Mein Bruder und ich

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Die Treppenstufe waren kalt, der Flur trist grau und aus den unteren Stockwerken drang Geschrei nach oben. Insgesamt konnte man sagen, dass das Hochhaus an der Küste in Malibu ziemlich heruntergekommen war, doch das hielt mich nicht davon ab nun schon seit einer Stunde auf den kalten Treppenstufen vor Kais Wohnung auf ihn zu warten. Wenn es sein musste, würde ich hier bis in die Nacht sitzen.

Als wir nach eineinhalb Stunden Autofahrt in Malibu angekommen waren, war ich direkt zu Malibu-Luca gefahren. Ich verfluchte mich selber, dass ich nicht schon früher daran gedachte.

Erst war er meinen Fragen ausgewichen. Genauso wie er vor wenigen Monaten auch den Fragen meiner Mutter ausgewichen war, als diese ihn nach Kais Verschwinden angerufen hatte. Sie hatte ihn angefleht, Kai zu finden, doch Luca und Kai waren seit ihrer Kindheit befreundet und nicht mal die Tränen einer verzweifelten Mutter hatten ihn seinen Freund verraten lassen.

Doch ich hatte nicht nachgelassen, selbst als er versucht hatte Madison und mich aus seinem Apartment zu werfen. Erst nachdem Madison eingeschritten war, ihn mit einem eiskalten Blick fixiert hatte, hatte er uns das Versprechen abgerungen, es nicht meinen Eltern zu erzählen und uns die Adresse zu Kais Wohnung genannt.

„Du musst mir eines versprechen.", sagte Madison und ich blickte auf. Die gesamte Fahrt lang hatten wir kaum ein Wort gewechselt, auch wenn sie des Öfteren versucht hatte ein Gespräch zu starten. Ich war einfach viel zu sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt.

„Wenn das hier vorbei ist, egal was Kai gleich sagen wird, musst du damit aufhören.", sie seufzte, „Das ist Sache der Polizei und es macht dich nur kaputt. Ich möchte dich nicht verlieren."

Sie starrte zu Boden, unfähig mir in die Augen zu sehen. Ich rückte näher und drehte ihren Kopf mit den Fingerspitzen sanft in meine Richtung.

„Nur noch 26 Stunden und 34 Minuten.", sagte ich und sie legte verwirrt den Kopf schräg. Ich lächelte. „Nur noch 26 Stunden und 34 Minuten bis zu unserem Date, Madison." Denn auch wenn mein Bruder durch meine Gedanken spukte und der Mord an Courtney mir noch in den Knochen steckte, konnte ich einfach nicht aufhören die Stunden und Minuten bis zu unserem Date zuzählen. Sie lächelte und lehnte sich vor, um mich zu küssen. Ihr Kuss war federleicht und warm, wie eine Sommerbrise an einem kalten Wintertag.

Ein Knall ließ uns auseinanderfahren. Am Treppenabsatz stand mein Bruder, seine Einkäufe fielen noch immer mit lautem Scheppern das Treppenhaus herunter. Doch Kai starrte mich nur mit aufgerissenen Augen an.

„Tayo.", hauchte er, dann kam Bewegung in seinen Körper. Er sprintete die restlichen Stufen hinauf und zog mich in eine stürmische Umarmung. Überrumpelt legte ich auch meine Arme um seinen Körper.

„Ich habe dich vermisst.", sagte er, als er sich wieder von mir löste. Fast schien er selbst überrascht von seinen Worten, doch dann schweifte sein Blick zu Madison und sie nickten sich kurz zu, bevor er seinen Einkauf bemerkte, der sich im Treppenhaus verteilt hatte.

„Wartet eine Sekunde.", murmelte er und sammelte mit fahrigen Bewegungen die Packungen mit Fertigsuppe, Dosenbohnen und anderen Lebensmitteln ein. Alle ziemlich ungesund, dafür aber günstig.

Dann trat er wieder zu uns und schloss die Tür auf. Immer wieder schweifte sein Blick zu mir, als könnte er gar nicht glauben, dass ich hier vor ihm stand. Seine Wohnung bestand aus zwei Räumen. Ein Bad und eine Küche in deren Ecke ein Bett stand.

In der Spüle lag noch dreckiges Geschirr und er räumte schnell die T-Shirts und Hosen weg, damit wir uns an den kleinen Tisch in der Mitte des Raumes setzen konnten.

„Ich weiß, es ist nicht besonders groß. Oder aufgeräumt.", murmelte er und blickte wieder zu mir. Seine Dreadlocks waren etwas rausgewachsen, als hätte er vergessen sie nachzufilzen, aber immer wenn er zu mir blickte, lächelte er. Als würde er sich wirklich freuen mich zu sehen.

All girls, except one, grow upWo Geschichten leben. Entdecke jetzt