Kapitel 19

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(Vadims Sichtweise)
Ich machte mich mal wieder auf den Weg. „Ich geh nochmal raus, ja?" „Aber Sohn, warum willst du denn die ganze Zeit raus?", ermahnte mich Mutter. „Ich kann einfach klarer denken, wenn ich draußen bin!", erklärte ich mich und schlüpfte schon aus der Tür. Inzwischen war es später Nachmittag, beziehungsweise schon früher Abend. Mutter, Vater, Amica, mein Bruder und ich hatten noch gelesen, uns unterhalten und fern gesehen.
Ich hörte meinen Körper und beschloss zur Jagd zu gehen.

Nachdem dies erledigt war, sah ich auf: 19:28 Uhr. Ich lief durch eine spärlich beleuchtete Gasse. Wieder befühlte ich das glatte Metall in meiner Hand. Wofür benötigte Wayne einen Schlüssel? Hatte er Thea eingesperrt? Immer mehr wirre Gedanken ließen sich in meinem Kopf nieder. Ich schüttelte mich. Meine Füße schritten auf laubbedecktem Boden langsam Richtung Süden. Raus aus der Stadt. Da vernahm ich einen Windhauch. Ich sah auf.

Kein Blatt hob sich vom Boden und auch mein Mantel regte sich nicht. Ich schüttelte den Gedanken, dass jemand hinter mir war, ab. Oder vielleicht doch? Wayne? Zögernd drehte ich mich um. Doch da war nichts – außer einem Raben, der verschreckt davonflog. „Hey! Wer auch immer hier ist – rauskommen!", zischte ich leicht wütend und lief weiter.

Ich rief noch einmal: „Verstecken bringt nichts!" Ich kam mir wirklich albern vor! Da sah ich einen Schatten vor mir aufblitzen. Und einige Nebelschwaden taten sich vor mir auf. Ich war jetzt schon ein wenig nervös. „Bleib cool, Vadim! Du bist so alt. Dich hält keiner auf und erschreckt dich!", flüsterte ich mir zu und musste kichern. Ich und alt? Naja irgendwie hatte ich recht. Plötzlich erblickte ich eine Erscheinung. Sie schien unscheinbar und... so merkwürdig, so durchsichtig! Anders konnte ich es nicht beschreiben! Eine zierliche Gestalt trat aus einer Ecke hervor. Vorsichtigen Schrittes kam sie auf mich zu. „Hallo!", sagte sie mit einer lieblichen, melodischen Stimme, die wie ein Singsang klang. „Hallo...", erwiderte ich leicht schüchtern. Ich konnte mir denken, wer da vor mir stand, aber das konnte ja eigentlich nicht sein. Ich war ein wenig erleichtert, dass nicht mein Onkel so vor mir stand und trat zögernd aus meinem Schatten hervor. Ich drehte mich halb um und sah in die Ferne. Prompt stand die Gestalt vor mir. Also ein Geist, so schnell, wie sie sich bewegt!
„Eine Frau?", fragte ich mich und dachte nicht daran, dass sie mich gehört haben könnte. „Ganz richtig", erläuterte sie mit einem femininen Lächeln. Ich verlor allmählich die Geduld. „Wer bist du?", fragte ich bestimmt und blickte sie unverwandt an. Der Mond in unserer Nähe leuchtet voll und satt und aschgrau in der fahlen Nacht, die irgendwie schon anbrach. „Gestatten: Cosmea Cox!", reichte sie mir die Hand. Unwohl ergriff ich diese und fühlte eine warme Handfläche. „Ich kann sie spüren?", fragte ich Cosmea. „Aber natürlich. Auch wenn ich ein Individuum bin, bin ich noch ein Mensch! Oder ich war zumindest einer!", rutschte es ihr schmollend raus.

„Du bist die Frau meines Onkels, also du weißt schon!", half ich mir selbst auf die Sprünge. „Ja, genau! Die Frau von Wayne!", sprach sie leise. Ruckartig bedeckte ich meinen Kopf, falls ein Gewitter über mich kommen sollte. „Nicht doch, mein Junge. Keine Sorge. Der Fluch wirkt bei mir nicht. Immer wenn jemand mit mir zusammen ist und das passiert wirklich selten, wird kein Gewitter stattfinden, da ich ja sozusagen der Grund bin und derjenige dann mit mir zusammen „verbunden" ist!", erklärte sie schmunzelnd und zeigte zwei Gänsefüßchen in die Luft. Ich nickte zaghaft und fragte:

„Aber was bist du denn dann? Geist oder Mensch oder halb tot?" „Ich bin hier um dir zu helfen, Vadim! Und ich bin nicht am Leben. Du siehst mich, besser gesagt meine Seele als Geist, die meine menschliche Form angenommen hat!", klärte sie mich langsam und geduldig auf. Ich kratzte mich am Hinterkopf und schluckte konsterniert. Ganz sie selbst stand sie da und keine Menschenseele ließ sich blicken.

Nur Cosmea und ich waren in dieser Gasse und Leute waren um diese Zeit, hier in Lacata, eher selten anzutreffen, weshalb ich mir keine Sorgen machte, dass mich jemand für verrückt halten könnte. „Also bist du halb tot und halb lebendig?" Sie lachte hell: „Nicht doch!" Ich sah sie verdutzt an und jetzt verstand ich gar nichts mehr. „Nenn es einfach eine farbliche Version meiner selbst, meiner Seele, die du von mir empfängst! Natürlich ist es schwer sich das vorzustellen, schließlich kennst du mich ja nicht!", wisperte sie. „In Ordnung!", ging ich darauf ein. „Ach, bevor ich es vergesse!", lachte ich gehemmt. „Ich bin Vadim Dark, nicht zu verwechseln mit meinem Bruder Diamond!", stellte ich mich meinerseits vor. Sie zwinkerte mir zu: „Ich weiß schon sehr lange, wer du bist, Vadim". „Ach ja? Woher?", fragte ich leicht irritiert und schob mir eine Strähne aus der Stirn. „Ich lebe nun schon so lange unbemerkt als geistreiche Vision unter euch. Ich habe alles miterlebt.
Von eurer Geburt bis hin zu Thea und wir ihr euch kennengelernt habt. Du musst wissen, da ich Mensch war, bin ich nicht nur hier als Geist zu sehen, sondern auch oben in London. Der Fluch hält mich zwar überwiegend hier, weil er magisch ist. Aber dank meiner Menschlichkeit kann ich sozusagen zwischen der normalen und der übernatürlichen Welt wandeln!" „Also bist du ein Gestaltwandler?", fragte ich sie und zog die linke Augenbraue in die Höhe. „Nein!", sagte sie mit Nachdruck. „Gestaltwandler nennen sich die Werwölfe, wie sie in Büchern und so weiter vorkommen. Mich nennt man die „Weltenwandlerin". Und es gibt noch mehr. Wann immer eine Seele sichtbar gemacht wird, durch einen Fluch oder einen Zauber, oder dadurch in den Fluch oder ähnliches integriert wird und sofern man mit einer menschlichen Welt verbunden ist, wird man ein Weltenwandler. Und ja du hast richtig gehört. Es gibt noch andere unter uns!", sagte sie mit einem geheimnisvollen Zug um die Lippen.

The secret of... the bloody rageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt