Kapitel 16

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Mittlerweile flog ich vorsichtiger umher. Nicht, weil ich Angst hatte, Wayne ins Gesicht zu sehen, sondern weil ich nicht von einem seiner Wachen erwischt werden möchte, die er überall als Spitzel aufgestellt hatte. Doch genau von denen keine Spur. Also setzte ich zur Landung an. Es war bereits 06:04 Uhr, als ich endlich das schmiedeeiserne fast überwucherte Tor zu Waynes Anwesen fand.
Dieses war zwischen hohen, sich windenden Bäumen und Ästen zu finden. Ich dachte nach, bevor ich meine Füße endgültig auf die „heilige" Erde setzte. Warum kam ich mit dem Wissen hierher, dass ich Wayne weit oben auf meiner Verdächtigenliste gesetzt hatte? Warum war sich auch Diamond sicher, dass man ihn zumindest genauer inspizieren sollte?
Auch wenn mir das fragwürdig vorkam, wäre es keine schlechte Idee mal nach unserem Onkel zu sehen, nicht auch zuletzt wegen der Sache mit seiner Frau und meinem Vater, weshalb ich seit Jahren wenig Kontakt zu ihm besaß, weil ich ihn schon immer merkwürdig fand und er sich oft von uns distanziert hatte. Bis gestern wusste ich dafür noch nicht mal den Grund, heute schon.

Ich kam also sanft auf der Erde auf und mein Blick huschte vorsichtig umher. Nichts war ungewöhnlich. Meine bestiefelten Füße sanken förmlich im immergrünen Moos ein, auf welchem ich die letzten Schritte zum Portal ging. Ich pochte an das schwere Eisen. Es rührte sich nichts. Da bemerkte ich einen minimalen Spalt zwischen den einzelnen Türen. Ich sah mich flüchtig um und verschwand auf den prächtig sandfarbenen, von Statuen umgebenen Vorplatz zu Waynes Anwesen. Es war atemberaubend. So frei, aber irgendwie beängstigend, beinahe so unwirklich. Es schien so, als würde ich, wenn ich auch nur ansatzweise etwas berührte, mit einem Fluch belegt.

Ich schaute den mächtigen Adler an, der in der Mitte des Platzes auf einem marmornen Sockel stand. Ein Medaillon mit einem Kreis zierte seinen Hals. Im Kreisinneren erstrahlte ein prunkvoller Stern in dunkler Bronze, dessen Zacken das Kreisäußere antippten. Etwas Übernatürliches ging von dieser Statue aus. Aus seinem Schnabel floss kristallklares Wasser. Erst jetzt bemerkte ich, dass das steinerne Tier eine Art Brunnen darstellte. In seinen großen, eleganten Schwingen, die ausgebreitet waren und sich wie leicht gebogene Schalen formten, sammelte sich das schimmernde Nass. Ich musste ehrlich zugeben, dass dies eine wunderbare Idee meines Onkels war. Eine schöne Dekoration.

Blätter fielen neben mir zu Boden, als ich mich fortbewegte. Irgendwie wurde es kühler, je mehr der Wind zunahm. Doch das hielt nicht lange an. Die kleinen, dunklen Wolken verzogen sich und ließen die Sonne wieder ihre warmen Strahlen durchscheinen. Dort drüben auf der fein säuberlich zurechtgestutzten Hecke in Form eines Dolches, saß ein Rabe und krächzte mich an. Ich fauchte nur lüstern zurück, ehe er mit den Flügeln schlug und davonflog. Meine Haut kribbelte, als ich zögernd die Finger nach dem Grün ausstreckte und die strukturiert geschnittene Pflanze anfasste. Aber nichts passierte.
Weder, dass ich tot umfiel, gut tot war ich ja schon, noch, dass sonst irgendwas passierte. Nichts dergleichen geschah.

Ich lief weiter, sicherer. Ich befürchtete nicht, dass gleich jemand um die Ecke bog und ich mitgenommen wurde, nur wegen verbotenem Betreten. Ich ging die gekieste Einfahrt entlang. Alles wirkte so riesig. So gigantisch. Und es ging hier noch viel weiter. Es gab zwischen großen Sandwegen und gekiesten Alleen auch etliche Grünplätze und Flächen mit Bepflanzung aller Art. Das hier glich beinahe einem Vorplatz eines prächtigen Schlosses irgendwo im Nirgendwo. Vor der weißen Villa in einer imposanten Auffahrt machte ich Halt.

Mein Blick fiel auf die steinernen Löwen, die die hohe spiegelverglaste, verschnörkelte und hochglänzende Pforte jeweils rechts und links der großflächigen Treppe säumten. Ich bewunderte Waynes Baukunst. Die Fenster ließen keinen Blick zu und das Haus strotzte nur so vor Protz und Macht und Gier – Habgier! Doch auch wenn ich nicht hier war, um die Landschaft zu bewundern, war ich nicht ganz abgeneigt von dem Anblick, der sich um mich herum bot. Ich stieg die Steinstufen hoch und betrachtete das nach oben immer höher werdende, metallene Geländer, das nicht aus einem Stück, sondern aus einzelnen Streben bestand. Beinahe wie ein Traum wirkte das alles hier.

The secret of... the bloody rageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt