Kapitel 6

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„Thea", rief er, „Thea, bitte!" und rüttelte mich an der Schulter. Mein Körper begann zu zucken und ich hob meine Lider an, die im Moment so schwer waren, als hingen Gewichte daran. „Thea?", rief Vadim noch einmal. Ich sah zunächst etwas verschwommen und in meinem Kopf wirbelten die Gedanken nur so herum. Benommen richtete ich mich auf und Vadim legte eine seiner riesigen, aber dennoch sanften Pranken hinter mich, um mich zu stützen. „Wie geht es dir?" „Noch etwas benebelt, aber ansonsten okay!", murmelte ich matt.
"Wo er jetzt wohl sein mag?", wunderte ich mich. „Diamond?", fragte Vadim stirnrunzelnd. Ich nickte. „Eigentlich müsste ich oben, an deiner Wohnung am Loch sein, um Lacata zu schützen!" „Ja und?" „Ich habe mit Amica getauscht, um wenigstens ein paar Stunden hier sein zu können!", wiegte er den Kopf. „Aber ist sie nicht zu schwach, um überhaupt kämpfen zu können? Ich meine, falls etwas passieren sollte?", fragte ich nach.
„Ja, schon! Aber immerhin haben wir jetzt Zeit zusammen!", meinte er mit einem gequälten Lächeln, welches vermuten ließ, dass er nicht hundertprozentig froh über den Deal mit seiner Schwester war. „Aber in genau den paar Stunden kann etwas passieren!", schrie ich frustriert auf. Ich merkte, wie sich Vadims Herz in Rage schlug.
Denn obwohl er eigentlich schon tot war, schlug sein Herz noch. Es war eine Angewohnheit dieser besonderen Gattung der Vampire.

Sie gehörten nämlich zum Clan der Humanvampires, also zu den Vampiren, die sich teils noch wie Menschen benahmen und auch unter Menschen kaum auffielen. Somit stellten sie für die Menschen keine Gefahr dar. Sie saugten sie ja auch nicht aus, sondern jagten, zu deren Schutz, Tiere.

„Ich weiß!", rief Vadim ärgerlich, „aber wenn wir jetzt aufgeben und uns verstecken, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass wir von seinem Angriff überrascht werden, als wenn ich zwei Stunden bei dir bleibe und Amica wacht. Außerdem ist mein Onkel Vlad III. noch am Stadttor und hält Wache", fügte er aufgebracht hinzu, sodass ich mich noch leicht ärgerte, ehe ich mich beruhigte. „Du hast ja Recht", murmelte ich. Er seufzte und nahm mich in seine Arme. Nach einigen Minuten stand ich auf und zog mich an. Mein bleiches Shirt mit „I love Vampires" und die hellblaue Jeans.
Dazu die braunen Lederstiefel und den silbernen Gürtel. Zum Schluss warf ich mir die rote Strickjacke über und ging ins Badezimmer nebenan. Dort band ich meine wilden, braunen Haare mit einem blauen Haarband zu einem Pferdeschwanz zusammen und ging auf die Toilette. Danach kehrte ich zu Vadim zurück und stutzte, als er mich fragend ansah. Ich begriff erst nach genau zehn Sekunden: „Ach so! Ich will mit dir mitkommen!", meinte ich und warf mit Schwung meine dichte Mähne, die nun gezähmt worden war, nach hinten. „Aber...", warf er ein und ich legte ihm einen Zeigefinger an die Lippen.

„Du kannst mich ja im Notfall beschützen!", legte ich sanft nach, als er stirnrunzelnd meinte: „Was ist, wenn Diamond auftaucht?" „Du hast doch selbst gesagt, dass was passieren kann und es keinen Sinn macht sich zu verstecken!", meinte ich. „Ja stimmt!" „Na gut!", sagte er nach einigem Überlegen mit einem Grinsen. „Aber bleib bei mir, verstanden?", sagte er beschwörend und ich verdrehte die Augen! Ich war doch kein Baby mehr.

Aber gut! Endlich konnte ich raus hier.
Also ging ich mit ihm. Wir waren fast am Stadttor, als uns Vlad III. begegnete und sagte: „Ich hab euch gesehen. Wo willst du denn mit ...", er zeigte auf mich, „... ihr hin?" „Sie will mit Wache halten. Oben", erklärte Vadim ihm, legte seine Hand auf meine linke Schulter und schob mich an seinem Onkel vorbei. „Sie will weg hier!", bekräftigte er. „Hmmmm...", brummte der alte Mann und ließ uns passieren.
So standen wir also am Tor.
„Wie kommen wir denn in meine Welt?", fragte ich und sah mich um, „hier ist doch kein Loch wie drüben!" Ich zeigte vage in eine Richtung.
„Da hast du Recht. Sobald wir allerdings hierdurch sind, beginnt deine Welt und unsere endet hier. Also die der Menschen beginnt und die der Vampire endet", erklärte er ausführlich, mit einem breiten Grinsen.

Beeindruckend.

„Merkt man gar nicht, wenn man durchsieht!", meinte ich.

„Genau, das ist der Trick. Umgekehrt natürlich genauso. Die Menschen wissen nicht, dass hier die Vampirstadt liegt".

„Ok, aber was sieht man denn jetzt statt eines Torbogens?", wollte ich wissen.

„Probier's aus", lachte er und zog mich rasch durch den eisernen Bogen. Ich schüttelte den Kopf und folgte ihm, bevor ich noch hinfiel.

Auf der anderen Seite empfing uns eine Telefonzelle. Ja wirklich.
Rot und groß und eng. So wie die zahlreichen Zellen hier in London. Sie sah von außen so ziemlich normal aus. Erst im Nachhinein, merkte man, dass sie was Besonderes war. Wir klappten die Tür auf und stiegen in die warme Mittagssonne, trotz des eher kalten Novemberwetters. Ich sah mich um. Menschen liefen geschäftig hin und her und die Autos auf der Hauptstraße hupten, als ginge es um ihr Leben. Die Abgase stanken. Ich ließ die Strickjacke an und hakte mich bei meinem Partner in die Armbeuge ein. Er hielt sich einen Arm vors Gesicht, denn die Sonne tat seiner Haut nicht besonders gut. Es wehte, trotz der Wärme, ein leichtes Lüftchen, worüber ich froh war. Vadim zeigte nun auf ein Schild an der Zelle: „Betreten verboten! Lebensgefährlich und baufällig! Gez. Stadtregierung London." „Aha!", machte ich. Er grinste. So gingen wir entlang.
Tja, wenn die Leute hier wüssten, was das Geheimnis dieser Zelle war!
Ich bewunderte die Landschaft und dachte nach, als Vadim, ohne jegliche Vorwarnung...
„In Deckung!" rief und mich auf die Seite riss. Ich schlug beinahe mit dem Kopf auf dem Pflaster auf, doch mein Freund hielt mich rechtzeitig auf. „Hinter die Mülltonne!", befahl er und zeigte auf die Hauswand in der Nähe. Ich sprang hinter den Müllcontainer und zwängte mich weiter nach hinten, zwischen Wand und Tonne.

Es roch nicht so, wie ich es aus meinen Verhältnissen kannte. Vielleicht lag es daran, dass ich fast täglich den Biomüll entsorgte und nicht erst nach ein paar Tagen. Zudem blieb meine Biotonne immer geschlossen, was man von diesem Container jedenfalls nicht behaupten konnte. Die Mülltonne hier war so weit offen, dass man etliche Essensreste schimmeln sah und es schwirrten bereits Fliegen umher. Ich begann mich zur Hauswand zu drehen, um dem Gestank zu entgehen, da musste ich auch schon würgen. S

Schnell presste ich meine Handfläche auf meinen Mund und sah um die Ecke. Vadim redete energisch auf eine Person ein, die komplett verhüllt war. Ich sah flüchtig auf den Hals, der kurzzeitig zu sehen war. Dort prangte eine Tätowierung: klein, aber erkennbar, blitzförmig und außenherum - ein Kreis. „Diamond!", flüsterte ich. Verschreckt zog ich mein Handy hervor, wählte die Kameraeinstellung und zögerte, bevor ich abdrückte. Was, wenn er es merkte? Doch mutig drückte ich ab. „Klick!", machte es. Mir stockte der Atem. Ich hielt die Luft an, als Diamond das Geräusch einfach ignorierte und stattdessen das erste Mal hörbar sprach: „Wo ist sie?" „Ich werde nicht zulassen, dass du ihr auch nur ein Haar krümmst!", entgegnete mein Partner unbeeindruckt und fuhr sich gelassen durch die Haare. Dabei blickte er ihn leicht rotwerdend an. „Mein Beschützer", dachte ich und lächelte versonnen, obwohl die Situation weniger toll war. Was fiel Diamond denn eigentlich ein? Weder kannte ich ihn, noch hatte ich ihm jemals etwas getan. „Wie auch immer! Ob du dich nun gegen mich stellst, oder nicht, wir hatten eine Abmachung, Bruderherz!", zischte Diamond. Das letzte Wort sprach er eher kalt und unbarmherzig aus. Er spuckte abfällig auf den Boden, wobei Vadim zuckte und den Kopf schüttelte.

Ich verzog die Mundwinkel und wartete gespannt auf die nächste Reaktion der Beiden. Was beide wohl tun werden?

The secret of... the bloody rageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt