber ich habe ihn nicht geschrieben."

Er seufzte und verbarg sein Gesicht in seinen Händen.

„Fuck, Tayo. Ich habe so gehofft nie wieder darüber nachdenken zu müssen.", er hob seinen Kopf und versuchte sich an einem schiefen Grinsen, „Aber du wirst nicht locker lassen oder? Eigentlich eine Eigenschaft, die ich schätze, grenzt schließlich an journalistischer Neugierde, aber ... es ist kompliziert."

Ich zuckte mit den Schultern.

„Wenn du so darauf bestehst, es zu erzählen.", sagte ich und Marco zeigte mir den Mittelfinger. Ich lachte und die Spannung zwischen uns löste sich auf, als wäre sie nie dagewesen. Und schon waren wir wieder die zwei Freaks, die zusammen in die Schule eingebrochen waren. Ich zog auch mein Essen aus dem Rucksack; hin und wieder holte ich mir auch etwas von der Kantinenküche, aber meistens gab mein Portemonnaie nicht mehr her als einen halben Schokoriegel. Ich biss von meinem Apfel ab und blickte wieder zu Marco.

All girls, except one, grow upWo Geschichten leben. Entdecke jetzt